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Frankreich muß an allen Ecken sparen

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Frankreichs Regierung muß sparen - und zwar an allen Ecken und Enden. Umso'erstaunlicher ist es, wenn Premier Pierre Mauroy mit unerschütterlichem Optimismus verkündet, die Franzosen hätten keinen Kaufkraftverlust zu befürchten.

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Frankreichs Regierung muß sparen - und zwar an allen Ecken und Enden. Umso'erstaunlicher ist es, wenn Premier Pierre Mauroy mit unerschütterlichem Optimismus verkündet, die Franzosen hätten keinen Kaufkraftverlust zu befürchten.

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Mit über zehn Milliarden Francs kürzte gerade der Sozialminister die Leistungen der Arbeitslosenversicherung, da die massive Erhöhung der Beiträge um ein Drittel auf 4,8 Prozent der Bruttolohnsumme und die zum ersten Mal erfolgte Heranziehung der Beamten mit einem theoretisch vorübergehenden Beitrag von einem Prozent nicht ausreichen, um den bis Ende 1983 auf über 30 Milliarden Francs geschätzten Fehlbetrag zu decken.

Andere Maßnahmen lassen das Schicksal der Frührentner, die Plätze freimachen sollen für junge Erwerbslose, materiell kaum ansprechend erscheinen, so daß sich nur noch wenige Franzosen zur vorzeitigen; Pensionierung verleiten lassen dürften. Ab April 1983 erhalten zwar alle das Recht auf den Ruhestand mit 60 Jahren, wenn sie 37'/2 Jahre Sozialversi-

cherungsbeiträge bezahlt haben. Aber die Finanzierung dieser Großzügigkeit ist derartig fragwürdig geworden, daß die meisten vor dem Risiko zurückschrecken werden.,

Das Gleichgewicht des allgemeinen Sozialversicherungssystems ist noch keineswegs gesichert, obwohl auch dafür einige Kürzungen der Leistungen erfolgen und außerdem Sondersteuern für Zigaretten und Alkohol eingeführt wurden. Es erfolgt zudem eine Schmälerung der Familienzulagen.

Die den öffentlich Bediensteten für 1982 und 1983 zugesagten Lohnerhöhungen bleiben aller Wahrscheinlichkeit hinter der Inflationsrate zurück. Auf jeden Fall kann der Einkommensverlust durch die Lohn- und Preisblok-kierung unter den günstigsten Bedingungen erst während der ersten Monate 1984 ausgeglichen werden.

Die problematische Wirtschaftslage zeigt sich auch in der von niemandem bestrittenen Verringerung der Rendite der privaten Unternehmen, die der Wirtschaftsminister im Schulmeisterton gerade darauf hinwies, daß auch sie die Rechnung der Weltkrise zu bezahlen hätten und es um die Gewinne in den anderen Ländern nicht besser stünde. Nur schlägt Frankreich mit einer rund zwei-prozentigen Zunahme der Einkommensabschöpfung durch Steuern und obligatorische Sozialabgaben zwischen 1980 und Anfang 1983 den Rekord. Inzwischen nimmt trotz aller

kostspieligen Bemühungen der Regierung zur Entlastung des Arbeitsmarktes die Erwerbslosigkeit weiter zu. Am Jahresende dürften es fast 2,2 Millionen sein und Ende 1983 nach Schätzungen der offiziellen Sachverständigen zwischen 2,3 und 2,4 Millionen.

Alle Versuche, durch Steuervergünstigungen, Zinsbonifikationen, Krediterleichterungen und Subventionen die Wirtschaft zu erhöhten Investitionen zu veranlassen, sind gescheitert. In erster Linie darum, weil das Vertrauen in die Zukunft fehlt und die dringend notwendige Rationalisierung durch einen verstärkten Entlassungsschutz zu einem finanziell nicht mehr tragbaren Risiko geworden ist.

Was nützt es, leistungsfähigere Maschinen zu kaufen, wenn die dadurch überzähligen Arbeiter nur unter größten Schwierigkeiten und nach langen Fristen entlassen werden können und die Konjunktur keine angemessene Steigerung der Produktion zuläßt?

In nicht geringem Maße ist der absurde Entlassungsschutz auch für die in den Himmel strebenden Verluste der neu verstaatlichten Industrieunternehmen verantwortlich.

Bereits die frühere Regierung hatte die sachlich unentbehrliche Schließung veralteter und zu kleiner Fabriken immer wieder hinausgeschoben. Die Verringerung der Belegschaft der Stahlindustrie hat eine Verspätung von mehreren Jahren. Man braucht sich nicht zu wundern, daß die beiden staatlichen Konzerne in diesem Jahr wieder mit einem globalen Verlust von sechs bis sieben Milliarden Francs abschließen werden. <

Nur noch eine einzige der neu verstaatlichten Industriegruppen arbeitet mit Gewinn. Die Elektri-zitäts- und Gaswerke melden ein Defizit von 12 Milliarden Francs, Pechiney, Renault, Rhöne-Pou-lenc, Thomson und Saint-Gobain rechnen global mit einem Loch von über 10 Milliarden.

Am laufenden Band mobilisiert die Staatskasse Mittel zur Kapitalaufstockung im verstaatlichten Wirtschaftssektor, nicht, wie erhofft, zur Belebung der Investitionen, sondern lediglich zur Dek-kung der Verluste. Die Verwandlung der verstaatlichten Gruppen in kräftige Investitionslokomotiven hat sich als kühner Wunschtraum erwiesen.

Es mangelt demnach nicht an Negativposten in der Bilanz des sozialistischen Experiments. Man muß aber der Regierung ihre feste Entschlossenheit zugutehalten, die teilweise von ihr selbst geschaffenen ungünstigen Realitäten zur Kenntnis zu nehmen, um nunmehr der Eindämmung der Inflation die Priorität einzuräumen, selbst auf die Gefahr hin, von ihren Wählern nicht mehr verstanden zu werden.

Außerdem würde man ein falsches und zu schwarzes Bild der französischen Lage vermitteln, wenn man übersähe, daß ein großer Teil der Franzosen noch nicht gezwungen war, seinen Lebensstil zu ändern.

Die Erklärung liegt in einem Reichtum, der sich stets der Statistik weitgehend entzog und groß genug ist, um von einem sozialistischen Regime in achtzehn Monaten nicht ernstlich gefährdet zu werden.

Die Frage ist nunmehr, wann dfe Austerity die Masse der Franzosen schmerzen wird.

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