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NACH DER FLAUTE WIEDER EIN BOOM?

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Die Wiener Aktienbörse liegt immer im internationalen Spitzenfeld. 1989 und 1990 bei den Kursgewinnern, im Vorjahr bei den Verlierern.

Wien war - wieder einmal - anders. Während alle wichtigen Weltbörsen das Jahr 1991 mit einem Plus zwischen zehn und 20 Prozent abschlössen, mußten die erfolgsverwöhnten heimischen Anleger einen Verlust von 17 Prozent hinnehmen. Börsekammerpräsident Klaus Liebscher titulierte 1991 als das „Jahr der enttäuschten Hoffnungen".

Dafür begann 1992 mit einem veri-tablen Aufschwung, der den gesamten Vorjahresverlust wieder egalisierte. Wien übertraf damit in den ersten beiden Monaten - wieder einmal -alle anderen Börsen. Standesgemäß verlief auch der März: Mit einem Minus von sechs Prozent war das Haus am Schottenring weltweit unter den größten Verlierern. Die Krise in Tokio verhieß für den April eine ähnliche Entwicklung. Fazit: Reich werden ist an der Wiener Börse zwar nicht mehr garantiert, aber langweilig wird dem Anleger sicherlich nicht.

Auch 1992 sollte sich also wieder zu einem interessanten Jahr mit einigen Überraschungen entwickeln -positiven wie negativen.

Die konjunkturellen Rahmenbedingungen sind derzeit schwer einzuschätzen: Die Rezession in den USA ist noch nicht endgültig überwunden, der Riese Japan wankt erstmals und die deutsche Konjunkturlokomotive stöhnt unter der Last der fünf neuen Waggons. Dies trifft auch die exportorientierte österreichische Wirtschafts zusehends. In Summe ist ein Wirtschaftswachstum von zwei Prozent zu erwarten.

Ebenso wie die Gesamtwirtschaft ist auch der gesamte österreichische Kapitalmarkt von den deutschen Entwicklungen abhängig. Der Standard- Aphorismus „Wenn Frankfurt niest, holt sich Wien eine Lungenentzündung" ist zwar überzogen, drückt aber die Sichtweise potenter ausländischer Investoren aus, die Wien als „Optionsschein auf Deutschland" (Girozentrale-Analyst Lukas Stipkovich) betrachten.

Nach Ansicht von österreichischen Anlageexperten scheint 1992 die von allen erhoffte Zinssenkung fällig zu sein - falls die Lohn-Preis-Spirale unter Kontrolle gehalten werden kann. Beginnen sollte der Abschwung im dritten Quartal - und zwar am sogenannten „kurzen Ende", also am Geldmarkt. Am Jahresende sollte sogar die unangenehme Begleiterscheinung der letzten Jahre, die sogenannte in-verse Zinsstruktur, einigermaßen beseitigt sein, da sich den Prognosen folgend Geld- und Kapitalmarkt um die acht Prozent einpendeln sollten.

Da Wien am Kapitalmarkt, so der Leiferdes Private Banking in der VIP-Bank, Johann Kasamas, „Hand in Hand mit Frankfurt marschiert", wird auch in Österreich ein Zinsrückgang erwartet. Dies bedeutet an der Aktienbörse normalerweise Aufschwung. Dem stehen allerdings einige Faktoren entgegen. Der Österreicher ist nach wie vor ein Sparbuchsparer, was sich in einem angesparten Volumen von mehr als 1.200 Milliarden Schilling ausdrückt. Die Hälfte des gesamten österreichischen Geldkapitals liegt damit auf Sparbüchern. 1991 kam es gar, so Erich Pi-tak, Wertpapierdirektor der Schoel-ler-Bank, zu einer „Renaissance des Sparbuches".

Im Gegensatz dazu stagniert das Interesse an Aktien in der österreichischen Bevölkerung auf international niedrigem Niveau. Matte vier Prozent der Österreicher sind Aktionäre, während in Schweden und Großbritannien etwa jeder vierte, in den USA und Japan jeder fünfte und in der Schweiz immerhin jeder achte Dividendenpapiere hält (siehe Seite 17).

Noch trostloser lautet der Befund, wenn man die Österreicher nach ihrem Anlageinteresse befragt. 16 Prozent halten Aktien für eine interessante Anlagform, während der grundsolide, aber eher phantasielose Bausparvertrag bei 54 Prozent hält.

Verantwortlich ist dafür wohl nicht nur die generell unerfreuliche Kursentwicklung nach zuvor stürmischen Haussejahren, sondern auch die Emissionspolitik. Beinahe keine Neuemission der vergangenen beiden Jahre notiert über dem Ausgabepreis, bei Titeln wie TAG Textil oder ÖMAG mußten die Anleger sogar Verlsute von 60 bis 70 Prozent in Kauf nehmen.

So etwas schafft bei Neo-Aktionären nicht unbedingt Vertrauen. Auch wenn die Aktie den Beinamen „Risikopapier" trägt - eine Halbierung des Wertes binnen weniger Monate gehört nicht zu den programmierten Kursschwankungen und treibt die weniger routinierten Anleger wieder zurück zu ihren Sparbüchern.

Roman Rusy, in der Erste Invest-Consult für Finanzmarketing zuständig, hält deshalb einen „Lernprozeß" für notwendig: „Die Anleger dürfen sich nicht blind auf die Aussagen der Banken verlassen." Er legt punkto Branchen-Selbstkritik sogar noch ein „Schäuferl" nach: „Die beste Performance haben bisher jene Aktien erzielt, die am stärksten promotet wurden." Nun müßten die Banken die ruhige Börsenphase zu einer „umfassenderen Kundenaufklärung" nutzen, wenn nicht dem Aktienmarkt bleibender Schaden zugefügt werden soll.

Der zweite Einflußfaktor sind die ausländischen Großanleger, deren Interesse am Nebenschauplatz Österreich derzeit eher gering ist. Dafür sind vor allem zwei Faktoren verantwortlich:

Im sogenannten „Gorbi-Crash" am 19. August 1991 verweigerten manche Banken die außerbörsliche Kurserstellung und im Amtlichen Handel kam es zu handelseinschränkenden Repartierungen. Die Folge: Man konnte seine Aktien nicht verkaufen - nicht einmal mit großen Kursabschlägen. Eine jederzeit liquide Börse stellt für institutionelle Investoren aber eine Grundbedingung für ein ernst zu nehmendes Engagement dar.

Der zweite Faktor ist das geopoliti-sche Umfeld. Die ehemalige „Ost-Phantasie" ist der Ernüchterung gewichen und gilt derzeit eher als Risikofaktor. Dazu kommt noch die weiterhin instabile Lage in Jugoslawien, auch wenn dadurch die Untemeh-mensgewinne - sieht man vielleicht vom Waffeneinzelhandel ab-in Summe nicht maßgeblich beeinflußt werden.

Trotz des mangelnden Interesses der Ausländer glauben alle Analysten an einen moderaten Aufschwung in der zweiten Jahreshälfte 1992. Die Zinssenkungen sollten den dafür notwendigen Impuls geben. „Den ersten Teil der Rallye müssen wir jedoch selbst schaffen - erst dann werden die Ausländer wieder nach Wien kommen", gibt Pitak zu bedenken. In Summe halten die Anlageexperten im Laufe des Jahres eine Indexsteigerung auf etwa 550 Punkte oder rund 25 bis 30 Prozent für realistisch.

Schoeller-Experte Pitak denkt langfristiger und sieht für 1995 einen Indexstand von über 1.000. Seine Begründung ist aus der Börsen-Historie abgeleitet: „Die dritte Hausse Phase steht noch aus." Er kann seine Prognose aber auch mit handfesteren Argumenten abdecken: „Es ist in Österreich genug Risikokapital vorhanden. Es darf nur nicht immer in dubiose Verlustbeteiligungen gesteckt werden." Deshalb erwartet er - trotz gegenwärtiger Stagnation - eine Verdreifachung der Aktionärszahl binnen fünf Jahren. Außerdem habe die Ost-Phantasie durchaus ihre Berechtigung, nur das „Timing" sei falsch gewesen.

Pitaks Plädoyer für die Anlageform Aktie läßt sich durch Langfristvergleiche untermauern. Eine vor kurzem veröffentliche deutsche Analyse befaßte sich mit dem Renditevergleich zwischen den Anlageformen im abgelaufenen Jahrzehnt. Betrachtet wurden Deutschland, die USA, Japan, Großbritannien und Frankreich. In allen Ländern schnitt die Aktie mit durchschnittlichen jährlichen Renditen zwischen 15 und 19 Prozent am besten ab. Rentenpapiere wurden damit um vier bis sieben, Festgelder sogar um sieben bis neun Prozentpunkte distanziert.

Anders als Pitak gibt es aber internationale Experten, die innerhalb der nächsten zwei Jahre einen totalen Zusammenbruch der Aktienmärkte erwarten. Dies begründen sie mit de-flationären Tendenzen, die vor allem bei Immobilien zu beobachten sind. Unter ihnen befindet sich auch der belgische „Börsenguru" Roland Leu-schel, der sich unangenehmerweise bisher selten geirrt hat und als nahezu einziger den Crash des Jahres 1987 vorausgesagt hatte.

Alles in allem sollte sich 1992 zu einem durchaus interessanten Börsenjahr entwickeln. Trotz guter Chancen* für Aktien sollte man aber im Anlagemenü nicht auf die Vorspeise verzichten. Anleihen mögen zwar langweiliger sein, doch schon Andre Kostola-ny hat formuliert: Wer gut essen will, soll Aktien kaufen, doch wer gut schlafen will, ist mit Anleihen besser bedient.

Der Autor ist Wirtschaftsjournalist in Wien.

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