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Amerikanischer Alptraum

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Ronald Reagans Wirt-schaftsexperimente haben die USA in ein Desaster geführt. Angesichts der notwendigen Roßkur bleibt Nachfolgern wenig Spielraum für Programme.

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Ronald Reagans Wirt-schaftsexperimente haben die USA in ein Desaster geführt. Angesichts der notwendigen Roßkur bleibt Nachfolgern wenig Spielraum für Programme.

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Betrachtet man verschiedene Probleme dieses Landes, muß es geradezu verwundern, daß sich noch eine beträchtliche Anzahl von Kandidaten für die Nachfolge Präsident Reagans gefunden hat. Denn wer immer dieser sein wird, er ist nicht zu beneiden. Für eine nicht unerhebliche, wachsende Zahl von Beobachtern ist die Bilanz der mehr als sieben Jahre Reagan'scher Politik - und insbesondere der Wirtschaftspolitik — ziemlich niederschmetternd.

Das Land ist 1988 mit gigantischen Defiziten im Staatshaushalt und in der Handelsbilanz belastet und findet trotz mehrjähriger Bemühungen nicht den Weg, sich davon zu befreien. Reagans Experimente haben die USA zum größten Schuldner der Welt gemacht, seine Industrie hat auf den Weltmärkten fast jede Wettbewerbsfähigkeit verloren. Japaner und — mit Abstand — auch die Europäer machen den USA die Rolle als ökonomische Führungsmacht zunehmend streitig.

Dabei hatte alles so schön begonnen. Reagan hatte im Wahlkampf 1980 die amerikanische Renaissance versprochen und unter anderem auch, Wert und Stabilität des Dollar wiederherzustellen. Damals war dieser rund 12,60 Schilling wert. Jetzt, Anfang März 1988, liegt er bei 11,70 Schilling. Dabei schien es, als könnte der Präsident sein Versprechen wahr machen: Uber vier Jahre hinweg war der Dollar ständig nach oben geklettert und hatte Ende Februar 1985 mit 24,40 Schilling fast den doppelten Wert wie zu Beginn von Reagans Amtszeit erreicht.

Diese Währungsbewegung spiegelt recht eindrucksvoll die Einschätzung der sogenannten ..Reaganomics“ durch die Öffentlichkeit und insbesondere durch die Finanzmärkte wider. Nach den ersten Illusionen haben aber die fast unkontrollierten Defizite im Staatshaushalt den Dollar wieder auf den harten Boden der Realität zurückgeholt.

Worin bestanden diese Reaganomics?

Es ist nicht ganz einfach, dieses Konzept zu beschreiben, obwohl einige Beobachter bereits damals fanden, Reagan nutze hier als ehemaliger Filmstar sein Wissen über die Wirksamkeit von simple stories. Im wesentlichen lassen sich aber vier Punkte herausarbeiten:

• Kürzung der Staatsausgaben auf breiter Front mit Ausnahme der Rüstungsausgaben. Der Staatsapparat sollte schrumpfen und das Budgetdefizit verringert werden.

• Großzügige Steuersenkung für Unternehmen und Privathaushalte. Sie sollen mehr investieren, arbeiten, sparen und konsumieren.

• Das Wachstum der Geldmenge wird durch eine restriktive Politik im Zaum gehalten, wodurch die anfangs der achtziger Jahre hohe Inflationsrate gesenkt werden kann.

• Dadurch sollte es rasch zu starker wirtschaftlicher Dynamik und Wachstum bei stabilen Preisen und niedriger Arbeitslosigkeit kommen.

Doch so einfach war Wirtschaftspolitik auch zu Beginn der achtziger Jahre nicht mehr. Vor allem verließ man sich dabei auf eine Reihe umstrittener Annahmen und Hypothesen sowie auf eine recht mechanistische Vorstellung wirtschaftlicher Abläufe.

Eine der fatalsten Fehleinschätzungen war, daß die Unternehmen ihre durch die Steuersenkungen erhöhten Gewinne auf jeden Fall in die Modernisierung des gesamten Produktionsapparates investieren würden. Diese Idee war Ausfluß der Ende der siebziger Jahre stark in Mode gekommenen sogenannten ange-botsseitigen Wirtschaftspolitik (FURCHE 53/1987). Nach diesem Konzept soll eine Ökonomie nicht wie nach den üblichen keynesia-nischen Überlegungen über die Nachfrageseite, sondern eben über die Angebotsseite, das heißt durch Stimulierung der Investitionstätigkeit, Niedrighalten von Arbeits- und sonstigen Kosten, Reduktion von Steuern und dergleichen aktiviert werden.

Das mag zum Teil seine Richtigkeit und Berechtigung haben; unter der gesamten Konstellation der „Reaganomics“ konnte das aber nicht funktionieren. Denn der US-Staat entwickelte ungeheuren Geldbedarf, und weil zugleich eine restriktive Geldpolitik betrieben wurde, um Inflation zu dämpfen, stiegen die Zinssätze in ungeahnte Höhen. Das wiederum veranlaßte Unternehmen, ihre Gewinne und flüssige Mittel gerade nicht in produktive, sondern in Finanzanlagen zu investieren, die in den Folgejahren einen ungeheuren Boom erlebten, aus dem es erst 1987 ein unerfreuliches Erwachen gab.

Durch den Zinsanstieg strömten im Lauf der Jahre riesige Mengen Kapital aus dem Ausland in den Dollar, der ungeahnte Höhenflüge machte. Dadurch verloren amerikanische Produkte auf den Weltmärkten an Wettbewerbsfähigkeit, während billigere ausländische Waren den US-Markt überschwemmten.

Damit tat sich das zweite große Defizit auf, das in der Handelsbilanz. 1987 belief es sich immer noch auf rund 160 Milliarden Dollar, obwohl Anfang 1985 erkannt worden war, daß Amerikas Industrie durch einen solchen Wechselkurs in den Ruin getrieben wird. Damals konnte in Washington noch das Steuer herumgeworfen und die Regierungen der wichtigsten westlichen Industrieländer darauf eingeschworen werden, den Dollar wieder herunterzudrücken. Das gelang bekanntlich unter vielen Turbulenzen, doch läßt die wohltuende Wirkung auf die Handelsbilanz auf sich warten.

In ähnlichem Maße außer Kontrolle ist das Defizit im Staatshaushalt. Nach der Theorie — oder vielmehr Ideologie — der Rea-gan'schen Steuerpolitik hätten die Steuersenkungen einen so starken Impuls für Investitionen und Kapitalzustrom auslösen sollen, daß der öffentliche Haushalt in Folge nicht einmal vorübergehende Einnahmenrückgänge zu befürchten hätte. Bisher, so meinte man, hätten progressive Steuertarife den Anreiz zur Initiative und Leistung, gerade auch zur industriellen Innovation, so geschwächt, daß eine Umkehrung dieses Prozesses eine kräftige Wachstumsstimulanz garantiere.

So einleuchtend das klingen mag - es hat dennoch nicht funktioniert, weil Bevölkerung und Unternehmen das Wissen um mögliche Steuerhinterziehungen und Steuerumgehungen sowie die Tendenz zur Schwarzarbeit, die sich bei hohen Steuersenkungen herausbilden, nicht einfach vergessen. Sie lukrieren lediglich den Segen der geringeren Steuerlast. Entgegen den Erwartungen blieben daher die großen Steuereinnahmen aus.

Heute sind die USA die größte Schuldnernation der Welt. Derzeit beläuft sich die Auslandsschuld der USA auf etwa 280 Milliarden Dollar. (Brasilien hat zirka 120 Müliarden Dollar) und soll nach Vorausschätzungen 1990 775 Milliarden Dollar erreichen. Die Verpflichtungen gegenüber dem Ausland werden dann zehn Prozent des Bruttosozialprodukts ausmachen, und für die Verzinsung dieser Schuld werden die Amerikaner ein Prozent ihres Bruttosozialprodukts aufwenden müssen, was den Lebensstandard wohl entsprechend beschneiden wird. Zu diesem Ergebnis kam das Joint Economic Committee, der Wirtschaftsausschuß beider Kammern des Kongresses, schon im Herbst letzten Jahres und zitierte Prognostiker, die für 1993 einen Schuldengipfel von einer Billion Dollar vorhersagen.

Das Joint Economic Committee fordert daher eine radikale Wende der US-Wirtschaftspolitik. Reagan wird diese Wende selbstverständlich nicht mehr herbeiführen, sondern diese Aufgabe seinem Nachfolger überlassen. Dem wird keine andere Wahl bleiben, als Reagans Fiskal-Experimente rückgängig zu machen, die Steuern wieder zu erhöhen und die Staatsausgaben tatsächlich zu senken, um das Staatsdefizit in den Griff zu bekommen. Ob der nächste Präsident Republikaner oder Demokrat sein wird, kann dabei nur einen graduellen Unterschied bezüglich der Form der notwendigen Roßkur machen.

Es wird ferner eines umfassenden Re-Industrialisierungspro-gramms bedürfen, wozu von den Präsidentschaftskandidaten aber bisher kaum etwas verlautete — wie überhaupt von Wirtschaftsprogrammen bisher wenig bekannt wurde. Populär ist es, die Ursachen für das Debakel anderen, insbesondere den Europäern und Japanern, zuzuschieben.

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