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Die Geschenklawine

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Wenn Wahlen näher rücken, läßt sich keine Regierung lumpen. Warum sollte sie auch? Die Geschenke, die sie verteilt, müssen die Beschenkten auf Schilling und Groschen selber bezahlen — freilich nach den Wahlen.

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Wenn Wahlen näher rücken, läßt sich keine Regierung lumpen. Warum sollte sie auch? Die Geschenke, die sie verteilt, müssen die Beschenkten auf Schilling und Groschen selber bezahlen — freilich nach den Wahlen.

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Wenn Wahlen näher rücken, dann werden auf einmal Dinge möglich, die bisher angeblich unmöglich waren. Jahrelang wurde der ÖVP vorgeworfen, sie treibe ein doppeltes Spiel: Auf der einen Seite fordere sie höhere Sozialleistungen, auf der anderen verlange sie Steuersenkungen; beides zugleich sei aber unmöglich, sei unseriöse Politik. Genau das, nämlich Sozialleistungen erhöhen und Steuern senken, plant der Finanzminister nun für das Wahljahr 1975. Also entweder waren die Forderungen der ÖVP doch seriös oder der Finanzminister handelt nunmehr unseriös.

Jetzt auf einmal ist es möglich, die Geburtenbeihilfe von 4000 auf 16.000 Schilling zu erhöhen, also zu vervierfachen und die Kinderbeihilfe, zumindest für das erste Kind, von 270 auf 340 Schilling zu erhöhen. Ob das wirklich die richtige Art von sozial- und familienpolitischen Maßnahmen ist, deren wir am dringendsten bedürfen? Fest steht aber jedenfalls, daß der Finanzminister nunmehr solche Maßnahmen für möglich erachtet — und trotzdem die Steuer senken kann.

Es soll ab 1. Jänner 1975 die Steuergruppe A völlig beseitigt, der Arbeitnehmerabsetzbetrag von 1100 auf 2000 Schilling und der Alleinverdie-nerabsetzbetrag von 1500 auf 2400 Schilling erhöht werden. Darüber hinaus soll auch in den unteren Einkommensbereichen die Progression gemildert werden, was angeblich Nettolohnerhöhungen von drei bis sechs Prozent mit sich bringen wird.

Auch das sind zum Teil Maßnahmen, an deren Stelle man lieber andere gesehen hätte. Fest steht, daß sie möglich sind, jetzt, da es gilt, zwei Landtagswahlen und eine Bundespräsidentenwahl mit der Vorfreude auf die Steuersenkung und die erhöhten Sozialleistungen zu gewinnen, sowie eine Nationalratswahl durch den Genuß derselben.

Den Pferdefuß der Angelegenheit verriet freilich Minister Androsch selbst dieser Tage bei einer Pressekonferenz mit einem wenig beachteten Nebensatz, worin es hieß, daß das Budgetdefizit im nächsten Jahr auf jeden Fall höher sein wird als das schon sehr beachtliche in diesem Jahr. Damit desavouiert aber der Finanzminister seine Behauptung, es handle sich bei seiner Steuerreform gleichzeitig um eine „stabilitätspolitische Maßnahme.“

Die FURCHE hat zwar schon immer die Ansicht vertreten, daß Steuersenkungen im Interesse einer echten Stabilisierungspolitik liegen, aber sie vergaß nie, darauf hinzuweisen, daß dies nur zutreffe, wenn ihnen etwa gleich große Einsparungen in den öffentlichen Haushalten gegenüberstünden und das Ganze nicht durch Erhöhung des Budgetdefizits finanziert würde. Das ist das entscheidende Kriterium.

Werden Steuersenkungen durch erhöhte Verschuldung der öffentlichen Hand finanziert, dann wirken sie inflationistisch — speziell dann, wenn die Inflation ohnehin schon in vollem Gang ist. Der „Schuldenmacher“ Androsch ist allein schon deshalb gefährlicher als der „Schuldenmacher“ Koren, weil er seine Schulden inmitten einer schon bedenklich trabenden Inflation macht.

Die Inflationseffekte sind aber nicht die einzigen Bedenken gegen diese Steuerreform. Es sind auch die Nivellierungstendenzen in der Form problematisch, da sie weniger den Unterschied zwischen arm und reich, als denjenigen zwischen fleißig und faul, zwischen sparsam und verschwenderisch beeitigen. Darüber hinaus sind familienfeindliche Wirkungen zu befürchten und das Ganze ist allzusehr auf momentane Effekthascherei und nicht auf langfristige Sozialwirkungen abgestellt.

Zu den familienfeindlichen Maßnahmen zählt zweifellos die Abschaffung der Steuergruppe A — im Volksmund auch als Junggesellensteuer bezeichnet, da sie die Alleinstehenden im Heiratsalter gegenüber den Ehepaaren benachteiligte — was ja auch der familienpolitische Zweck war. Dies mag freilich als Unrecht erscheinen gegen jene, die gegen ihren Willen durch die Ungunst der Umstände ledig blieben.

Statt aber im Heiratsalter zur Ehelosigkeit steuerlich zu ermuntern, würde es sozial richtiger sein, kinderlosen Alleinstehenden im Fen-sionsalter durch Steuererleichterungen unter die Arme zu greifen. Denn während in jüngeren Jahren das Alleinsein finanzielle Vorteile bringt, sind die ganz auf sich angewiesenen Alten eindeutig im Nachteil.

Aber eine solche Altenhilfe wäre eine langfristige Maßnahme und daher nicht im Sinn eines wahlwerbenden Momentaneffekts. Gerade diesen intendiert jedoch der Finanzminister, wie dies auch in der Vervierfachung der Geburtenbeihilfe zum Ausdruck kommt. Durch die Geburt eines Kindes entsteht — nicht zuletzt auch infolge zahlreicher anderer Sozialmaßnahmen in diesem Zusammenhang (Lohnfortaahlung etc.) — keine extrem starke Belastung der Eltern. Kosten entstehen in erster Linie in späteren Jahren, im Zusammenhang mit der Ausbildung des Kindes. Über Jahre hin verteilte Steuererleichterungen oder Beihilfen sind nun zwar sinnvoller, aber nicht so publikumswirksam wie der einmalige große Betrag bar auf die Hand. Mag er auch familienpolitisch verfehlt sein, die Regierung legt Wert darauf, daß der Geschenkcharakter möglichst deutlich zum Ausdruck kommt.

Jahrelang hatte die Volkspartei die Verwendung der Überschüsse des Familienlastenausgleichsfonds für langfristige Erziehungsbeihilfen gefordert und wurde deswegen von der Regierung der Lizitationspolitik beschuldigt. Jetzt auf einmal ist die Mobilisierung dieser Mittel keine Lizitation mehr, aber sie werden für Maßnahmen von sozial- und familienpolitisch sekundärer Bedeutung wie eben für die Vervierfachung der Geburtenbeihilfe freigeben.

Die Steuerreform, an sich notwendig und längst überfällig, wurde zum Wahlkampfschlager degradiert. Nicht eine sinnvolle Sozial- und Wirtschaftspolitik wird damit anvisiert, sondern nur der Propagandaeffekt.

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