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Digital In Arbeit

Mit Keynes oder Lacin

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Daraus kann man auf den Charakter der Nationalökonomie schließen, die als eine Sozialwissenschaft natürlich weit weniger eindeutig und gesichert erscheint als Naturwissenschaften, aber auch auf den Umstand, daß es in der Wirtschaft immer gilt, zwischen Alternativen zu wählen.

In diesem Sinne ist es zu begrüßen, daß sich eine Reihe jüngerer Nationalökonomen zusammengetan hat, um sich Gedanken darüber zu machen, ob die Stabilisierungspolitik der derzeitigen Bundesregierung nützlich und zweckmäßig ist („Wege aus der Arbeitslosigkeit. Vorschläge für eine ge-sellschafts- und wirtschaftspolitische Gestaltungsoffensive“, Falter Verlag, Wien 1987).

Nun wäre es aber verfehlt, zu meinen, die (Gemeinschafts-) Arbeit beschränke sich auf die Frage, ob die Wirtschaftspolitik der Bundesregierung sinnvoll ist, und auf die Präsentation einer Alternative. Vielmehr wird die gegenwärtige Politik — vor allem in der Einleitung - grundsätzlich in Fr a-ge gestellt und deren Änderung von Grund auf angestrebt.

Dies ergibt sich aus der Annahme der Autoren, daß nicht eine verfehlte, sondern im Gegenteil eine gezielte Wirtschaftspolitik betrieben werde, um nämlich die Sozialeinrichtungen des Landes zu zerschlagen: „Je größer der Handlungsbedarf wird, desto mehr zieht sich der Staat zurück und manifestiert damit eine bewußte Ablehnung sozialpolitischer Verantwortung und gesellschaftspolitischer Gestaltung“.

Neben dieser Einleitung enthält die Pubükation eine Reihe von Beiträgen zu einzelnen Sachgebieten, die vom Arbeitsmarkt über die verstaatlichte Industrie bis zur Regionalpolitik reichen. Es überwiegen darin oft recht allgemein gehaltene Forderungen, die mitunter — angesichts des Um-standes, daß die Autoren Ökonomen sind — in erstaunliche Naivität münden, wie etwa für die verstaatlichte Industrie „ein zeitlich beschränktes Moratorium für Kündigungen und Betriebsschließungen“ zu verlangen.

Diese sollen erst erfolgen können, wenn im Rahmen regionaler Re-Industrialisierungskonzepte Weiterbüdung und/oder Weiterbeschäftigung der Betroffenen angeboten werden kann. Ebensogut könnte man fordern, mit der Krankenhaussanierung solange zuzuwarten, bis Krebs vollständig heilbar ist.

Ernsthafte Diskussion erfordert hingegen der Kern dieses Heftes, der sich mit der Frage auseinandersetzt, ob die Stabilisierungspolitik sinnvoll ist, oder ob besser eine expansive Budgetpolitik zur Bekämpfung der Arbeitslosigkeit betrieben werden sollte. Dieser Teil repräsentiert eine sauber gearbeitete ökonomische Analyse in klarer Sprache, ohne Parolen und Invektiven.

Die Autoren sehen die Möglichkeit zu einer solchen Politik deshalb gegeben, weil die Verschuldungösterreichs im internationalen Vergleich gering sei, mäßig steige und die Zinsenbelastung des Budgets durch — begrenzte — Notenbankfinanzierung verringert werden kgnne.

Eine rasch realisierte Steuerreform sollte vor allem durch Kreditzinsenbesteuerung die Einnahmenseite des Budgets stärken. Diese Politik sollte außenwirtschaftlich dadurch abgesichert sein, daß die Bindung des Schillings an die D-Mark zugunsten eines faktisch gegenüber dieser leicht fallenden Wechselkurses aufgegeben wird sowie partielle Protektionismen eingeführt werden.

Genau das ist jedoch der neuralgische Punkt dieses Konzepts. Will man von der Budgetproblematik und jener der Steuerquote absehen, dann stellt sich für jede kleine, offene Volkswirtschaft die Frage, wie sie die Leistungsbilanz ausgeglichen hält.

Das ist für die österreichische Wirtschaft nie ganz leicht. Und in der Phase des „Austro-Keynesia-nismus“, als man eine expansive Fiskalpolitik betrieb, versuchte man dieses Ziel eben durch die Kombination von Hartwährungspolitik und Lohnzurückhaltung zu erreichen. Wiewohl damals auch viele andere Staaten expansiv agierten, geriet die Leistungsbilanz aus dem Gleichgewicht und führte zum Bremsmanöver des Jahres 1978.

Heute aber ist die Situation viel kritischer, weil kein OECD-Staat eine expansive Politik verfolgt, sondern alle stabilisieren. Wollte Österreich einen Alleingang wagen, bestünde die Gefahr, daß die Leistungsbilanz passiviert würde, die Inflation beschleunigt und damit die Preise der österreichischen Güter auf den Exportmärkten stiegen.

Solches könnte zwar zunächst durch eine Schilling-Abwertung wieder ausgeglichen werden, dann jedoch entstünden über den Import zusätzliche inflationäre Impulse, die auch ihren Niederschlag in der Lohnentwicklung fänden. Kurz: es entstünde ein „vicous circle“. Es liegt auf der Hand, daß Kapitalabflüsse, ja spekulative Bewegungen gegen den Schilling auftreten könnten.

Frankreich, das unter der Regierung Pierre Mauroy einen solchen Alleingang versuchte, hat demonstriert, wie rasch derartige Bemühungen ein Ende finden. Protektionistische Schutzmaßnahmen hätten angesichts der Kleinheit unseres Landes infolge von Vergeltungsmaßnahmen katastrophale Folgen.

Natürlich kann niemand in der Ökonomie Abläufe mit Sicherheit voraussagen. Aber die dargestellten Überlegungen haben zur Formulierung der Wirtschaftspolitik dieser Bundesregierung geführt. Die von den Autoren der Schrift angeführten Probleme und Schwierigkeiten waren allen wohl bewußt, aber ebenso die Gefahren, die von einer expansiven Politik heute ausgehen.

Und es findet sich in dem Heft eigentlich kein neuer Ansatzpunkt, der die getroffene Entscheidung in Frage stellt - was nicht hindert, einzelne Probleme aufzugreifen, denn es ist ä la lon-gue wirklich nicht einzusehen, warum Einkommen aus Kapital nicht besteuert werden sollte.

Der Autor ist Universitätsdozent und Mitglied der Leitung des Osterreichischen Instituts für Wirtschaftsforschung.

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