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Vergessener Budgetposten

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Österreichs Beamte kämpfen jetzt um Lohnerhöhungen, die anderen Bevölkerungsgruppen schon vor so langer Zeit zugestanden wurden, daß sie längst nicht mehr wissen, daß sie sie überhaupt jemals bekommen haben. Finanzminister Androsch schlägt optischen Profit daraus, daß die Forderungen der öffentlich Bediensteten der tatsächlichen Kaufkraftentwicklung notorisch um viele Monate nachhinken. Dadurch sehen die Beamtenforderungen in der Zeit der jetzigen, niedrigeren Inflationsraten höher aus, als sie tatsächlich sind. Es handelt sich dabei um eine optische Täuschung von ganz besonderer Art: Die Beamten sind erst beim Eintreiben dessen angelangt, was sich andere Gruppen, als Ausgleich für die damaligen Preissteigerungen, schon vor langer Zeit geholt haben.

Während die öffentlich Bediensteten nun erbittert dagegen ankämpfen, zu den konjunkturellen Opferlämmern der Nation gemacht zu werden, verweist Finanzminister Androsch einerseits auf seine leeren Taschen und zieht anderseits psychologischen Gewinn aus der Tatsache, daß die Beamtenforderungen um etliche Prozentpunkte über den gegenwärtigen Kaufkraftverlusten liegen. Überdies aber ist die Gruppe der Betroffenen so groß, daß es hier nicht so leicht ist, wie in manch anderem Fall, über ihre Interessen hinwegzugehen. 500.000 Staatsbeamte, Postler und Eisenbahner und nicht zuletzt auch Gemeindebedienstete repräsentieren, mit ihren Familien, immerhin einen erheblichen Prozentsatz der Bevölkerung. Das Resultat

ist ejn veritabler Clinch zwischen ihren Interessenvertretern und dem Finanzminister.

Erstere, die Interessenvertreter der Betroffenen, sind sich freilich nicht so ganz einig. Während der Vorsitzende der Beamtengewerkschaft, ÖVP-Abgeordneter zum Nationalrat Alfred Gasperschitz, zumindest ein ökonomisches Zurückfallen seiner Schutzbefohlenen zu verhindern sucht, sind seine roten Gewerk-sehaftskollegen von der Eisenbahn und von den Gemeindebediensteten in einer schwierigen Lage.

Zwei Seelen wohnen, ach, in ihrer Brust, und die des Interessenvertreters verträgt sich in diesem Fall so gar nicht mit der des Parteifreundes, der doch den Androsch nicht völlig verlassen kann. Denn dieser hat, entgegen bisherigem Brauch, heuer im Budget keinerlei Reserve für die Forderungen der öffentlich Bediensteten eingebaut, obwohl er wissen mußte, daß sie unaufhaltsam auf ihn zukommen würden. Damit droht die Beamtenbesoldung zu einem weiteren Philippi für eine Finanzpolitik zu werden, die man, ohnehin mit einem milden Ausdruck, nur noch als dubios bezeichnen kann.

Möglicherweise tickt hier ein weiterer Sprengsatz unter Androschens zwar gut gepanzertem, aber doch nicht mehr unbeschädigtem - Sessel. Einen gewissen Verzögerungsfaktor bildet dabei die Zeit, die notwendig ist, um in die nicht ganz unkomplizierte Materie einzudringen. Man muß weit zurückgreifen, bis in die Zeit von Bundeskanzler Klaus und Finamzminister Schmitz.

Die öffentlich Bediensteten waren den Unselbständigen der Privatwirtschaft gegenüber immer schon im Nachteil. Können letztere auf Preissteigerungen spontan mit Lohnforderungen antworten, prallen erstere mit einem solchen Ansinnen auf die Betonwand eines vom Nationalrat verabschiedeten Budgets. Und womöglich ist zu dem Zeitpunkt, da ihre von vergangenen Preissteigerungen inspirierten Lohnforderungen akut werden, auch das nächste Budget schon verabschiedet. Das Resultat: ein notorisches Nachhinken hinter der tatsächlichen Umdrehungsgeschwindigkeit der Lohn-Preis-Spirale.

Erst 1967, unter Finanzminister Schmitz, kam es zu einer für beide Seiten akzeptablen Lösung dieses Dilemmas. Da X'erläßliche Lohnstatistiken nur für den industriellen Sektor vorliegen, wurde dieser als Vergleichsgruppe gewählt, wobei sich ergab, daß die Beamten gegenüber den Beschäftigten der Industrie da-

mals bereits einen Einkommensverlust von zwölf Prozent erlitten hatten. Das erste Gehaltsabkommen trat 1968 in Kraft. Es galt vier Jahre und brächte den öffentlich Bediensteten eine jährliche Erhöhung ihrer Bezüge, die sich aus einer Abgeltung des durchschnittlichen Kaufkraftverlu-stes zuzüglich drei Prozent Abgeltung des Nachhinkens hinter den Reallohnsteigerungen der Industrie.-bediensteten zusammensetzte. Da aber in der Zwischenzeit auch der Reallohn der übrigen Bevölkerung nicht stehenblieb, hinkten am Ende dieser vier Jahre die Beamten noch immer oder schon wieder um zwölf Prozent hinter dem Rest der arfoei-

tenden Bevölkerung nach. Daher glich das zweite, bereits mit Finanzminister Androsch geschlossene Abkommen aufs Haar dem ersten: Jährlicher Ausgleich der vom Statistischen Zentralamt ausgewiesenen Inflationsrate zuzüglich drei Prozent.

Mit den Steigerungen ihrer Bezüge um 6,6 Prozent 1972, um 7,7 Prozent 1973, um 10,3 Prozent 1974 und um 11,8 Prozent 1975, jeweils am 1. Juli, wurde, wenn auch mit zum Teil jahrelanger Verzögerung, der Lebensstandard der Beamten dem der anderen Berufe gleichgezogen. Nun ist das zweite Abkommen abgelaufen.

Die Situation ist brisant. Auf der einen Seite brachten die vergangenen vier Jahre den Arbeitern und Angestellten der Industrie (nebst allen anderen Wirtschaftszweigen) zum Teil hektische Reallohnsteigerungen. So daß die Beamten am 1. Juli um 11,8 Prozent mehr bekommen müßten, wenn ihr Lebensstandard — wiederum im Lauf von vier Jahren — dem der übrigen Bevölkerung angepaßt werden soll. Anderseits aber ist der Staatssäckel fast schon so durchsichtig geworden wie Androschs

Begründung dafür, daß im Gegensatz zu bisherigen Gepflogenheiten diesmal im Budget keinerlei Reserve für Beamtenforderungen eingebaut wurde, von denen Androsch wissen mußte, daß sie mit unausweichlicher Sicherheit auf ihn zukamen. Er habe sich, erklärte er, mit einer solchen Budgetvorsorge nicht präjudizieren und die Verhandlungen erschweren wollen — wobei er vergaß, daß bisher sehr wohl wenigstens eine Minimalvorsorge getroffen wurde. Ganz zu schweigen für den jeweiligen Budgetreserven auf dem Gesundheitssektor für bevorstehende Ärzteforderungen. Gasperschitz zufolge wäre alles,

was bei den Gehaltserhöhungen der öffentlich Bediensteten am 1. Juli unter neun Prozent bleibt, ein glatter Verlust an Kaufkraft. Ein verzweifelter Androsch soll nicht einmal in der Lage sein, dies aufzubringen, wie man hören kann. Die Stunde der Wahrheit für eine Finanzpolitik, die nach den Sternen griff, bevor sie sicheren Boden unter den Füßen hatte? In der Privatwirtschaft ist der Verlust des Uberblickes über die Verbindlichkeiten bekanntlich der erste Schritt zum Konkurs.

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