Null-Defizit - kein Dogma

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In Europa ist die Debatte über die Lockerung des Stabilitätspaktes voll entbrannt.

Alarmmeldungen von der Wirtschaftsfront: ins Bodenlose fallende Aktienkurse, steigende Arbeitslosenzahlen - 4,3 Millionen in Deutschland, dem wirtschaftlichen Zugpferd Europas für Anfang 2003 - und nach unten revidierte Wachstumsraten - 0,9 Prozent für Österreich (im Juli rechnete man noch mit 1,5) und 0,4 Prozent in Deutschland.

Dementsprechend tun sich die Finanzminister schwer, ausgeglichen zu budgetieren. Denn weniger Wachstum heißt weniger Einnahmen, und mehr Arbeitslose bedeuten höhere öffentliche Ausgaben. Die Schere öffnet sich. Einige Länder schaffen die Maastricht-Kriterien kaum. Ihr Budget-Defizit gerät hart an die vereinbarte Obergrenze von drei Prozent. Keine Rede davon, das Stabilitätsziel zu erreichen, also bis 2004 ausgeglichen zu budgetieren. Portugal, Deutschland, Frankreich und Italien - also vor allem Europas Große - kämpfen besonders mit Haushaltsproblemen.

Daher schlug die EU-Kommission letzte Woche vor, die Erfüllung des Stabilitätspaktes auf 2006 zu verschieben. Sie komme damit "den Haushaltssündern unter Europas Regierungen weit entgegen", kommentierte Die Welt. Das sei fast eine Verzweiflungstat.

Kritik auch vom Internationalen Währungsfonds. Dessen Chef, Horst Köhler, forderte am Sonntag mehr Haushaltsdisziplin von Europa. Unmut auch in der Europäischen Zentralbank: Der Stabilitätskurs des Euro sei gefährdet.

In der EU selbst gehen die Meinungen auseinander: Die um Budget-Sanierung bemühten Länder (2001 hatten acht der zwölf Euro-Länder ausgeglichen oder positiv bilanziert) sind gegen die Aufweichung des Paktes, allen voran Spanien, Belgien, Holland und Österreich. Kommentar von Finanzminister Karlheinz Grasser: Sich nicht an den Pakt zu halten oder ihn neu zu interpretieren, sei ein katastrophales Signal. Und Wirtschaftsminister Martin Bartenstein in der Presse: Ein Wachstum von immerhin ein Prozent in der EU rechtfertige die Aufweichung des Stabilitätspaktes nicht. "Wenn ich in einer Phase mäßiger Konjunktur mit dem Budgetdefizit in Richtung drei Prozent gehe, was passiert dann, wenn es wirklich zu einer Rezession kommen würde?"

Wachstumsimpulse

Die Opposition sieht es anders: Alfred Gusenbauer betonte, man habe auf EU-Ebene einen "Stabilitäts- und Wachstumspakt" geschlossen. Jetzt sei es eben an der Zeit, mit Mehrausgaben Wachstum zu fördern. Und Alexander Van der Bellen will überhaupt von der Drei-Prozent-Grenze wegkommen. Das Stabilitätserfordernis sollte sich nur auf die strukturellen, die regelmäßig anfallenden Ausgaben beschränken.

Namhafte Wirtschaftsforscher sekundieren: Klaus Zimmermann, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung, hält eine Reform des Stabilitätspaktes für notwendig. Aus konjunkturellen Gründen müsse man die Drei-Prozent-Grenze überschreiten dürfen. Und Bernhard Felderer, Chef des Instituts für Höhere Studien in Wien, einer der Prognose-Gurus Österreichs: Das Ziel Null-Defizit sei kein "Glaubensbekenntnis". Nur langfristig sei das Budget auszugleichen. Und warum sollte Österreich den Musterschüler spielen, wenn die Großen die Sache auch nicht so ernst nehmen?

Kein Verzicht auf Stabilität

Die Argumente werden also hin- und hergeschoben. Tatsächlich bedenklich ist, dass das Erreichen des Stabilitätszieles nun zum zweiten Mal (zunächst war 2002 anvisiert) aufgeschoben wird. Verständlich, dass viele befürchten, man werde demnächst ganz auf die mit dem Euro eingegangenen Verpflichtungen vergessen. Das verunsichere die Wirtschaft, und es sei kein Wunder, dass nur schleppend investiert wird, wenn sich die Prämissen dauernd ändern.

Das hat etwas für sich. Denn Politiker sind nun einmal Meister im Versprechen und brauchen Vorgaben, die ihre Ausgabenfreudigkeit beschränken. Budget-Disziplin ist auch notwendig, weil die Euro-Länder in einem Währungsboot sitzen. Sie müssen sich aufeinander verlassen können.

Andererseits hat die jetzige Debatte auch ihr Gutes. Die Frage, worum es beim Stabilitätspakt eigentlich geht, wird neu aufgerollt: Engt man den Staaten durch das Dogma vom Null-Defizit nicht den Handlungsspielraum in der Konjunkturpolitik zu sehr ein? Geht es nicht eher darum, das strukturelle Defizit, das vor allem aus zu hohen Aufwendungen für den Staatsapparat und das Sozialsystem resultiert, zu beseitigen?

Wenn Letzteres im Vordergrund steht, kann die Drei-Prozent-Grenze schon eine Selbstfesselung der Regierungen darstellen. Gerade jetzt wird in Europa Ausschau nach Wachstumsimpulsen gehalten. Woher aber sollen diese kommen, wenn man das Null-Defizit zur größten Polit-Tugend hochstilisiert? Soll alles Wirtschaftsheil immer nur von einem US-Aufschwung kommen?

Mittelfristig ausgeglichen zu budgetieren, um die Staatsverschuldung nicht zu erhöhen, dazu sollten sich die Staaten verpflichten und ihr Wohlverhalten durch Regeln absichern. Aber bei Bedarf Impulse für die Wirtschaft setzen zu können, ist ebenso wichtig. Daher braucht es die Freiheit, einer Wirtschaft, die ins Stocken gerät, mit langfristig sinnvollen Investitionen auf die Beine zu helfen. Und da darf die ominöse Drei-Prozent-Grenze schon auch ab und zu überschritten werden.

christof.gaspari@furche.at

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