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Askese, Dialog und Vertrauen

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Sokrates erreichte das Einbekenntis: Besitz erleichtert Gerechtigkeit. Die den Besitz domestizierenden Kräfte aber sind heute schwächer geworden. Deshalb ist es notwendig, sich über ein neues, nichtkommerzielles Ethos zu einigen. Wie müßte dieses beschaffen sein?

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Sokrates erreichte das Einbekenntis: Besitz erleichtert Gerechtigkeit. Die den Besitz domestizierenden Kräfte aber sind heute schwächer geworden. Deshalb ist es notwendig, sich über ein neues, nichtkommerzielles Ethos zu einigen. Wie müßte dieses beschaffen sein?

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Das Thema „Wertprobleme in der Wirtschaft aus christlicher Sicht" ist vordergründig aktualisiert durch etliche wirtschaftspolitische Affären der letzten Jahre. Ich erinnere stellvertretend für vieles im Ausland und Inland an den sogenannten Lockheed-Skandal.

Und wenn man neuerdings in österreichischen Zeitungen ge-nüßliche Schlagzeilen wie „Der Bankier des Papstes steht im Zwielicht" lesen konnte, dann erinnerte man sich einerseits an die Selbstverständlichkeit, daß die Zentrale einer Weltkirche nicht „im Strumpf" sparen kann, um ihre Tätigkeit für immaterielle Zielsetzungen materiell zu garan-

tieren. Andererseits wird an der Affäre Calvi, ganz unabhängig davon, ob einige Prälaten hier wirklich tolerable Grenzen überschritten haben, deutlich, daß Kirche nicht nur Sozialenzykliken oder Predigten an die Wirtschaft adressiert, sondern als Unternehmer sich auch mühen muß, die eigenen Prinzipien halbwegs einzuholen.

In Piatons „Politeia", im ersten Buch, begegnet uns Sokrates im Gespräch mit einem Greis namens Polemarchos. Dieser alte Mann ist im Gegensatz zu vielen seiner Altersgenossen mit seinem Dasein durchaus zufrieden. Sokrates fragt ihn, ob diese Zufriedenheit nicht vielleicht damit etwas zu tun habe, daß er, Polemarchos, reich sei.

Dieser will das gar nicht bestreiten, meint aber, daß Reichtum nur denjenigen nütze, die während ihres Lebens sich an die Gerechtigkeit gehalten hätten. Sie müßten ja sonst beim Herannahen des Todes zittern, da niemand wisse, ob wir im Jenseits nicht für unsere Missetaten zur Rechenschaft gezogen werden.

Von Sokrates bedrängt, gibt der alte Mann schließlich zu, daß ein Leben in Gerechtigkeit durch ausreichenden Besitz in der Tat erleichtert werde. Man sei dann nämlich nicht gezwungen, Unrecht zu tun, um ein angenehmes Leben zu erreichen. Zwar könne auch der Arme gerecht bleiben, aber immer nur um den Preis von Elend und Not. Diesen Preis brauche der Wohlhabende nicht zu entrichten.

Polemarches ist zu alledem auch ein frommer Mann. Er zieht sich, nachdem das Gespräch so weit gediehen ist, diskret zurück, um den Göttern zu opfern.

Dieser edle Reiche der Antike, der allerdings nicht als Ökonom ausgewiesen wird, hat in der späteren Wirtschaftsgeschichte manche Entsprechungen. Iring Fet-scher verweist im Gefolge von Max Weber darauf, daß der typisch europäische Unternehmer in der Frühzeit der industriellen Revolution ein relativ asketisches Leben führte, freilich vor allem

im Dienst der Akkumulation des Produktionsfaktors „Kapital". Dieser Typ von Unternehmer unterschied sich wenig von den damaligen Politikern und Beamten, denen der sparsame Umgang mit öffentlichen Mitteln und persönliche Anspruchslosigkeit zur Pflicht gemacht waren.

In der Wirtschaft der USA dominierte dagegen von Haus aus der homo oeconomicus, der individualistisch seine Privatvorteile kalkulierte und maximierte. Standesehre und Amtsmoral der Beamten spielten in den USA zudem nie eine größere Rolle und wirkten daher auch nicht regulierend auf die Wirtschaftsethik. Wohl aber wirkten religiös-ethische Verhaltensmaximen, vornehmlich puritänisch-freikirchli-che, domestizierend auf den ratip-nalen materiellen Privategoismus ein.

Diese domestizierenden Kräfte sind in Europa und Amerika neuerdings offenbar schwächer geworden, was zu den eingangs erwähnten Affären und Skandalen geführt hat.

In einem Essay Fetschers mit dem Thema: „Politik, Geld, Korruption" heißt es: „Die Legitimationskrise westlicher Gesellschaften, von der seit einigen Jahren die Rede ist, besteht nicht nur darin, daß Teile der heranwachsenden Generation (insbesondere aus den Mittelschichten) von der Sinnleere eines an der bloßen Einkommensmaximierung und Konsumsteigerung orientierten Lebens sich abwenden, sondern auch in der zunehmenden Unfähigkeit politischer wie kultureller . Eliten, ein nicht-kommerzielles Ethos in ihrem Verhalten zu praktizieren."

Fetscher adressiert seine Hoffnung auf einen Ausweg aus der Krise nur an politische und kulturelle Eliten. Sie müßten ein neues, ein nicht-kommerzielles Ethos, pflegen, meint er, um aus der gemeinsamen Krise herauszuhelfen. Ich möchte diese Hoffnung ausdehnen auf die Elite von Wirtschaftstreibenden.

Es erscheint zunächst paradox, von einem Unternehmer, einem Kaufmann, im Ganzen seines Lebens und Handelns ein sogenanntes nicht-kommerzielles Ethos zu erwarten.

Der Täufer Johannes hat desorientierten Menschen von damals, die ihn fragten, was sie tun soll-

ten, gesagt: Bleibt, was ihr seid! Bleibt gute Soldaten, gute Kaufleute! Das gilt auch im Kontext unserer Überlegungen. Der Unternehmer soll Unternehmer bleiben. Indem er dies tut, genießt er hier und heute im Allgemeinen des breiteren Panoramas der selbständig Erwerbstätigen viel weniger Privilegien, als sich mancher unselbständige Neidgenosse vorstellt.

Auch ein ökonomisch nicht ausgebildeter' Bischof weiß einiges aus dem Klagekatalog unternehmerischer Interessenvertretun-■' gen: Einengung der unternehmerischen Handlungsfreiheit durch die Bewegung der Steuerschraube, zu geringe Wertschätzung innovatorischer Leistungen, die zumeist unter Streß und bei überdurchschnittlichem Zeiteinsatz erbracht werden, Denunzierung auch eines legitimen Gewinnstrebens. Dabei ist noch keine Rede von den Problemen der Kleingewerbetreibenden und sonstiger Gruppen, die leicht durch den Rost fallen.

Viel Unbehagen in der Gesellschaft wird auf die Unternehmer projiziert. Sie befinden sich damit in einer ähnlichen Situation wie Politiker, hohe Beamte und wohl auch Bischöfe.

Wieder teilen lernen!

Was aber wären die Bausteine eines solchen Ethos? Es sind zumeist alte Bausteine, nur ihre Zuordnung mag anders sein als früher einmal.

1. Der erste Baustein wäre ein Element von Askese als Fortsetzung der asketischen Tradition calvinistischer Unternehmer in der Frühzeit der industriellen Revolution. Carl Friedrich Weizsäk- > ker - Physiker, Philosoph, Theologe und Regierungsbeamter — schrieb vor wenigen Jahren einen Aufsatz mit dem Titel „Gehen wir einer asketischen Weltkultur entgegen?"

Eine solche Frage hätte man zur Zeit der euro-amerikanischen Studentenrevolte pathetisch verneint. Herbert Marcuse proklamierte damals das gekommene Ende von Knappheit und Mangel und damit das Ende der Herrschaft des Realitätsprinzips. Heute ist der Traum von der Uberflußgesellschaft ausgeträumt.

Damit wäre der Weg offen zu einer Selbstbeschränkung und Askese nicht nur aus Not, als Reflex auf einen materiellen Mangel, sondern als Wahl eines Weges, der im individuellen Bereich den Vorrang der Person vor den Dingen (mehr Sein statt mehr Haben) und im sozialen Bereich die Gefahr bannt, alles technisch Machbare auch zu machen ohne Rücksicht auf Verluste an Humanität.

Eine solche Selbstbeschrän-kung wäre jedem nach seinen Verhältnissen zugemutet. Dem heutigen Unternehmer wäre zugemutet, von dem, was nach Weg-sozialisierung der Gewinne und

auch mancher Verluste und nach getätigten Investitionen noch verbleibt, das kulturelle und moralische Mäzenatentum früherer Zeiten in heutige Möglichkeiten zu übersetzen und zu praktizieren.

Niemand sollte dieses moralische Mäzenatentum (ein gewiß unglückliches Wort) als Almosengeben auf Kosten der Gerechtigkeit diskreditieren. Es ist ein vielmehr legitimer Ausdruck der Freiheit, von dem Seinigen etwas herzugeben.

2. Ein zweiter Baustein für ein kommunes, zukunftsweisendes Ethos wäre eine Verstärkung des dialogischen Prinzips. Das Gespräch aller mit allen ist unvermeidlich, wenn in Zeiten verknappter Ressourcen Verteilungsprobleme nicht zum Kampf aller gegen alle oder zum Staats-totalitarismus führen sollen.

In Österreich hat das Modell der Sozialpartnerschaft in den Jahren des Wiederaufbaues hervorragende Dienste geleistet. Man war bereit, vieles Zweitwichtige außer Streit zu stellen, um das allen Wichtige voranzutreiben.

Dieses österreichische Modell der Sozialpartnerschaft zeigt Erosionserscheinungen, ist teilweise erstarrt. Es bedürfte der Ablösung durch eine neue soziale Partnerschaft, die einen neuen Generationenvertrag in sich schlösse—einen Vertrag zwischen stärkeren und schwächeren Regionen, eine Beachtung jener Gruppen, deren Probleme die sogenannte neue soziale Frage ausmachen.

Da mir als österreichischem Jugendbischof Fragen der Jugend besonders aufgegeben sind, möchte ich auch hier die bekannte Tatsache in Erinnerung bringen, daß Jugendarbeitslosigkeit im' allgemeinen ärgere Folgen hat als die Arbeitslosigkeit in anderen Lebensphasen. '

Weizsäcker verweist gelegentlich darauf, daß gerade so sehr miteinander verfeindete elitäre Minderheiten innerhalb unserer Gesellschaft wie die Technokraten einerseits und die kritische: Gegenkultur der Jugend andererseits asketische Haltungen ge-

meinsam haben, nämlich die Lust an sich selbst zu arbeiten, die Präzision des Bewußtseins, die Deutlichkeit des Denkens als Konsequenz intellektueller Selbstbeherrschung.

Nur ist es eben so, daß die einen die Askese des Leistungsethos und die anderen, die asketische Suche nach einem neuen Leben in Verweigerung gegenüber der Uberlieferung praktizieren. Sollte auf dem Boden gemeinsamer Haltungen gar kein weiterführendes Gespräch über trennende Inhalte möglich sein?

3. In Zeiten der Krise, der Angst vor der individuellen und gemeinsamen Zukunft, gewinnt ein weiterer nichtökonomischer Wert an Bedeutung: Es handelt sich um den Wert „Vertrauen".

Zentralnerv der Religion

Der bundesdeutsche Soziolge Niklas Luhmann hat 1968 eine Studie zum Thema „Vertrauen" publiziert, die seither wohl nicht an Bedeutung verloren hat. Luhmann geht von der Tatsache aus, daß unsere Gesellschaft überaus komplex und für den einzelnen Menschen daher undurchschaubar ist. Um trotzdem vernünftig leben zu können, bedarf es für diesen einzelnen einer Reduktion der sozialen Komplexität durch Vertrauen...

Mit der Frage nach den Wurzeln und Quellen des Vertrauens rührt man auch den Zentralnerv der Religion. Im Judentum und im Christentum ist Gott der Fels, auf den man bauen, vertrauen kann und der dazu befähigt, selbst Fels zu werden, auf dem andere aufbauen können und yertrauen. Religion lehrt, daß im Leben mehr möglich ist als der flache Spieleroptimismus und sein Slogan „Es wird schon alles gut ausgehen" oder dessen Wiener vulgärphilosophische Variante: „Es wird schon alles schiefgehen".

Auszug aus einem Referat, das der Diöze-sanbischof von Gurk-Klagenfurt vor der Vereinigung österreichischer Industrieller hielt.

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