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Balanceakt ohne Sicherheitsnetz

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Es war eher entmutigend, was Englands Finanzminister Sir Geoffrey Howe seinen Landsleuten in einem mittelfristigen Plan für die Zeit bis zu den nächsten Parlamentswahlen 1984 anzubieten hatte: absoluter Rückgang des Volkseinkommens in diesem Jahr, später eine kaum merkliche Erholungsphase; sprunghafter Anstieg der ohnedies hohen Arbeitslosigkeit, stetiger Rückgang der Investitionen und ein Außenhandelsdefizit von beachtlicher Größe.

Die Opposition reißt den zweiten Haushaltsplan der Ära Thatcher in Grund und Boden. Callaghan, ihr Führer, nennt das Budget das „hoffnungsloseste seit dem Zweiten Weltkrieg und das armseligste seit 1931". Die Tories seien die Partei der Reichen; sie unterließen alles, um den Export anzukurbeln, den Arbeitsmarkt zu beruhigen, das lähmend hohe Zinsniveau zu drük-ken, das Wachstum der Volkswirtschaft anzuregen.

Für Kritiker wie Befürworter kommen allerdings die Maßnahmen der Regierung nicht überraschend: Die Grundlinien sind bekannt, seit die konservative Partei ihr Wahlmanifest herausgegeben hat. Margaret Thatcher und ihr Finanzminister stehen eisern zu ihrer „Religion des Monetarismus", der sich in erster Linie gegen die Inflation richtet. Manche fragen sich bereits, ob dies aus Uberzeugung geschieht, oder aus Bindung an die Logik des Aktionsprogramms.

Wie dem auch sei - das Rezept ist einfach: Beschneidung der Geldmenge durch Verringerung der öffentlichen Ausgaben und damit der Staatsverschuldung. Eine absolute Garantie für das Aufgehen der Rechnung gibt es jedoch nicht. Thatchers Mannschaft appelliert daher an die Zukunft, mahnt zur Geduld, warnt vor übereilten Erwartungen, strotzt jedoch nur so vor Uberzeugtheit, nur dieses Programm könne England überhaupt retten.

Zu verargen ist es dem Briten freilich nicht, daß er seine Geduld verliert. Die Tories haben bei ihrem Regierungsantritt eine Inflationsrate geerbt, die sich nun nach fast elf Monaten mit 20 Prozent nahezu verdoppelt hat. Nach den Prognosen des Schatzkanzlers soll die Geldentwertung bis zum Jahresende um einige Grade, bis zum Abschluß der Legislaturperiode auf fünf Prozent herabgedrückt werden.

Freilich ist Howe am gegenwärtig hohen Stand der Inflation nicht ganz schuldlos: In dem Bestreben, die Einnahmen entsprechend dem konservativen Dogma von den direkten auf die indirekten Steuern zu verlagern, wurde im letzten Sommer die Mehrwertsteuer angehoben und damit die Inflation hausintern gehörig angekurbelt. Jetzt rührt der Staat nicht weiter an dieser seiner Einnahmequelle, dafür hält er sich an die Konsumenten von Alkohol und Tabak, schröpft ferner den leidgeprüften britischen Autofahrer.

Erstmals kommt das Nordseeöl auf der Einnahmenseite voll zum Tragen und die Erdölgesellschaften werden gehörig zur Kasse gebeten. Sollte wider Erwarten vom nächsten Gipfeltreffen der Europäischen Gemeinschaft Großbritanniens Nettobeitrag wenigstens teilweise ausgeglichen werden, könnte dieser Zuschuß die öffentlichen Ausgaben weiter kürzen.

Umstritten bleiben die Einsparungen Howes im Sektor soziale Sicherheit: Kinderbeihilfe und Arbeitslosenfürsorge steigen - freilich beträchtlich - unter dem Grad der Inflation. Fortan unterliegt die Unterstützung für vorübergehende Arbeitslosigkeit der Besteuerung, eine Maßnahme, um es reizlos zu machen, ohne Arbeit zu bleiben (auf der Insel ist das Angebot freier Stellen trotz hoher Arbeitslosigkeit umfangreicher als in Staaten auf dem Kontinent).

Nun macht die Regierung ihre Dro-hung'wahr, erstmals die Gewerkschaften bei Streikaktionen finanziell zu belasten, sie zur Unterstützung von Familien Streikender heranzuziehen. Das ist eine klare Kampfansage an die Arbeiterverbände. Deren Führer schäumen, ihre Mitglieder würden schlimmer als Kriminelle behandelt.

Die Gegenaktion ist angekündigt: Am 14. Mai ist Arbeitsniederlegung als Protest gegen die Regierungspolitik ausgerufen. Die wütenden Gewerkschafter vergessen freilich, daß nirgendwo sonst in der Welt Gewerkschaften von der öffentlichen Hand auch dann unterstützt werden, wenn sich deren Aktionen gegen den Staat richten.

Die bisher ziemlich stiefmütterlich behandelten kleinen Unternehmer gehören zu den wenigen, die aus dem Budget Vorteile ziehen können. Steuererleichterungen bieten Anreiz zur Expansion, besonders in sogenannten „freien Unternehmerzonen", wo sie dringend benötigt werden. Das Experiment könnte neue Arbeitsplätze schaffen.

Dagegen fühlen sich die Großunternehmer zurückgesetzt und verweisen mit Recht darauf, daß nur ihr Ausstoß die Exporte heben könne und daß sie die ersten Auftraggeber für die Kleinbetriebe sind.

Die Umschichtung von defizitären Staatsunternehmen zur Privatindustrie ist im neuen Budget noch kaum initiiert. Aber alle Ziele gleichzeitig anzugehen, übersteigt die Kraft des Ministers. Er geht den steinigen Weg zu Preisstabilität, die auf Kosten von Vollbeschäftigung, von Wachstum, außenwirtschaftlichem Gleichgewicht und von Verteilungsgerechtigkeit gehen muß. Um das alles zu erreichen, bedarf es nach Howes Worten „mehr als ein, zwei oder drei Budgets".

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