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Die bitteren Pillen

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Auch ohne das Auffliegen des Iran-Nikaragua-Skandals wäre Präsident Ronald Reagan jetzt das, was im innenpolitischen Jargon der USA „lame duck“ heißt, also eine fluguntaugliche Ente. Denn die Demokraten sind aus den im Oktober vergangenen Jahres abgehaltenen Kongreßwahlen deutlich gestärkt hervorgegangen: Sie konnten ihre Position im Repräsentantenhaus ausbauen und haben die Mehrheit im Senat zurückerobert.

Gegen einen mehrheitlich demokratischen Kongreß hätte es Reagan - Popularität hin, Popularität her — auf jeden Fall schwer gehabt, sich durchzusetzen. Seit aber die Waffengeschäfte mit dem Iran bekannt wurden und das Köpferollen im Weißen Haus be-

gann, ist der Präsident noch mehr geschwächt.

Von den Medien wird er ungewöhnlich scharf attackiert: „Ich habe die Haifische noch niemals so angriffslustig gesehen wie seit dem Augenblick, in dem sich Blut in das Wasser gemischt hat“ (Reagan).

Die größte Trumpfkarte des Präsidenten, die er gegenüber dem Kongreß immer glänzend auszuspielen verstand, war seine Beliebtheit. Um so härter traf ihn der Vertrauensschwund, der sich in mehreren Meinungsumfrage-Ergebnissen spiegelt. Laut einer vom Gallup-Institut im Dezember durchgeführten Umfrage sackte Reagans Beliebtheitsgrad von 64 auf 47 Prozent ab.

Die Demokraten, die dank ihrer verstärkten Präsenz in beiden Häusern des Kongresses jetzt auch den Vorsitz in den meisten wichtigen Ausschüssen und Unterausschüssen innehaben, werden zunächst gegen etwas anrennen, wogegen sie schon bisher — allerdings ohne Erfolg — Sturm liefen, nämlich gegen das mit 312 Milliarden Dollar dotierte Militärbudget.

Aber auch was die Einnahmenseite des Budgets betrifft, beginnt sich die Opposition zu formieren. So wollen die Demokraten im Finanzausschuß einen Antrag einbringen, der auf Steuererhöhung abzielt, obwohl die Steuerreform erst am 1. Jänner in Kraft getreten ist (FURCHE 32 und 37/1986). Den meisten demokratischen Abgeordneten war der Höchstsatz von 28 Prozent von vornherein ein Dorn im Auge, und sie wollen mit

Enttäuschter Reagan: „Angriffslustige Haifische“ (Photoreport)

ihrem Antrag die Reichen stärker zur Kasse bitten.

In seiner State of the Union-Rede am 27. Jänner wird Reagan unter anderem auch eine Budget-Reform fordern. Bisher sind kaum Einzelheiten durchgesik-kert, aber so viel ist bereits bekannt, daß er statt der bisher einjährigen zweijährige Fiskalperioden vorschlagen und gleichzeitig empfehlen wird, langfristige Investitionen nicht einem einzigen Budget anzulasten, sondern den Aufwand nach Maßgabe der Lebensdauer über eine Reihe von Budgetperioden zu verteilen. Das hätte zur Folge, daß zum Beispiel der Aufwand für eine neue Brük-ke oder für einen Autobahn-Abschnitt anteilsmäßig auf zehn, fünfzehn oder mehr Jahre verteilt wird.

Die politischen Gegner Reagans wettern schon jetzt gegen diese Initiative. Sie behaupten nicht zu Unrecht, daß diese Vorschläge vor allem den Zweck haben, das katastrophal hohe Haushalts-Defizit (im Fiskaljahr 1985/1986 232 Milliarden Dollar) zu verschleiern.

Ein anderes umstrittenes Kapitel sind Maßnahmen, die darauf abzielen, die internationale Wettbewerbsfähigkeit der amerikanischen Wirtschaft zu verbessern. Der Präsident will auch dieses Thema in seiner jährlichen Rede im Capitol anschneiden. Seine Gegner wenden ein, daß das hieße, Symptome zu kurieren, aber nicht bei den Wurzeln des Übels anzusetzen. Das sind: zu hoher Konsum, zu geringe Sparkapitalbildung und ungenügende Investitionen. „Wir haben viel zu lange über unsere Verhältnisse gelebt“, meint dazu Professor Paul

Krugman vom Massachusetts Institute of Technology (MIT), „jetzt gibt es nur die Wahl, ob wir selbst den Gürtel enger schnallen oder ob die Märkte das für uns besorgen, was zweifellos noch viel schmerzlicher wäre.“

Eine große Gefahr der jüngsten Entwicklung in Washington liegt bei einem massiven protektioni-stischen Vorstoß, den sich bereits ankündigt und der im Frühjahr zur vollen Entfaltung kommen dürfte (FURCHE 40/1986).

Obwohl Importrestriktionen seit langem ein Anliegen der Demokraten sind, ist auch bereits ein erheblicher Teil der republikanischen Kongreß-Mitglieder für einen Importschutz auf breiter Front. Selbst wenn also der Präsident von seinem Vetorecht Gebrauch machen würde, könnte sein Einspruch mit einer Zwei-Drittel-Mehrheit aufgehoben werden und das betreffende Gesetz in Kraft treten. Dieses Szenario ist jetzt durchaus in den Bereich des Möglichen gerückt. .

Importsperren?

Innerhalb der letzten vier Jahre hat sich das amerikanische Einfuhrvolumen um 80 Prozent erhöht. Aber dieser Durchschnittswert besagt wenig im Vergleich mit den bilateralen Ergebnissen. So hat sich beispielsweise die Einfuhr aus Südkorea in den letzten 20 Jahren auf das 170fache erhöht. Ein Drittel des koreanischen Exports geht in die USA. 1986 kam erstmals der koreanische Kleinwagen .Excel“ mit einem Preis von 4.995 Dollar auf den amerikanischen Markt. Verkaufte Stück: 160.000!

Denkbar ist bei diesem protek-tonistischen Vorstoß alles, was es an Instrumenten gibt, von einer Importabgabe bis zu Importverboten. Am wahrscheinlichsten ist eine Importabgabe, aber nicht für alle Länder und möglicherweise nicht linear für alle Produkte. Da etwa die Hälfte des amerikanischen Einfuhrüberschusses auf Japan, Südkorea, Taiwan und Hongkong entfällt, dürften die geplanten Maßnahmen in erster Linie diese asiatischen Handelspartner betreffen.

Dies ist für Europa noch lange kein Grund zum Aufatmen, denn es bedarf wohl kaum besonderer Phantasie, sich die Konsequenzen angesichts der engen Verflechtung der Weltwirtschaft vorzustellen.

Der Autor ist Leiter der Repräsentanz der Genossenschaftlichen Zentralbank AG in New York.

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