6862149-1977_41_05.jpg
Digital In Arbeit

Maßnahmenpaket verursacht Panikkäufe wie noch nie

Werbung
Werbung
Werbung

Der österreichische Kreditapparat hat dem Jahr 1977 ohnehin mit einer gewissen Spannung entgegengesehen, denn dieses Jahr sollte ein „Auszahlungsjahr“ werden, wie man es noch nicht erlebt hatte. Der Grund dafür liegt in der Tatsache, daß es im Jahre 1972 aufgrund der damals vorgenommenen Änderungen in der Sparförderung und beim Versicherungssparen noch zum Abschluß einer unverhältnismäßig großen Anzahl von Bausparund Prämiensparverträgen sowie von Lebensversicherungen mit fünfjähriger Vertragsdauer gekommen war. Die Freude des Kreditapparates über diesen Abschlußboom wurde gedämpft durch den im Jahre 1977 zu erwartenden Abreifungs- und damit Auszahlungsboom.

Insgesamt werden dadurch in diesem Jahr rund 48 Milliarden Schilling zur Auszahlung gelangen, wobei sich jedoch die Auszahlungen nicht gleichmäßig auf das ganze Jahr verteilen, sondern vor allem gegen Jahresende kulminieren. Dies kann besonders drastisch am Beispiel der Bausparkassen illustriert werden: im Zeitraum Mai bis Dezember 1977 werden 108.000 Verträge fällig, jedoch allein im Dezember 63.000!

Kein Wunder, daß der Kreditapparat bereits das ganze Jahr über die Werbetrommel rührt, um die Familie Österreicher dazu zu bewegen, ihren plötzlichen „Reichtum“ nicht bzw. nicht zur Gänze sofort zu verjubeln, sondern tunlichst wieder in irgendeiner Sparform dem Kreditapparat (und damit der österreichischen Wirtschaft) zukommen zu lassen.

Die von der Regierungspartei angekündigten Maßnahmen zur „Sanierung“ der österreichischen Leistungsbilanz haben schlagartig eine neue Situation geschaffen. Die Tageszeitungen melden täglich neue Kaufrekorde, und es bedarf keiner ausgeklügelten Motivationsforschung, warum plötzlich die Kaufwut der Österreicher ausgebrochen ist. Die Ankündigung, den Kauf gewisser Güter durch eine von 18 auf 30 Prozent erhöhte Mehrwertsteuer am 1. Jänner 1978 zu „bestrafen“, veranlaßt viele, sich noch rechtzeitig vor Weihnachten ein vorzeitiges Geschenk zu machen, denn im Dezember könnten die Regale bereits geleert sein.

Dieser Run auf Güter, die heute als „Luxusgüter“ von der SPÖ gebrandmarkt werden, obwohl es die gleichen Güter sind, die noch vor kurzem stolzer Beweis unseres Lebensstandards und unserer erfolgreichen sozialistischen Wirtschaftspolitik waren, hat natürlich auch einen Run auf die Geldinstitute verursacht. Aber nicht genug damit, daß Sparstrümpfe und Sparkonten geplündert werden, viele wollen auch noch rasch einen - horri- bile dictu- Konsumkredit aufnehmen, um ihre vorgezogenen Einkäufe zu finanzieren.

Gerade aber das soll - laut Oester- reichischer Nationalbank - nicht geschehen, denn schon Anfang Juni hat die Nationalbank ein Maßnahmenpaket auf den Tisch geknallt, das dem Kreditapparat die ungezügelte Ausweitung der Kredite unmöglich machen sollte. Damals wurden nicht nur der Eskont- und der Lombardsatz erhöht, es wurde vor allem wiederum die aktivseitige Kreditkontrolle einge- führt Unbeirrt von Expertenmeinungen, daß die Einführung dieser Kre- ditkontrollmaßnahmen wohl weniger die Zahlungsbilanz entlasten wird, als vielmehr das ohnehin „schwache Pflänzchen Konjunktur“ - so ein prominenter Banker - gefährden wird. Um diese Situation zu illustrieren, sei angemerkt, daß der Kreditapparat per Ende September bei der Notenbank mit rund 28 Milliarden Schilling verschuldet war und daß sich diese Situation - sollte seitens der Nationalbank nichts unternommen werden - zum Jahresultimo noch verschärfen wird. Doch vorerst geht die Nationalbank von ihrer harten liquiditätspolitischen Linie nicht ab, denn die Verknappung der Geldmenge soll den Kreditapparat zu größter Zurückhaltung bei der Kreditvergabe - insbesondere bei Konsumkrediten - verhalten.

Wie angespannt die Situation ist, zeigen auch die Sätze auf dem inländischen Geldmarkt (dem Markt, auf dem sich Banken untereinander kurzfristig Geld leihen), die inzwischen mit bis zu 9 Prozent astronomische Höhen erreicht haben; dazu kommt noch, daß bestimmte Kreditinstitute, die sich in Zeiten der Liquiditätsschwemme bei der Kreditakquisition zu aggressiv verhalten hatten, nunmehr kaum noch die Liquiditätsvorschriften einhalten können. Diese Banken zahlen auf dem Geldmarkt - so versichern Eingeweihte - bereits bis zu 10 Prozent!

Daß uns von der Regierung bislang bestenfalls nur die halbe Wahrheit gesagt wurde, ist den Wirtschaftsexperten klar. Ohne wirklich einschneidende Maßnahmen auf der Ausgabenseite wird es nicht möglich sein, das Budget zu sanieren. In diesem Licht betrachtet, ist die derzeit abrollende Kaufwelle wahrscheinlich die letzte für lange Zeit, denn 1978 wird - Kreisky kündigt es bereits an - mehr an Überraschungen bringen als „nur“ eine sogenannte 30prozentige Luxussteuer.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung