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Mit dem Rotstift aufderjagd

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Die vom amerikanischen Gewerkschaftsdachverband organisierte Massendemonstration vor zwei Wochen in Washington hat gezeigt: Gegen Ronald Reagans Wirtschaftspolitik formiert sich mächtiger Widerstand. Unbeirrt aber setzt der US-Präsident weiter den Rotstift im Staatshaushalt an.

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Die vom amerikanischen Gewerkschaftsdachverband organisierte Massendemonstration vor zwei Wochen in Washington hat gezeigt: Gegen Ronald Reagans Wirtschaftspolitik formiert sich mächtiger Widerstand. Unbeirrt aber setzt der US-Präsident weiter den Rotstift im Staatshaushalt an.

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In den ersten acht Monaten seiner Amtszeit hat der amerikanische Präsident Ronald Reagan die Aufmerksamkeit seiner Regierungstätigkeit in erster Linie auf die Formulierung eines Programmes zur wirtschaftlichen Gesundung des Landes konzentriert.

Die fünf Hauptelemente seiner Wirtschaftspolitik umfassen:

• einen Gesetzesentwurf zur Steuersenkung;

• einen Gesetzesentwurf zur Beschneidung des Budgets;

• wesentliche Reformen in der staatlichen Regulierung der Wirtschaft;

• eine zurückhaltende Geldmengenpolitik;

• ein ausgeglichendes Budget bis zum Jahre 1984.

Alle diese Maßnahmen zusammen stellen den Versuch einer „angebotsorientierten Wirtschaftspolitik" (supply-side economics) dar. Die Stoßkraft dieser neuesten Wirtschaftslehre zielt in

Richtung einer Erhöhung des von der US-Wirtschaft produzierten Angebots an Waren und Dienstleistungen.

Steuersenkungen sollen die In-vestitions- und Arbeitsbereitschaft von Unternehmen und Angestellten fördern, damit den Ausstoß der amerikanischen Wirtschaft erhöhen, das Wachs-tvun insgesamt steigern, die Inflation drosseln und bei all dem keine allzu hohe Arbeitslosigkeit bewirken - so die Theorie.

Sollte die erhoffte Produktionssteigerung jedoch nicht eintreten - und nichts deutet bis dato darauf hin -, werden Wall Street und die amerikanische Öffentlichkeit wohl die von Reagan verfügten Steuersenkungen dafür verantwortlichmachen und ihm vorwerfen, Ol in das Feuer der Inflation gegossen zu haben.

Reagans wirtschaftspolitischer Neuansatz wird insofern als Experiment betrachtet, als die amerikanische Wirtschaftspolitik der letzten fünf Jahrzehn|;e ja vor allem darauf abzielte, die Nachfrage wesentlich durch staatliche Ausgaben und Besteuerung zu regulieren (Keynesianismus).

Während nun versucht wird, das Programm allmählich in die Tat umzusetzen, müssen bei der .Jleagonomics" - wie Reagans Ansatz einer neuen Wirtschaftspolitik zynisch bezeichnet wird -nicht nur eines, sondern gleich zwei simultan laufende Experimente zur Kenntnis genommen werden. Kurzfristig gesehen, ist es der Versuch, die angebotsorientierte Wirtschaftspolitik überhaupt einmal in Schwung zu bringen.

Es ist jedoch auch der Versuch, die Ausdehnung der Sozialleistungen der Regierung (und ihre damit dem Staatsbürger gegenüber eingegangenen Verpflichtungen) aufzuhalten, ja rückgängig zu machen.

Dieses zweitgenannte Experiment ist, langfristig gesehen, bedeutender, da es viele jener Programme in Mitleidenschaft ziehen wird, die das wirtschaftlich und soziale Gefüge der amerikanischen Gesellschaft während der letzten fünf Jahrzehnte entscheidend geprägt haben.

Unter Leitung von Vizepräsident George Bush ist die Regierung derzeit dabei, die wesentlichen Bestimmungen des Wirtschaftsreformpaktes zu Papier zu bringen. Auch die amerikanische Notenbank (Federal Reserve Board) hat bisher den Aufmunterungen der Reagan-Administration, das Wachstum des Geldangebotes zu verlangsamen, klein beigegeben.

Die Einschätzung der derzeitigen Wirtschaftspolitik in den USA muß sich demnach auf die Steuer-senkvmgen und Budgetkürzungen konzentrieren, die der Präsident vor anderthalb Monaten mit einem Triumph durch den Kongreß gebracht hat.

Wenn man Reagans grandiosen Sieg in Senat und Repräsentantenhaus auch anerkennt, muß man doch betonen: Daraus folgt nicht, daß in den USA sein Programm zur wirtschaftlichen Gesundung unumstritten ist, ja daß man es allgemein überhaupt für realisierbar hält. Da sind doch’ noch Fragen zu stellen:

• Kann das Experiment mit der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik überhaupt funktionieren? Geht es nach den Expo-

Skepsis in der Wall Street

nenten der New Yorker Finanzmärkte, den Bankiers, Anlagebe-i ratern, Börsenspekulanten und Fondsmanagern der Wall Street-wohl kaum. Bislang stehen sie der Budgetarithmetik Reagans voller Skepsis gegenüber.

Ihre Befürchtung: Die erwünschten Effekte der angebotsorientierten Wirtschaftspolitik sind im herrschenden wirtschaftlichen und politischen Klima des Landes nicht realisierbar, stattdessen sind viel eher ein neuer In-. flationsschub und weiter steigende Zinsen zu erwarten.

• Sollte das Experiment einer angebotsorientierten Wirtschaftspolitik zu gewaltigen Staatsdefiziten führen, die Regierung aber weiter an ihrem Kurs festhalten, bis 1984 ein ausgeglichenes Budget zu erreichen, was hätte das für Folgen für das sozialstaatliche Gefüge der amerikanischen Gesellschaft?

Bereits im Sommer hat Präsident Reagan mit Hilfe des Kongresses 35 Milliarden Dollar aus dem Budgetjahr für 1982 gestrichen, das am 1. Oktober beginnt. Vorige Woche gab er Budgetkürzungen und Steuerreformen bekannt, die weitere 16 Milliarden Dollar ausmachen. Bis 1984 machen die Ausgabenstreichungen damit schon 80 Mrd. Dollar aus.

Betroffen von Reagans Jagd mit dem Rotstift sind bislang das Erziehungswesen, die öffentliche Wohnbauhilfe, der Straßenbau, der Finanzausgleich mit den Bundesstaaten, die soziale Wohlfahrt, der Umweltschutz sowie öffentliche Ernährungs- und Gesundheitsmaßnahmen.

Heilige Kuh Pentagon

Von den vergangene Woche bekanntgegebenen Kürzungen sind die Ministerien für Energie und Erziehung betroffen, die überhaupt aufgelöst werden sollen. Außerdem soll die Zahl der öffentlich Bediensteten um 75.000 verringert werden.

Wie ernst es Reagan mit seinem Wirtschaftsprogramm ist, zeigt, daß das bisher als heilige Kuh behandelte Pentagon ebenfalls Haare lassen muß: Uber die Jahre 1982 bis 1984 muß sich das US-Verteidigungsministerium über den bis jetzt geltenden Plangrößen Kürzungen um 13 Milliarden Dollar gefallen lassen.

Wenn Präsident Reagan nun die breitgestreuten Haushaltskürzungen durchführt und gleichzeitig viele der losgewordenen Verpflichtungen den Bundesstaaten aufbürdet, könnte dies das wirtschaftliche und sozialstaatliche Gefüge der amerikanischen Gesellschaft drastisch verändern — vor allem dann, wenn die Bundesstaaten nicht willig oder nicht fähig sind, die Steuerschraube anzuziehen, um jene Mittel einzutreiben, die einen akzeptablen Plafond an Regierungsleistungen für die Staatsbürger auch in Zukunft ermöglichen würden.

So ist äußerst ungewiß, ob das Sozialgefüge der amerikanischen Gesellschaft Reagans angebotsorientierte Wirtschaftspolitik überhaupt aushalten wird. Und wie die Massendemonstrationen vom 20. September gezeigt haben, beginnt sich bereits massiver Widerstand zu regen…

(Nicolas Mercuro ist A. O. Professor für Volkswirtschaft an der Universität von New Orleans. Ubersetzung aus dem Englischen: Günter Bischof)

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