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Rückschlag für Jahrzehnte!

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Das mag manchen überraschen: „Börsenguru” Andre Kostolany sagt freundliche Sätze über verstaatlichte Banken.

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Das mag manchen überraschen: „Börsenguru” Andre Kostolany sagt freundliche Sätze über verstaatlichte Banken.

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Dogmatiker der Marktwirtschaft und alle, die meinen, Budgetprobleme durch Ho-ruck-Privatisierungen lösen zu können, werden sich nicht freuen und, irgend etwas wie „doch schon senil...” murmelnd, schnell über die Seiten 210 und 211 seines neuen Buches „Kostolanys Bilanz der Zukunft” (Econ Verlag, öS 355,-) hinweglesen. Der 90-jährige Kostolany über Steuerflucht und Banken:

„Mit großen Zeitungsannoncen warben sie für ihre neuen Filialen im Großherzogtum. Diese Werbung verstößt in höchstem Maße gegen die nationalen Interessen. Deshalb sage ich ja, die Banken sind keine Verbrecher, aber auch nicht mehr als Kaufleute, die ausschließlich ihre eigenen Interessen verfolgen. Wer von den Geldhäusern erwartet, daß sie dem nationalen Interesse dienen, muß sie verstaatlichen. Und obwohl ich bekanntlich ein Anhänger der freien Marktwirtschaft bin, glaube ich, daß es kein Malheur wäre, wenn einige Banken verstaatlicht würden. Frankreich jedenfalls hat es nicht geschadet, als de Gaulle sie verstaatlicht hat.”

Vielleicht würde es Österreichs Finanzminister nicht schaden, zwischen seinen Versuchen, die Creditanstalt loszuschlagen, diese Sätze ganz langsam zu lesen. Vor allem, wenn er in Versuchung geraten sollte, dem einen oder anderen Interessenten etwas zu sehr entgegenzukommen.

Daß die deutschen Banken nicht nur nationale Interessen verletzten, sondern auch ihren Kunden keinen guten Dienst erwiesen, läßt ihr Verhalten noch weniger honett erscheinen: „Die meisten Sparer, die ihr Geld in eine Steueroase tragen, durchblicken gar nicht, was sie tun. Die Banken helfen zwar bereitwillig beim Schwarzfärben des Geldes, soll es jedoch wieder weiß werden, weil der

Anleger zum Beispiel ein Häusle bauen will, machen sich die Fluchthelfer nicht die Finger schmutzig.”

Natürlich weiß „Kosto” guten Bat: „Kauft Aktien! Den größten 'Feil der Bendite bringen sie ihrem Besitzer durch Kursgewinne, und die sind in Deutschland nach sechs Monaten steuerfrei.” Womit er ja recht hat. Schwarze Freitage und Montage an den Börsen vernichten nur das Geld derer, die auf Kredit spekulierten. Wer seine voll bezahlten, im Crash entwerteten Papiere behält, kann zusehen, wie sie sich erholen und mit ihrem Ertrag wieder die anderen Anlagen überholen. Nach 1929 dauerte dies allerdings bis nach dem Zweiten Weltkrieg. Doch schon wenige Jahre nach dem Kurseinbruch von 1987 konnten sich die Aussitzer, die „starken Hände”, wie Kostolany sie nennt, über eine höhere Bendite freuen, als sie mit einem Sparbuch erzielt hätten.

Ich, der ich mangels Gelegenheit, frei verfügbares Geld für mich „arbeiten zu lassen”, keine Aktien besitze und statt meines Geldes selbst arbeiten muß, lese die Bücher des „Bör-sengurus” immer mit Interesse.

Der große Zukunftsoptimist hat beispielsweise meine Zustimmung, wenn er den Ecu-Optimisten die Leviten liest: „Die Geldpolitik der einzelnen europäischen Länder ist nach wie vor souverän und wird es auch noch längere Zeit bleiben. Ich sage damit nicht, daß die europäische Währung niemals kommen wird, ich werde sie aber bestimmt nicht mehr erleben. Der Ecu jedenfalls ist keine europäische Währung und damit auch kein Vorläufer. Der Ecu ist ein Cocktail, gemixt aus gesunden und kranken Währungen, die am europäischen Währungssystem teilnehmen. Die Möglichkeit, auf Ecu lautende Anleihen zu emittieren, ändert an dieser Tatsache nichts, es werden schließlich auch Terminkontrakte auf Aktienindizes gehandelt...

Die grundsätzliche Aufgabe der Wechselkursschwankungen ist der Ausgleich unterschiedlicher ökonomischer Entwicklungen zweier Länder, daß die Spekulation diese Bewegungen oft maßlos überzeichnet, steht auf einem anderen Blatt. ... Helfen würden sonst nur noch protektionisti-sche Maßnahmen, was im Falle Europas absurd wäre, weil es das in Frage stellen würde, womit die Europäische Gemeinschaft begann, nämlich den freien Handel ... Sollten gewisse Ultra-Europäer in ihrem überstürzten Ehrgeiz Europa die gemeinsame Währung vor dem Erreichen dieser einheitlichen Entwicklung überstülpen, wird dies schlimme Folgen haben und den Einigungsprozeß um Jahrzehnte zurückwerfen.”

Sein grundsätzlicher Börsenoptimis-mus hat eine fesfe^Sis. Wie er so richtig sagt? Je mehr Geld in irgendeiner Phase in die Produktionsanlagen investiert wird, desto weniger steht für die Börse zur Verfügung und kann dort durch Nachfrage die Kurse positiv beeinflussen. Die Folgerung muß man sich selber dazudenken: Wenn Arbeitslosigkeit die Kaufkraft drückt (und alle Fachautoritäten versichern uns, daß die Arbeitslosigkeit nicht so bald verschwinden wird), gehen angesichts der Absatzprobleme die Investitionsmöglichkeiten zurück. Die Börse ist dann eine erste Adresse für das in Form von Gewinnen anfallende, aber im produktiven Sektor arbeitslos werdende Geld.

Leute mit Vorurteilen gegen die Börse sollten sich klarmachen, daß die Alternative zu diesem Abfluß von Geld aus dem produktiven Sektor in die materiell unproduktiven Anlagen im gegebenen System nicht mehr Wohlstand, sondern entweder noch mehr Bationalisierung und noch mehr Wirtschaftswachstum und damit auch noch mehr Arbeitslosigkeit und noch mehr ökologische Probleme - oder mehr Inflation hieße.

Das kontinuierliche Steigen der Aktienkurse tut den Menschen mit Aktien wohl und denen ohne Aktien nicht weh. Die Spekulation mit Aktien ist harmloser als die mit Häusern, Grundstücken oder Antiquitäten, denn die meisten können ohne Erstausgabe im Schrank, Tiffany-Lampe auf dem Nachttisch und van Gogh an der Wand leben, nicht aber ohne Wohnung, und wenn die Spekulation die Preise der Edelgrundstücke in die Höhe treibt, schlägt die Entwicklung auf den gesamten Wohnungsmarkt und damit zum kleinen Mann durch.

Kostolany, der große Plauderer, liefert dazu unfreiwillig eine Illustration. Er wollte nämlich vor Jahren die Erstausgabe des ersten Buches, das je über die Börse geschrieben wurde, „Confusiones de Confusiones” von Jose de la Vega aus dem Jahr 1688, ersteigern, und hoffte, den Zuschlag für höchstens 5.000 britische Pfund zu bekommen. Ein Japaner schnappte ihm die Barität für 18.000 Pfund weg.-Kostolany merkt selber nicht, wie schön seine kaum verwundene Enttäuschung die Vorteile der Aktie illustriert. Wenn schon ein reicher Bibliophiler wie er so emotional auf einen entgangenen Sachwert reagiert, was soll dann der kleine Häuselbauer zu den Bodenpreisen sagen?

Die Unterabteilung Bücher des Antiquitätenmarktes zählt wie die Börse zu jenen Ausgleichsgefäßen für arbeitsloses Geld, die keinen sozialen Schaden stiften. Die Spekulation mit Grund und Boden tut dies sehr wohl.

Sympathisch berührt Kostolanys Gradlinigkeit und der kritische Blick, mit dem er das Börsengeschehen verfolgt. Doch auf seine politischen Ansichten paßt der alte Witz: „Wie der kleirfeMoritz sich die Weltpolitik vorstellt - so ist sie!” Er denkt genauso, wie es sich der kleine Moritz von einem Börsianer erwartet: Der Zusammenbruch des Sowjetreiches war das größte Glück für die Welt, jetzt kann es auf lange Sicht nur noch aufwärts gehen. Präsident Beagan hat Amerika gerettet. Daß die Armen immer ärmer und die Beichen immer reicher werden, ist „völliger Blödsinn”. Es ist ihm wohl entgangen, daß in den USA das reichste Prozent der Bevölkerung 1980 zusammen halb soviel verdient hatte wie die 100 Millionen am Fuß der Einkommenspyramide, 40 Prozent der Amerikaner, und daß das reichste Prozent 1990 fast den Gleichstand erreicht hatte. Auch besonderes Verständnis für die Notwendigkeit von Veränderungen unter dem Druck ökologischer Gegebenheiten gibt er nicht zu erkennen.

Das tut aber Kostolanys Batschlägen keinen Abbruch. Vor allem räumt er ein weiteres Mal mit der Illusion auf, es könne den sicheren Börsentip geben. Selbst mit todsicheren Insidertips kann man auf die Nase fallen, oder gerade mit ihnen. An den Anlägeberatern, ob sie in Banken tätig sind oder Kolumnen schreiben, läßt er kein gutes Haar. Und seine intelligenten Bosheiten sind wie immer ein Genuß. Wie er die Trivialitäten zerlegt, für die drei amerikanische Wirtschaftswissenschaftler 1990 den Nobelpreis bekamen, das ist einfach köstlich. Den deutschen Ex-Bundesbankpräsidenten Helmut Schlesinger vergleicht er gar mit einem „Postbeamten hinter seinem Schalter, der mit Freude ansieht, wie die Leute nervös warten, bis er ihnen gnädigerweise die begehrten Briefmarken verkauft”. Er gibt Schlesingers Hochzinspolitik die Schuld an einem Teil der deutschen Arbeitslosigkeit und lockt ein weiteres Mal wider den Stachel der Bankenmacht, wenn er feststellt, die Deutschen hätten die Härte ihrer Mark nicht der Unabhängigkeit der Notenbank, sondern einfach ihrem eigenen Fleiß und ihrer Disziplin zu verdanken.

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