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Große Angst vor einem unbekannten Wesen

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Der Europäische Binnenmarkt kann nur dann funktionieren, wenn die Wechselkurse unverrückbar feststehen.

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Der Europäische Binnenmarkt kann nur dann funktionieren, wenn die Wechselkurse unverrückbar feststehen.

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Als der Vertrag von Maastricht am 7. Februar 1992 unterzeichnet wurde, waren sich die Experten einig: was immer sonst noch in diesem Gründungsvertrag der Europäischen Union geregelt wurde -das Herz- und Kernstück waren die Bestimmungen über die Wirtschafts- und Währungsunion (WWU). Aber was die zwölf Regierungen als großen Verhandlungser-folg betrachteten, löste - zu ihrer Überraschung - in vielen Mitgliedstaaten eher Ängste und Sorgen aus: Verlieren wir nicht die Deutsche Mark, den Franc - oder wie die jeweilige nationale Währung eben bisher heißt? Geben wir nicht in entscheidenden Fragen unserer Wirtschaftspolitik die Unabhängigkeit auf? Werden wir nicht zu Gefangenen eines Systems, das nur wenige durchschauen?

So fragt man auch in Österreich und fürchtet um den liebgewordenen Schilling, den gerühmten „Alpendollar”. Zeitungen schreiben sogar, die Nationalbank müßte ihre Goldreserven nach Brüssel abliefern (wie ein besiegtes Land früher den Staatsschatz an den Sieger) - und nicht wenige denken „.. .Brauchen wir denn des ... ?” In der Tat, wozu ist die WWU gut oder notwendig?

Um den Nutzen einer Währungsunion zu erläutern, erzählen EU-Befürworter gern die Geschichte von dem Europäer, der in Brüssel zu einer Reise durch alle zwölf bisherigen Mitgliedstaaten aufbricht, dazu 40.000 Belgische Francs in die Brieftasche steckt, nach jedem Grenzübertritt das Geld in die jeweilige Landeswährung umwechselt - und bei der Rückkehr für das, was er noch hat, ganze 22.000 Francs zurückgewechselt erhält. Dabei hat er unterwegs überhaupt nichts gekauft. Keine Straßenbahnkarte, keine Frühstückssemmel. Allein die Wechselgebühren und -provisionen haben ihn fast die Hälfte seiner Barschaft gekostet.

Aber das ist natürlich ein konstruiertes Beispiel und fast eine Milchmädchenrechnung. Wichtiger ist etwas anderes: Wenn eine Firma ein Auslandsgeschäft verabredet, vielleicht mit längeren Lieferfristen oder überhaupt auf Dauer, dann muß sie wissen, was die Sache kostet. Im Inland ist das kein Problem. Schilling ist Schilling. Bei Wirtschaftsbeziehungen über Währungsgrenzen hinweg gerät man aber in Unsicherheit: wie werden sich die Paritäten, die Wechselkurse veränman sich verkalkuliert hat, weil der Rechnungsbetrag oder die Überweisung plötzlich weniger wert ist, weil das eigene Land oder das der Partnerfirma Auf- oder Abwertungen beschlossen hat?

Immerhin sind solche Maßnahmen in schwierigen Zeiten bei den Regierungen nicht unbeliebt - man kann zum Beispiel der eigenen Exportwirtschaft auf die Sprünge helfen, oder versuchen, für eine Politik der Staatsverschuldung irgendwie einen Ausgleich zu finden.

Wirklich verläßliche Kalkulationsgrundlagen hat die Wirtschaft nur, wenn sie weiß, was Preise bedeuten, was das eigene Geld wert ist, und daß da nicht zu große Schwankungen auftreten. (Ist man sich da nicht sicher, dann schließt man die Verträge gleich auf der Basis einer Währung ab, die als solide und stabil gilt. Lange Zeit war das in der westlichen Welt der US-Dollar; seit einiger Zeit ist dazu auch die DM recht beliebt... Diese Währungen spielen dann allerdings eine Schlüsselrolle, und die Politik der betreffenden Nationalbanken und Finanzminister wird besonders aufmerksam beobachtet, weil sich deren Maßnahmen nicht nur auf das eigene Land auswirken...) fleissaufgabe ECU

Das ist einer der Gründe dafür, daß die EG-Staaten, wenn sie schon ihre Volkswirtschaften zu einem einheitlichen Binnenmarkt zusammenführen, auch eine Währungsunion anstreben: Ein wirklich einheitlicher Markt funktioniert nämlich erst dann - nein, nicht wenn es eine einheitliche Währung gibt, sondern wenn die Wechselkurse (die relativen Wertverhältnisse der Währungen) ebenso unverrückbar feststehen wie das Verhältnis von Schilling zu Groschen — nämlich 1:100.

Zwischen einzelnen Staaten gibt es so etwas schon, etwa zwischen Deutschland und Österreich: Eine DM entspricht seit Jahrzehnten unfefähr sieben Schilling, mit kleinen chwankungen. (Vor der Einführung dieser Ankoppelungspolitik gab es nicht weniger als 14 Abwertungen des Schilling...)

Daß man sich in Maastricht dazu entschlossen hat, über das eigentliche Ziel (die festen Wechselkurse) hinaus auch noch eine neue, europäische Geldsorte einzuführen — „ECU” genannt (früher hieß eine französische Münze so, aber das Wort ist auch die Abkürzung für „European Currency Unit” = „Europäische Währungseinheit) - ist sozusagen eine zusätzliche Fleißaufgabe. Der ECU soll den Zahlungsverkehr erleichtern, Umwechselbemühungen und Spesen einsparen (siehe vorhin erwähntes Beispiel) -und sozusagen die Unwiderruflich-keit der Währungsunion zusätzlich dokumentieren.

Wertbeständigkeit

Vielleicht mag es aufs erste nicht ganz leicht sein, sich umzugewöhnen und eben dann statt der Zehn- und der 20-Schilling-Münzen vor allem eine Art 15-Schilling-Münze in der Geldbörse zu haben (so viel wird etwa ein ECU wert sein). Aber im Prinzip wäre es sogar möglich, beim Inkrafttreten der Endstufe deY Währungsunion die Relationen so zu modifizieren, daß auf einer ECU-Münze beispielsweise in der deutschen Ausgabe „zwei Mark” oder in der österreichischen Version „15 Schilling” stehen kann (neben der „1 ECU '-Angabe oder auf der Kehrseite). Eine kleine Wertmanipulation wäre das allerdings schon. Konsequenter wäre es wohl, nur eine Sorte von Münzen zu prägen.

Viel wichtiger ist allerdings, ob die ECU-Banknoten oder Münzen wertbeständig bleiben. Dazu hat der Maastrichter Vertrag recht strenge Begeln eingeführt: die Stabilitätsre-geln für die zukünftige Europäische Zentralbank sind genau so streng wie die des deutschen Bundesbankgesetzes. (Die Deutschen waren nur unter dieser Bedingung bereit, den Umstieg auf die europäische Währung ins Auge zu fassen.)

Nun ist aber die „WWU” nicht nur eine Währungs-, sondern auch eine Wirtschaftsunion. Damit ist gemeint, daß nicht nur die Währung, sondern auch die Wirtschaftspolitik zur gemeinsamen Sache wird.

Das hat folgenden Hintergrund: Wenn man die Grenzschranken abbaut, den Marktkräften freie Bahn schafft (eben dies ist der Sinn des „Binnenmarktes” weil dadurch die Gesamtleistung größer wird), dann heißt das auch: die einzelnen Regierungen können sich nicht mehr so recht dagegen wehren, daß zum Beispiel Inflation über die Grenze schwappt, daß Arbeit und Kapital dorthin strömen, wo man sich den größten Vorteil verspricht - daß also die Wirtschaftsentwicklung im nationalen Rahmen nicht mehr recht gesteuert werden kann. muß ein gemeinsames System der Regelung und Steuerung einführen. Der Binnenmarkt würde nämlich zerreißen, wenn im einen Land wirtschaftspolitisch „Hü!” und im anderen „Hott!” kommandiert wird.

Auch hier hat man sich auf eine Linie geeinigt, über die es noch vor 15 oder 20 Jahren keine Übereinstimmung gegeben hätte: Die Wirtschaftspolitik wird nicht in die Hand einer europäischen Steuerbehörde gegeben, sondern sie bleibt in den Händen der Mitgliedstaaten. Aber diese verpflichten sich, Regeln einzuhalten, die das Auseinanderdriften verhindern sollen und insbesondere die Stabilität der Gemeinschaftswährung nicht Zerreißproben aussetzen. Konkret heißt das zum Beispiel, daß man nicht in einem Land auf Kosten der übrigen hemmungslos das Budgetdefizit hochspielen darf...

Union sieht Sanktionen vor

Damit diese Regeln nicht nur auf dem Papier stehen, hat der Unionsvertrag auch Sanktionen vorgesehen: Wer übermäßig „auf Pump lebt”, bekommt schlechtere Kreditbedingungen oder bekommt seine Einlagen in die Gemeinschaftskasse so lange nicht verzinst, bis der Schuldenstand wieder normal geworden ist. Damit sich die Regierungen nicht zu unsolider Geldpolitik verführen lassen, wird die Haftung der Union für einzelstaatliche Schulden ausgeschlossen, und zugleich wird ihnen die Möglichkeit genommen, durch die Beschleunigung des Geldrung durch die Notenbank”) den Bürgern in die Tasche zu greifen, ohne daß diese das merken.

Das theoretische Konzept der WWU ist also ziemlich klar. Seit dem Maastrichter Vertragsabschluß ist allerdings deutlich geworden, daß die Verwirklichung mühsamer ist, als das zuerst gedacht war. Die Abstände zwischen „starken” und „schwachen” Staaten sind so groß, daß die von den starken Mitgliedern gewünschte Stabilitätspolitik - Verzicht auf das Schuldenmachen zur Erhaltung der Geldwertstabilität -die schwächeren überfordert, zumindest nach deren eigener Auffassung. Das Maastrichter Rezept, ihnen bei ihrer eigenen Stärkung zu helfen, kostet Geld. Die Finanzminister haben es aber schwer, die dazu erforderlichen Mittel aufzubringen.

Als der Vertrag ausverhandelt wurde, nahm man noch an, daß die reichen Deutschen den Löwenanteil tragen würden. Inzwischen ist deutlich geworden, daß die Sanierung Ostdeutschlands die deutschen Finanzen bis zur Grenze des Erträglichen in Anspruch nimmt - für den „Kohäsionsfonds” der EU, der die WWU absichern soll, ist da nicht mehr viel zu bekommen ...

So ist derzeit noch nicht abzusehen, was aus dem WWU-Projekt werden wird. Auf der Tagesordnung wird das Thema Wirtschafts- und Währungsunion jedenfalls bleiben -nicht nur weil sie im Unionsvertrag steht, sondern weil ohne sie auch der Gemeinsame Binnenmarkt gefährdet wäre. Und auf den will keiner der Mitgliedstaaten verzichten.

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