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Flau im Magen

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Jeden Herbst wird die Budgetschlacht geschlagen, wie es im Parlamentsjargon so schön heißt. Auch heuer bleibt sie uns nicht erspart — aber auch heuer ist der Ausdruck „Schlacht“ reichlich hoch gegriffen.

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Jeden Herbst wird die Budgetschlacht geschlagen, wie es im Parlamentsjargon so schön heißt. Auch heuer bleibt sie uns nicht erspart — aber auch heuer ist der Ausdruck „Schlacht“ reichlich hoch gegriffen.

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Auf dem Feldherrnhügel gibt der Finanzminister den budgetären Jahresbefehl aus, seine Anhänger jubeln vorschriftsgemäß und die Opposition läßt ein paar Theaterdonner erschallen. Es wird fleißig beim Fenster hinaus geredet, obwohl jedermann weiß, daß deshalb keine einzige Ziffer am Budget mehr geändert wird. Vor dem Fenster steht Familie Österreicher, die das auch weiß, und sie fühlt sich, weil sie eine moderne Familie ist, „frustriert“.

Müssen Budgetdebatten so sein? Muß die Budgethoheit des Parlaments zur Farce werden?

Gewiß, es war schon immer so in der Zweiten Republik: zuerst wurde in der Koalition paktiert, dann von den jeweiligen Mehrheitskabinetten das Parlament vor fertige Tatsachen gestellt. Und auch zur Zeit der Minderheitsregierung begnügten sich die Freiheitlichen, die schließlich ihre Stimmen auf die Regierungswaage legten, mit den paar kosmetischen Retuschen, die vom Finanzminister ohnehin schon vorprogrammiert waren.

Gerade in diesem Jahr ist das Unbehagen auch des ausgelernten Österreichers aber besonders groß: da verkündete der Finanzminister ein Anti-Inflationsbudget und heraus kommt eine inflationstreibende Ausgabenexplosion. Die Opposition darf sich zwar gehörig entsetzen, aber geändert wird nichts. Unverändert geht das Budget über die Bühne. Dabei sind gewiß auch viele gestandene Sozialisten mit dem neuesten Fabrikat ihres finanzpolitischen Wunderknaben nicht einverstanden; aber Fraktionsdisziplin geht über alles.

Feststeht jedenfalls, daß es ein Rekordbudget ist, ein dreifaches sogar: Rekordausgaben, Rekordsteigerun g, Rekorddeftzit.

Die Ausgaben werden um sage und schreibe 13,24 Prozent gesteigert. In Deutschland bezeichnen die Fachleute eine Steigerung der Budgetauagaben für 1973 um 10,5 Prozent schon als unverantwortlich. Des gegenwärtigen Finanzministers Vorgänger, Schiller, erklärte dazu, 8,5 Prozent wären angesichts der hohen Inflationsrate die äußerste gerade noch zulässige Ausgabensteigerung. Österreich, das die Bundesrepublik in puncto Inflation bereits überholt und im kommenden Jahr ohnehin die Mehrwertsteuer samt ihren preistreibenden Effekten zu bewältigen hat, leistet sich mehr als 13 Prozent Mehrausgaben.

Kein Wunder, wenn dem Österreicher flau im Magen wird. Er würde sich noch etwas wohler fühlen, hätte der Finanzminister wenigstens dieses sein Produkt als zwar unerfreulich, aber unvermeidlich entschuldigt, als letztes Resultat einer fatalen Entwicklung immer wachsender Defizite, unter die ein energischer Schlußstrich gezogen werden müsse.

Aber schon die 113 Maschin-schreibseiten seiner Budgetrede, die der Finanzminister den Abgeordneten zumutet, verraten, daß er auf seine Kreation gehörig stolz ist. Er eröffnete seine Rede daher auch mit den schlichten Worten: „Im Buch der wirtschaftlichen Entwicklung unseres Landes ist eine neue Seite aufgeschlagen.“

Man kann es der großen Oppositionspartei nicht verargen, wenn sie Schadenfreude empfindet. Waren doch der Vorwurf der Inflation und des Schuldenmachens, des unordentlichen Haushaltens, die schärfsten und giftigsten Pfeile, die die sozialistische Partei im Jahre 1970 verschossen hat. Unter deren Auspizien hat sich aber die Inflationsrate verdoppelt, und das Budgetdeflzit ist auf 11,2 Milliarden Schilling angeschwollen, ist in einem einzigen Jahre um 18 Prozent größer geworden.

Nun, beides ist nicht ganz richtig. So arg hätte die Ausgabenexplosion nicht aussehen dürfen, etwas mehr Sparsamkeit wäre durchaus möglich gewesen. Einen entscheidenden Abbau des Defizits hätte aber unter den gegebenen Umständen auch ein anderer Finanzminister nicht zustande gebracht; wohlgemerkt: unter den gegebenen Umständen, denn die Umstände sind es, die die Defizite machen. Der Finanzminister ist zumeist nur ausführendes Organ.

Die Wurzel des Übels heißt Lizita-tionsdemokratie. War schon die Gefälligkeitsdemokratie, die den Interessengruppen ihre Wünsche allzu diensteifrig erfüllte, schlimm genug, so treibt es die Lizitationsdemokratie noch ärger: sie erfindet Wünsche, die die großen Interes-sensgruppen haben könnten und suggeriert sie diesen so lange, bis sie diese wirklich haben. So wird die ,3elastbarkeit“ des Staates und des Steuerzahlers mutwillig erprobt, ohne daß sich jemand Rechenschaft darüber gibt, was geschehen soll, wenn die „Probe“ gelingt und diese beiden zusammenbrechen; denn dann ist es für die Einstellung der Experimente zu spät.

Früher beschränkte man sich auf Wahlgeschenke unmittelbar vor Nationalratswahlen, heute besteht fast die gesamte Legislaturperiode nur noch aus dem Verteilen von Wahlgeschenken. Regierung und Opposition lizitieren um die Wette.

Allerdings wirft die Regierung der Opposition vor, sie treibe ein doppeltes Spiel: auf der einen Seite präsentiere sie teure Sozialprogramme, auf der anderen polemisiere sie gegen die Haushaltsdefizite. Dieser Vorwurf ist gewiß gelegentlich nicht ganz unberechtigt. Allerdings wird eines übersehen: wer anders als die Sozialistische Partei hat ein Vierteljahrhundert lang, sei es als Koalitionspartner, sei es als Opposition, dieses Spiel betrieben?

Ist es weiters erstaunlich, wenn die Opposition den Spieß umzukehren versucht? Ihr Wunsch, sozialpolitisch mitzuwirken, wird um so verständlicher, als die Regierung ohne Rücksicht auf Verluste ihre sozialpolitischen Vorstellungen durchzupeitschen trachtet, auch wenn sie wahrlich keinem dringenden Bedürfnis abhelfen wie etwa die Gra-tisschulbuchaktion.

Gewiß, Österreich braucht heute eine finanzpolitische Atempause. Aber die Regierung darf von der Opposition nicht mehr Zurückhaltung fordern, als sie selbst zu leisten bereit ist; und sie müßte entsprechende Garantien geben, daß sie sich im Falle eines künftigen Rollentausches gleichfalls loyal verhalten werde.

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