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Das große Unbehagen

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Die Art der Budgeterstellung ist regelmäßig rasch vergessen, wenn nur ein materiell einigermaßen befriedigendes Budget folgt. Das war diesmal nicht der Fall, und so verdichten sich Art und Weise des Zustandekommens mit dem Inhalt des Budgets selbst zu einem einheitlichen Eindruck einer politischen Niederlage der Bundesregierung.

Ist das Budget wirklich so schlecht? Einige für eine positive Wertung ins Treffen zu führende Argumente sollten nicht glattwegs bagatellisiert werden. Daß sich die Bereitschaft der einzelnen Bünde und Interessengruppen zur Verständigung letztlich doch als stärker erwiesen hat als der jeweilige Interessenstandpunkt, mag mehr als Selbstverständlichkeit denn als Positivum gewertet werden. Aber die beiden eigentlichen Hauptrichtungen der Kritik sind einander gerade entgegengesetzt, und wenn das Budgetdefizit in Höhe von 6,9 Milliarden Schilling (bei Berücksichtigung des Eventualbudgets werden es respektable 9,2 Milliarden Schilling) unter konjunkturpolitischen Aspekten als zu niedrig, unter dem Aspekt der Finanzierung und der Vermeidung eines zu raschen Anwachsens der Staatsverschuldung dagegen als zu hoch kritisiert wird, so kann der gefundene Mittelweg zwar nicht als golden, aber doch als einigermaßen ausgewogen angesehen werden. Berücksichtigt man weiters die reichlich tristen Perspektiven für die Budgets der nächsten Jahre, dann lassen sich die Argumente von der erforderlichen Weichenstellung und den strukturellen Verbesserungen auf die immerhin einleuchtende Notwendigkeit reduzieren, mit Ausgabenkürzungen und Einnahmenerhöhungen so früh als möglich — beziehungsweise so weit als möglich vor den nächsten Nationalratswahlen — zu beginnen. Und nachdem man sich für die nächsten Jahre noch genug an weiteren Sparmaßnahmen wird einfallen lassen müssen, war es sogar naheliegend, die unpopulärsten voranzustellen.

Aber alle Argumente reichen nicht aus, um das weitverbreitete Unbehagen wegleugnen zu können, das durch dieses Budget ausgelöst wurde. Sicher kann man eine ganze Liste von Ungeschicklichkeiten zusammenstellen, die dafür verantwortlich gemacht werden könnten. Das betrifft das Wechselbad von Senkung der direkten und Erhöhung der indirekten Steuern ebenso wie die in mehrfacher Hinsicht unklugen Versuche, den Bauern den Schwarzen Peter zuspielen zu wollen, und

das betrifft den Fehler, sich durch zu triviale Argumentation in eine unnötige Alternative zwischen Konjunkturbelebung und möglichster Begrenzung des Defizits hineintreiben zu lassen. Denn nachdem es fast schon zum Abc der Finanzwissenschaft gehört, daß die Struktur der Einnahmen und Ausgaben für die konjunkturellen Wirkungen eines Budgets von weit größerer Bedeutung sind als die bloße Saldengröße des Defizits, müßte es sich eigentlich vermeiden lassen, daß so unterschiedliche Dinge wie die Konjunkturbelebung einerseits und die viel berufene Sorgfalt eines ordentlichen Hausvaters anderseits auf der einheitlichen Skala der Größe des Defizits gemessen werden.

Die obige Aufzählung ließe sich noch verlängern. Die Frage ist nur, welche Schlüsse man daraus ziehen kann und soll. Nicht nur die Opposition, sondern durchaus neutrale und auch sonst der Regierung freundlich gesinnte Stimmen ergehen sich in Ratschlägen, zum nächstpassenden Termin das Kabinett weitgehend zu erneuern, „gewisse Höhenflüge alpinen Sendungsbewußtseins wieder auf das Maß der innerparteilichen und innenpolitischen Realitäten zurückzuführen“ und dergleichen.

Liegt es wirklich nur daran? Es scheint plausibel, die gemachten Fehler zu addieren und als Endergebnis Versagen zu konstatieren. Aber vielleicht liegen die eigentlichen Ursachen des Mißvergnügens ganz anderswo. Es scheint, als ob die politische Atmosphäre des Landes schon vor diesem Budget in eine Art nervöser Spannung und erhöhter Empfindlichkeit aller Gruppen geraten sei. In einer solchen Atmosphäre bedarf es nur noch eines auslösenden Moments, um die dauernd latent vorhandenen Interessengegensätze mit aller Schärfe aufeinanderprallen zu lassen. Jede einzelne Maßnahme der Regierung wird dann optisch vergrößert und vergröbert, und die Unmöglichkeit, zur Alternative gewordenen Zielsetzungen gleichzeitig gerecht zu werden, wird zum Anlaß unkontrollierbarer emotioneller Stimmungen.

Aus diesen Gründen sollte man nicht nur nach Sündenböoken suchen und glauben, durch ein paar personelle Veränderungen die Situation bereinigen zu können (ob solche personellen Maßnahmen nicht schon früher notwendig gewesen wären, steht auf einem anderen Blatt). Das Budget ist nicht mehr als einer von vielen möglichen Anlässen, zu welchen sich eine tiefergehendie Malaise manifestiert. Woran es fehlt, ist ein klarer, für alle Interessengruppen akzeptabler und damit realisierbarer wirtschaftspolitischer Kurs der Bundesregierung. Solange man für das Verhältnis zwischen den Zielsetzungen Erhaltung des Geldwertes und Förderung des Wirtschaftswachstums auch in der gegenwärtigen Situation noch immer kein anderes Rezept weiß, als immer weiter zu bremsen und zu stabilisieren, um damit erst die Basis für einen neuen Aufschwung zu schaffen, solange darf man sich über Verschiedenes nicht wundern: Darüber nicht, daß in der Praxis der Versuch zur Stabilisierung des Preisniveaus darauf hinausläuft, indirekte Steuern und damit das Preisniveau

selbst anzuheben, und auch darüber nicht, daß man ferner an der Lohnfront glatt überrollt wird, ohne auch nur eine vernünftige Verteidigungslinie finden zu können. Die Argumente für und wider eine Strategie der Lohnbremse werden vermutlich ebenso wenig zu einem abschließenden Ergebnis führen wie es beim sinngemäß ähnlichen Problem der Schutzzölle der Fall war. Aber die praktische Wirksamkeit dieses im übrigen rein defensiven Konzepts läßt sich gerade in diesen Wochen augenscheinlich feststellen. Es wäre höchste Zeit für die Erkenntnis, wie wenig Chancen auf Verwirklichung (und auf Erfolg) das jetzige starre Konzept hat, und es wäre ebenso höchste Zeit, klare Prioritäten zu schaffen und sich endlich einmal zu einem wirklich expansiven Kurs zu entschließen. Erst dann wird man überhaupt erst die Chance haben, auch politisch akzeptable Budgets zu formulieren, und erst dann wird man die gegenwärtige Schärfe der Auseinandersetzungen und das ent-

standene Mißtrauen beheben können.

Die ökonomische Begründung für das jetzige Lavieren ist derart windschief, daß eine etwaige Erklärung mit fachlicher Inkompetenz der Spezialisten nicht zufriedenstellen kann. Eher scheint es, als ob die Wirtschaftspolitik der Regierung nicht von drei Bünden, sondern nur von einem Bund gesteuert würde, der überdies bei der Formulierung seiner eigenen. Interessen nicht weiter blickt' als längstens bis zur nächsten Wahl. Die Regierung selbst hat an die Opferbereitschaft aller appelliert. Man kann wohl weder dem ÖAAB noch dem Bauernbund nachsagen, daß sie diesem Appell kein Gehör geschenkt hätten. Aber das wertvollste Opfer, daß der Wirt-schaftsbund bringen könnte, läge mehr noch als in materiellen Zugeständnissen in der realistischen und nüchternen Überprüfung seiner eigenen Interessen und der Neuformulierung seiner Vorstellungen einer brauchbaren Wirtschaftspolitik.

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