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Angst vor monetären Kraßakten

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Kommt sie wirklich? Oder doch nicht? Kaum ein Thema wird so kontroversiell diskutiert wie die Europäische Währungsunion.

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Kommt sie wirklich? Oder doch nicht? Kaum ein Thema wird so kontroversiell diskutiert wie die Europäische Währungsunion.

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Es gibt kaum ein aktuelles Wirtschaftsthema von internationalem Interesse, das unter Fachleuten wie in der breiten Öffentlichkeit so ausführlich diskutiert und so kontroversiell beurteilt wird wie die Europäische Währungsunion. Die Angst ist weit verbreitet, wenn auch unterschiedlich motiviert: Die Bevölkerung in den Hartwährungsländern wie Deutschland, Holland oder Österreich befürchtet den Verlust der Stabilität ihres Geldes, während man in Weich-währungsländern die Sorge hat, vom Brüsseler Integrationsprozeß mit weitreichenden wirtschaftlichen Folgen abgekoppelt zu werden und letz-lich als Europäer zweiter Klasse zu gelten.

In allen Lagern aber finden sich Skeptiker, die das Projekt überhaupt aus grundsätzlichen Erwägungen mißbilligen: Erst vor wenigen Tagen suchte ein alter Freund, der als Bankier in New York lebt, in einem langen Gespräch nach einer Begründung für die Entschlossenheit des deutschen Bundeskanzlers, die starke D-Mark aufzugeben und sich auf das „Abenteuer einer gemeinsamen europäischen Währung” einzulassen. Er hatte zuvor mit vielen Deutschen gesprochen, die das Eurogeld mit Entschiedenheit ablehnen. Die Beteuerung, daß die gemeinsame europäische Wahrung so stabil wie die D-Mark sein werde, findet offenbar wenig Glauben.

Sind diese Befürchtungen berechtigt? Im Vertrag von Maastricht wurden bestimmte „Konvergenzkriterien” als Voraussetzung für die Teilnahme an der Währungsunion festgelegt, die eine solide Wirtschaftspolitik und damit auch die Stabilität des Euro-Geldes garantieren sollten. Danach muß das öffentliche Defizit im Jahr unter drei Prozent, die gesamte Staatsverschuldung unter 60 Prozent des Bruttoinlandsproduktes gehalten werden.

Weitere- Bedingungen sind begrenzte Inflationsraten und Zinssätze im Verhältnis zu den drei stabilsten Ländern. Ende 1997 soll eine Regierungskonferenz mit qualifizierter Mehrheit entscheiden, welche Mitgliedstaaten diese Voraussetzungen erfüllen. Es ist vorgesehen, daß die Einheitswährung in der 1999 beginnenden Startphase nur für den Zahlungsverkehr zwischen den Zentralbanken und den Geschäftsbanken obligatorisch sein wird. Großunternehmen könnten sich freiwillig umstellen. Vom 1. Jänner 2002 an würden alle Renten, Sozialleistungen und die Gehälter im öffentlichen Dienst in Euro-Geld ausbezahlt werden. Die private Wirtschaft habe dann weitere sechs Monate Zeit.

Die Bedenken in den Hartwährungsländern gehen in zwei Richtungen: Zunächst bestehen ernste Zweifel, ob eine ausreichende Zahl von Mitgliedstaaten mit entsprechender Potenz die Kriterien bis zum vorgesehenen Zeitpunkt überhaupt erfüllen. Zur Zeit sind lediglich zwei Mitgliedstaaten der EU - Deutschland und Luxemburg - in der Lage, allen vier Voraussetzungen zu entsprechen. Vier Länder - Portugal, Spanien, Griechenland und EWG-Gründungsmitglied Italien - werden in diesem Jahr keines der Konvergenzziele erreichen. Frankreich liegt bei einem Budgetdefizit von 5,4 Prozent des Bruttoinlandsproduktes, Dänemark und Irland bei der Gesamtverschuldung deutlich über dem vorgesehenen Limit, während Schweden drei der vier Kriterien nicht erfüllt. Österreich, das noch vor zwei Jahren alle Bedingungen für die Teilnahme an der Währungsunion einhalten konnte, hat jetzt ernste Probleme mit dem Budgetdefizit und der Gesamtverschuldung. Hier werden die Grenzwerte bei steigender Tendenz bereits deutlich überschritten.

Eine in letzter Zeit.immer deutlicher artikulierte Sorge bezieht sich vor allem auch auf die Zeit nach der Einführung der Euro-Währung: Was geschieht, wenn ein Land zwar Ende 1997 die Konvergenzkriterien erfüllt, später jedoch unter innenpolitischem Druck vom Stabilitätskurs abweicht? Die Skeptiker fragen überspitzt: Kann man von einem Land verlangen, ökonomischen Selbstmord zu begehen, bloß um europawährungsfähig zu bleiben? Sind unterschiedliche Strukturen, Mentalitäten und wirtschaftliche Präferenzen, die möglicherweise erst zu einem späteren Zeitpunkt aufbrechen, durch monetäre Kraftakte zu überwinden?

Der Präsident des Europäischen Währungsinstituts (EWI), Alexandre Lamfalussy, hält das im Maastrichter Vertrag vorgesehene Verfahren bei übermäßigen Defiziten für zu schwerfällig und langwierig, um abschreckend zu wirken. Daher müsse die Koordinierung der Finanzpolitik der Mitgliedstaaten institutionalisiert werden.

Eine einheitliche Währung ist in jedem Land am ehesten akzeptabel, in dem die Produktionsfaktoren besonders mobil, die Wirtschaft gegenüber dem Ausland besonders offen, die Industrie besonders stark diversifiziert ist, je flexibler Preise und Löhne reagieren und je mehr die wirtschaftlichen Probleme denen der Unionspartner gleichen. Die sogenannten Konvergenzkriterien der Währungsunion erfüllen die Bedingungen eines optimalen Währungsbildes noch nicht.

Von einer Verschärfung der Konvergenzkriterien wollen die Weich-währungsländer natürlich nichts wissen. Sie überlegen im Gegenteil, wie man durch eine Lockerung der aus ihrer Sicht zu starren Bedingungen zu einer Teilnahme an der Währungsunion kommen könnte. Ein kleines Schlupfloch bietet sich durch eine Bestimmung des Maastrichter Vertrages an, wonach die Regierungskonferenz vorübergehend eine höhere Staatsverschuldung, Inflationsrate oder Zinssätze akzeptieren kann, wenn ein Land durch wirksame Maßnahmen deutlich macht, daß es auf dem guten Weg zur Erfüllung der Kriterien ist. Relgien und Irland werden von dieser Möglichkeit sicher Gebrauch machen müssen.

Einem weiteren Aufweichen der Konvergenzkriterien hat allerdings das Deutsche Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe einen Riegel vorgeschoben. In seinem Urteil über die Verfassungsbeschwerde gegen den Maastrichter Vertrag wurde festgestellt, daß die Währungsunion als „Stabilitätsgemeinschaft” konzipiert ist. Somit wäre die Erfüllung der Konvergenzkriterien eine Vorbedingung für die Akzeptanz des Europageldes.

Eine weitere Möglichkeit, die Währungsunion von Anfang an für mehr Länder zu öffnen, bestünde in einer Terminverschiebung um zwei oder drei Jahre, die allerdings vom Rat der Wirtschafts- und Finanzminister und der Komission bisher strikt abgelehnt wurde. Immerhin hat der italienische Ministerpräsident Dini erst vor kurzem einen solchen Vorschlag gemacht. Und der britische Finanzminister, Kenneth Clarke, äußerte in einem Zeitungsinterview zwar Sympathien „für das generelle Ziel einer Wirtschafts- und Währungsunion”, sieht aber noch keinen Zeitplan für deren Verwirklichung. Den im Vertrag von Maastricht festgelegten Termin bezeichnete er als „vollständig tot”.

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