Weiche Mark gleich weicher Schilling
Jahrzehntelang wurde die D-Mark als eine der härtesten Währungen hoch geschätzt. Doch jetzt muß sie Federn lassen und mit ihr der Schilling.
Jahrzehntelang wurde die D-Mark als eine der härtesten Währungen hoch geschätzt. Doch jetzt muß sie Federn lassen und mit ihr der Schilling.
Sparpakete, die Maastrichtkriterien, die Einführung des EURO, leere Staatskassen, längst überfällige Reformen, strukturelle Erstarrung ... das alles wird derzeit für die außerordentlich schwierigen wirtschaftlichen Probleme Europas verantwortlich gemacht.
Ein Grund aus österreichischer Sicht wird aber leicht übersehen: die offensichtliche Krise der fast 50 Jahre alten D- Mark (1948 wurde sie nach der Währungsreform in den drei Sektoren der westlichen Siegermächte eingeführt). Lange hielt ihr Höhenflug an, schwebte sie von Höchstwert zu Höchstwert. Doch nun kommt es unweigerlich zum Sturzflug, zur Trendwende - die D-Mark läßt Federn und mit ihr der Schilling.
Seit Ende der sechziger Jahre galt die D-Mark als stabile Valuta, wurde weltweit als eine der härtesten Währungen hoch geschätzt, es galt als sicher, sie zu besitzen und für viele als angenehm, sie in der Geldbörse zu haben, weil Abwertungen nicht zu erwarten waren.
Aber das Blatt hat sich gewendet. Die D-Mark bietet nun keinen Luxus mehr zum Billigtarif, und daran müssen sich nicht nur die (verwöhnten) Deutschen, die als Reiseweltmeister bekannt sind, in diesen Tagen erst gewöhnen.
Vor .allem gegenüher dem US Dollar und dem Pfund wurde die D-Mark seit Jänner des Jahres gewaltig abgewertet. Und wer heute nach Hollywood, zum Times Square oder nach London fliegen will, der muß, egal, ob er seine Reiseschecks von D-Mark oder Schilling in Dollar oder in Pfund wechselt, etwa 20 Prozent mehr zahlen als noch vor acht Monaten. Solche extremen Kurseinbrüche - eher in den Mittelmeerländern üblich als für den deutschen oder österreichischen Handel mit den USA oder Großbritannien charakteristisch - sind aber nun die Früchte von langjährigen wirtschafts-und sozialpolitischen Starrheiten allgemein und der Wiedervereinigung sowie ihrer hohen Kosten im besonderen. Was es braucht, ist eine „Kulturrevolution”, wie sie der deutsche Bun-desarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm in einem Beitrag für „Die Zeit” (13. 1. 1994) schon forderte. Blüm prangert die Schläfrigkeit der Unternehmer, die Unbeweglichkeit der Tarifpartner, die Umständlichkeit der öffentlichen Verwaltung, zu lange Entwicklungszeiten und das Kolonnendenken in Deutschland an. Bealistischen Strategien zu konstruktiven Veränderungen stehen veraltete Arbeitsorganisation, verkrustete Hierarchien, bürokratische Wichtigtuerei und die Vergeudung von Produktionsressourcen gegenüber.
Aber nicht nur gegenüber den angelsächsischen Konkurrenzwährungen, sondern auch gegenüber den „schwächeren Ländern” im Süden, wo weichere Währungen typisch sind, kann der „Stabilitätsprimus Deutschland” nicht mehr punkten, denn in Italien liegt, so unglaublich es auch für deutschsprachige Ohren klingen mag, die Inflationsrate niedriger als im Land der Germanen, wo die Lira noch immer überheblicherweise als Spielgeld betrachtet wird: Hier ist eine Mixtur von Arroganz, Selbsttäuschung und Realitätsferne zu spüren.
Fraglos ist der Zwang zum Sparen durch die Abwertung mitgegeben, denn einerseits ist das Selbstwertgefühl angekratzt, andererseits ruft der Kaufkraft- und Wechselkursverlust zum „Gürtel-enger-Schnallen”. Aber das heimische Sparen bringt - als Nebeneffekt sozusagen - nicht nur Nachteile, denn Importe werden zwar teurer, aber die Exportwirtschaft freut sich, da für die Businesspartner die Produkte mit dem Vermerk „Made in Germany” oder „Made in Austria” billiger und damit lukrativer werden.
Diese Tendenz verhindert einen Totalkollaps auf dem Arbeitsmarkt. Dennoch steigen die Zweifel, ob es in „Germany” noch gelingt, die Probleme zu lösen, wie Stephan Schulmeister (Wirtschaftsforschungsinstitut, Wien) anklingen läßt. Die großen Korrekturen an den Finanz- und Devisenmärkten balancieren nun die überhöhten
Bewertungen (vor allem der D-Mark) aus.
Jedoch sichern diese Neubewertungen, die D-Mark und Schilling weicher machen, keineswegs den Wohlstand, Arbeitsstellen oder gar das Sozialsystem auf längere Sicht. Ganz im Gegenteil: Inflation, überhöhte Preise, große Teuerungen wären die Folgen, die besonders den Durchschnittsbürger träfen beziehungsweise alle, die am mittleren und unteren Ende der Lohn- und Gehaltsskala angesiedelt ihr Überleben in einer immer stärker finanzorientierten (globalisierten) Umwelt zu sichern suchen.
Andererseits sind existentielle Inflationseinbrüche nicht zu befürchten, denn die G-7-Staaten mit ihren Nationalbanken besitzen genügend Mittel, um den unkontrollierten Preisauftrieb doch im Griff zu behalten.
Dennoch ist die Angst vor Inflation trotz geeigneter Mittel (wie Eingriff der Notenbanken oder Regierungen in das Finanzsystem) ungebrochen - besonders unter den älteren Mitmenschen, die die Inflation von 1929/30 oder nach Beendigung des Zweiten Weltkrieges erlebt haben.
Da das Wohl und Wehe der Teilnehmer am EURO von dessen Stabilität abhängt, dürfte dieser eher festigend wirken und nicht den Weg zur „Inflationsgemeinschaft” hinlenken, auch wenn natürlich zu befürchten ist, daß er weicher sein wird als D-Mark und Schilling. Andererseits erleben aber gerade die letztgenannten, daß sie nicht vor Inflationen gefeit sind, selbst wenn die Bevölkerung kaum mehr damit rechnete. Trotz allem: Die Unsicherheit macht sich breit unter Wählern, Parteien, Investoren,
Pensionisten, Beamten ... Panikparolen und Unkenrufe sind die größten Gefahren für den europäischen Einigungsprozeß und nicht zuletzt für den EURO selbst.
Mark- und Schillingschwäche kommen den Skeptikern gerade recht. Und deshalb werden sie nicht leise, darauf hinzuweisen, daß die internationalen Finanzmärkte dem Projekt EURO -von vielen als Jahrhundertprojekt der Finanz- und Wirtschaftswelt angesehen - geringe Gelingenschancen einräumen. Die gegenwärtig zu konstatierenden Verluste im Kursbereich aber sind vor allem konjunktureller Art. Während in den USA oder Großbritannien der Wirtschaftsaufschwung geschafft scheint, ist dies- und jenseits der Alpen außer Trostsprüchen kaum etwas zu spüren.
Über kurz oder lang ist aber die Strategie der weichen Valuten für die Leistungsbilanz und das Bruttosozialprodukt negativ, da Anleger für ihre Investitionen mit angelsächsischen Währungen höhere Zinsen erhalten, und weil die Renditen attraktiver sind als im Mark- oder Schillingbereich. Außerdem dürfte sich der Zinsabstand in den nächsten Monaten weiter vergrößern, sodaß es nur normal wäre, wenn die Anleger ihr Vertrauen in europäische Valuten und die D-Mark im besonderen verlieren. Aus diesem Grund werden auch der steigende Dollarkurs (Rohstoffpreise werden nach wie vor in US-Dollar berechnet) und die Goldbewertung einsichtig. Was den europäischen Finanzmärkten prinzipiell schwerfällt, ist die adäquate Reaktion auf das Hin und Her über die EURO-Einführung. Die Bundesbank stößt nicht nur in
Österreich auf Kritik, denn die Abwertung der Mark ist das Ergebnis einer jahrzehntelangen Philosophie, die gegenwärtig gestoppt wird, weil den Anlegern nun viel mehr Alternativen in Europa und außerhalb geboten werden als früher: nur ein Resultat der Globalisierung. Der Währung ergeht es wie den Unternehmungen in Deutschland oder Österreich; sie mögen noch immer sehr gut sein, aber schon lange nicht mehr alleinige Anbieter von Spitzenprodukten.
Dadurch kommt es national wie international zu Ängsten über die Einführung des EURO wie auf der anderen Seite zu Hoffnungen auf Lösung wirtschaftlicher Probleme (Erwartung eines Aufschwungs nach Glättung der Wogen). Der Hauptgrund der Verunsicherung aber liegt darin, daß das Modell Deutschland - erfolgreich in der Bewältigung des Aufbruchs nach 1945 - und das Modell Österreich - hervorragend als neutraler Staat beim Aufbau eines friedlichen Europas - nun tief in der Krise stecken. Das Ausland ist verunsichert, in Berlin wie in Wien stehen Sparmaßnahmen, Begierungschaos und Reformstatus im Raum der Kritik.
Da steigen Zweifel auf, ob Deutsche und Österreicher ihre Leistungsbilanzen, ihre Arbeitsmarktprobleme und Budgetkonsolidierungen tatsächlich bewältigen können. Arbeitsplatzexport und Stagnation schädigen das Vertrauen in Schilling und Mark.
In den nächsten Monaten kommt es sehr wohl auf den Um- und Neubau der angeschlagenen Sozial- und Wirtschaftssysteme an. Beinahe alle Länder, die den EURO einführen, sind betroffen von Formkrisen, nur von deutschsprachigen Gebieten war man dies bisher in diesem Ausmaß noch nicht gewöhnt. Was es braucht, sind Strukturveränderungen und keine Kosmetikkuren, einen massiven Konjunkturaufschwung und nicht das lethargische Lamentieren aus Selbstgefälligkeit und Nostalgie. Denn es ist immer emotional einfacher, einen stetigen Aufschwung zu erleben als diesen dann auch noch zu halten. Wollen nämlich Mark und Schilling in ihren vielleicht letzten Zügen nochmals zu Glanz und Gloria kommen, dann müßten rasch und durchgreifend Veränderungen in Berlin und Wien durchgezogen werden. Schiebt man dem EURO die Schuld für eigenes wirtschafts- und finanzpolitisches Versagen und für ungelöste Sozialprobleme in die Schuhe, dann ist es nur ein Ablenkungsmanöver und das Nichteingestehenwollen der eigenen Unfähigkeit.