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Mut zum Schuldenmadien?

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Zurückgekehrt vom Kongreß der Sozialistischen Internationale in Berlin und vollgetankt mit guten Ratschlägen von Freund Willy Brandt — dem man nachsagt, er sei innerparteilich der schärfste Kritiker der Stabilisierungspolitik seines Kanzlerschaftsnachfolgers Schmidt — setzte Bruno Kreisky zum härtesten Konjunktur-Poker der Nachkriegszeit an, demgegenüber sich alles Bisherige wie betuliche Rummy-Partien ausnimmt. Ob er freilich die Karten so hart auf den Tisch knallen wird, wie die energischen Sprachgesten bei einem in erster Rage gegebenen „AZ“-Interview vermuten lassen, bleibt abzuwarten, Einige Tage später gab sich jedenfalls der routinierte Taktiker einer Gruppe von Auslandsjournalisten gegenüber in puncto Staatsausgaben bereits wieder beträchtlich zurückhaltender.

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Zurückgekehrt vom Kongreß der Sozialistischen Internationale in Berlin und vollgetankt mit guten Ratschlägen von Freund Willy Brandt — dem man nachsagt, er sei innerparteilich der schärfste Kritiker der Stabilisierungspolitik seines Kanzlerschaftsnachfolgers Schmidt — setzte Bruno Kreisky zum härtesten Konjunktur-Poker der Nachkriegszeit an, demgegenüber sich alles Bisherige wie betuliche Rummy-Partien ausnimmt. Ob er freilich die Karten so hart auf den Tisch knallen wird, wie die energischen Sprachgesten bei einem in erster Rage gegebenen „AZ“-Interview vermuten lassen, bleibt abzuwarten, Einige Tage später gab sich jedenfalls der routinierte Taktiker einer Gruppe von Auslandsjournalisten gegenüber in puncto Staatsausgaben bereits wieder beträchtlich zurückhaltender.

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Dennoch, die ersten Formulierungen des Kanzlers waren so markant, daß wir an ihnen nicht Vorbeigehen dürfen. Nach der Ankündigung, daß in Sachen Konjunkturpolitik nun energisch Gas gegeben werden solle, kulminierten Bruno Kreiskys Reflexionen in dem Satze, der Staat müsse „Mut zum Schuldenmachen“ haben.

In den sechziger Jahren allerdings, als die ÖVP-Regierung diesen „Mut" aufbrachte, zeigte sich der gleiche Bruno Kreisky weniger hingerissen davon. 7 Milliarden Defizit seien ein Wahnsinn, verkündete er und malte den Staatsbankrott der „Schulden- macher“-Regierung in schwärzesten Farben an die Wand. 1974 machte allein das zusätzliche Defizit, welches ohne Ermächtigung durch das Parlament über das präliminierte hinaus entstand, 7 Milliarden aus — aber vom Staatsbankrott ist jetzt nicht mehr die Rede.

Sicherlich handelt es sich dabei noch um Bagatellen, verglichen mit dem, was uns 1975 bevorsteht. Allein Im Budgetvoranschlag scheint ein Passivum von 16,3 Milliarden Schilling auf, zu dem noch die „Stabilisierungsquote“ von weiteren 2 Milliarden kommen wird, denn diese wird aus konjunkturellen Gründen todsicher in Anspruch genommen werden. Außerdem müssen noch die 7 Milliarden Defizit aus dem Jahr 1974 irgendwie bedeckt werden, denn auch Tricks mit einem teilweisen Vortrag dieser Schuld auf 1976 ändern nichts daran, daß sie existiert und den daraus entstandenen Verbindlichkeiten nachgekommen werden muß. Alles in allem ergibt das bereits ein Passivum von mehr als 25 Milliarden Schilling. Angeblich, so wird kolportiert, betrachte der Finanzminister weitere Ausgaben von 6,2 Milliarden als „unvermeidlich“. Wahrscheinlich haben die Mut-Parolen des Kanzlers auch gar keinen anderen Zweck, als den Boden für das intern längst beschlossene Zusatz-Passivum psychologisch vorzubereiten.

Aber das alles sei nicht schlimm, versichert utis der Generaldirektor der Notenbank, deren Politik eigentlich ein Korrektiv für die Finanzpläne der Regierung sein sollte. Österreich sei auf den internationalen Finanzplätzen eine „erste Adresse“, Ölscheichs und Konsorten warten nur so darauf, uns Kredite zu geben — zu entsprechenden Zinsen, versteht sich.

Wir sehen also, am Mut zum Defizit mangelte es auch bisher nicht, es bedurfte nicht erst weiterer Mutinjektionen für den Kanzler.

Sicherlich, der Kanzler hat Gründe für seine Courage: Er möchte „mit Volldampf mehr Investitionen“ durchführen, „um das hohe Be- schäftigtenniveau zu halten“. Dazu können die Dialoge mit Brandt beigetragen haben, denn dieser gibt — aus naheliegenden Gründen — am schwindenden Wählervertrauen für die SPD der Politik seines Nachfolgers schuld, der Arbeitslosigkeit riskierte. Kreisky möchte daher um jeden Preis in Österreich die Vollbeschäftigung aufrechterhalten, zumindest — und das ist der Haken — bis zu den Nationalratswahlen. Die Rechnung für die gewaltsame Prolongation der Hochkonjunktur wird erst nachher präsentiert — und sie dürfte ein arger Schock werden.

Offenbar spekuliert die Regierung darauf, daß, wenn es gelingt, nochmals die absolute Mehrheit zu er-* ringen, ihre Position stark genug sein werde, um dem Österreicher die unvermeidlichen bitteren Pillen Steuererhöhungen und Stagflation — also verstärkte Inflation bei gleichzeitigem Restriktionskurs — zum Schlucken geben zu können. Sollte hingegen die SPÖ in Opposition ge hen, so werden den Nachfolgern auf der Regierungsbank finanzpolitische Tretminen hinterlassen, welche sie in der Luft zerreißen müssen. Es ist eine gefährliche „Nach-uns-die- Sintflut“-Mentalität, von der man sich gegenwärtig allzuleicht’ leiten lassen könnte.

Wir haben die „totale Wahlpolitik“ in Österreich bereits mehrmals erlebt. Die FURCHE gehörte immer zu jenen Warnern, die darauf verwiesen, daß der Preis für „Geschenke“ in Form von verstärkter Inflation und Budgetdefiziten werde entrichtet werden müssen. Werden wir nun in größeren Dimensionen und mit fataleren Konsequenzen das gleiche erleben?

Sicherlich darf die Regierung konjunkturpolitisch nicht inaktiv bleiben. Aber Konjunkturankurbelung mit noch höheren Budgetdefiziten ist das letzte, was wir brauchen können. Bei allem Verständnis dafür, daß die Regierung auch die nächste

Wahl gewinnen möchte, muß doch verlangt werden, daß auch bei der Wahlstrategie gewisse Grenzen

Wirtschafts- und fiskalpolitischer Moral eingehalten werden.

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