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„Beamtenräte“ oder gar nichts?

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Die öffentlich Bediensteten sind in unserem Staat die einzige Gruppe, der bis heute noch kein gesetzlich fundiertes Vertretungsrecht zuerkannt wurde. Wohl spricht bereits das Bundesverfassungsgesetz aus dem Jahre 1920 von Personalvertretungen, die bei der Regelung der Rechte und Pflichten der öffentlich Bediensteten mitzuwirken haben, doch sind bisher alle Versuche, diese proklamatorische Verheißung durch ein entsprechendes Gesetz Wirklichkeit werden zu lassen, hauptsächlich an formaljuristischen Problemen gescheitert.

Es ist zum Großteil auf heillose Kompetenzüberschneidungen zurückzuführen, daß die Beamten heute noch immer auf etwas verzichten müssen, was für andere Dienstnehmergruppen längst schon „karikaturistische Popularität“ erlangt hat. Die in der Verfassung verankerten Zuständigkeitsabgrenzungen sind so verwickelt, daß ein Zustandekommen eines einheitlichen Personalvertretungsgesetzes vor der Entflechtung und Entrümpelung dieses Kompetenzgestrüppes unmöglich war.

Im Zuge der Gemeindeverfassungsreform des heurigen Jahres wurden auf Drängen einiger parlamentarischer Anwälte der Beamtenschaft jene Bestimmungen aus der Bundesverfassung ausgeschieden, die der Schaffung legaler Personalvertretungen für den öffentlichen Dienst bisher hinderlich im Wege gestanden waren. Nun ist endlich die Bahn frei, um das nachholen zu können, was 42 Jahre lang verabsäumt wurde. Es wird eine der ersten Aufgaben sein, die der aus den kommenden Wahlen hervorgehende Nationalrat im nächsten Jahr zu erfüllen haben wird, den öffentlich Bediensteten endlich das gleiche Recht einzuräumen wie allen übrigen Berufsgruppen in unserem Staate.

Ungeachtet dieser Tatsache hielten in der Zeit vom 15. bis 17. Oktober die niederösterreichischen Landesbediensteten auf freiwilliger Grundlage Perspnalvertretungswahlen ab“. Die — Basis dafür bot ein Trlaß von Landeshauptmann Figl, in dem es heißt: „Die neugewählte Personalvertretung wird bis zum allfälligen Inkrafttreten des entsprechenden Bundesgesetzes bei der Regelung der Rechte und Pflichten der Bediensteten des Landes herangezogen.“ Bisher wurden im niederösterreichischen Landesdienst wie in den meisten anderen Zweigen des öffentlichen Dienstes die Interessen der Bediensteten durch eine provisorische Personalvertretung gewahrt, deren Zusammensetzung von den Parteien ausgehandelt war.

Die Wahl im Landesdienst lief also auf eine Ablösung des ohne Mitwirkung der breiten Masse der Bedienstetenschaft zustandegekommenen Provisoriums durch eine gewählte Personal-Vertretung hinaus, was zweifellos als demokratischer Fortschritt zu werten ist. Dennoch waren die Sozialisten von dieser Wahl alles andere denn begeistert. Wochenlang lief ihre Propaganda auf Hochtouren, um den Personalvertretungserlaß des Landeshauptmannes als unseriös abzustempeln.

Einer der Haupteinwände, der von sozialistischer Seite gegen die Wahlen erheben wurde, lautete I ungefähr folgendermaßen: Die Landesbediensteten haben bisher wie alle übrigen Beamten 42 Jahre auf ihr Personalvertretungsrecht gewartet. Auf die paar Monate Wartezeit bis zur endgültigen Lösung der Frage durch den Nationalrat wäre es nun auch nicht mehr angekommen, wenn es der Volkspartei und ihrem Landeshauptmann nicht um einen billigen Wahlerfolg gegangen wäre.

Die Gegenseite konnte den Sozialisten jedoch nachweisen, daß sie durch ihre eigene Verzögerungstaktik der ÖVP dazu verholten habe, so knapp vor den Nationalratswahlen die Stärke ihres Anhanges unter der Arbeitnehmerschaft Niederösterreichs propagandistisch wirkungsvoll zu manifestieren. Wäre es nach dem ÖAAB gegangen, hätten die Wahlen schon viel früher stattgefunden.

Daß die ÖVP auf die niederösterreichischen Personalvertretungswahlen nicht zu verzichten bereit war, obwohl eine gesetzliche Regelung des Fragenkomplexes in Sicht ist, wird damit begründet, daß man — durch die uneingelösten Versprechungen in der Vergangenheit gewitzigt — die Lösung der Personalvertretungsfrage gegen eine weitere Verschleppung absichern wollte.

Personalvertretungswahlen, für die der Erlaß eines Landeshauptmannes das rechtlich wackelige Fundament bildet, gibt es nicht erst seit dem 15. Oktober. Die Bedienstetenvertretungswahlen, im Bereich der Gemeinde Wien, die bereits auf eine zwölfjährige Tradition zurückblicken können, sowie die Personalvertretungswahlen in Kärnten, im Burgenland und in Oberösterreich hatten auch keine stabilere rechtliche Basis. Die Sozialisten haben bisher dagegen nie etwas eingewendet.

Warum sie sich ausgerechnet über die Wahlen im niederösterreichischen Landesdienst erregten, hat seinen wahren Grund darin, daß sich eine Partei, die die Vertretung der Arbeitnehmerschaft als ihre Domäne betrachtet, vor Nationalratswahlen nicht gerne vorrechnen läßt, wo ihr Monopol durchlöchert ist.

Es gibt aber Einwände gegen diese Personalvertretungswahlen, die schwerer wiegen als die, welche von der sozialistischen Propaganda zur Kompromittierung des ÖAAB aufgeboten wurden.

Man bediente sich bei der niederösterreichischen Wahl des Systems der starren Listen. Das bedeutet, daß der Wähler keinerlei Einfluß auf die Reihung der Kandidaten, die auf den von den Parteien eingebrachten Wahlvorschlägen aufschienen, nehmen konnte. Die Mitbestimmung in Personalangelegenheiten erschöpft sich daher für die große Masse der Bediensteten darin, daß sie bei der Personalvertretungswahl einen grünen (ÖAAB) oder einen roten (SPÖ) Stimmzettel in die Urne warfen.

Wer in die Personalvertretung einziehen wird, entschied eine Handvoll von Spitzenfunktionären — da und dort. Tst es nicht geradezu grotesk, daß bei Wahlen, die das Wort“ ..Personal“ im Namen führen, dem Prinzip des Persönlichkeitswahlrechtes geringere Konzessionen gemacht wurden als bei Nationalratswahlen, wo der Wähler wenigstens die Möglichkeit hat, eine Reihung der Kandidaten vorzunehmen? Sollte man mit einem Abbau der das politische Leben unseres Staates so lähmenden' Anonymität nicht dort anfangen, wo sich dafür die besten Voraussetzungen bieten, nämlich auf dem Arbeitsplatz?

In manchen Dienststellen der Landesverwaltung, wo nur eine einzige Liste kandidierte, hatten die Bediensteten nur die Möglichkeit, den

vorliegenden Wahlvorschlag zu akzeptieren oder sich ihrer Stimme zu enthalten. Bei den Bedienstetenvertretungswahlen der Gemeinde Wien lagen die Verhältnisse nicht anders. Wird man durch diese Zustände nicht zwangsläufig an die Wahlmethoden erinnert, die in östlichen Nachbarstaaten üblich sind?

Auch die Betriebsratswahiordnung schreibt die Listenwahl vor. Könnten die öffentlich Bediensteten nicht dessenungeachtet — zumal von ihnen ja ein besonderes Maß an politischer Reife verlangt wird — den anderen Berufsgruppen mit gutem, demokratischem Beispiel vorangehen und Persönlichkeiten statt Parteien mit ihrer Personalvertretung betrauen?

Eigentlich ist es ja unverständlich, wieso die Parteien so bedacht darauf sind, daß ja nur parteigebundene Listen bei den Personalvertretungswahlen zum Zug kommen. (Nach der ursprünglichen Fassung der niederösterreichischen Personalvertretungsordnung durften parteiungebundene Listen in Dienststellen mit 400 Bediensteten nur kandidieren, wenn sie 250 Unterschriften beibringen konnten.) Schließlich weiß ja in Österreich jedes Kind, mit welchen Mitteln die so einheitliche politische Ausrichtung der Bediensteten im Bereich der nieder-österreichischen Landesregierung oder der Gemeinde Wien erreicht wird. Ist das Proporzdenken in Österreich schon so sehr zum obersten Gebot geworden, daß man sich gar nicht mehr scheut, mit den Früchten der Parteibuchprotektion offen zu renommieren?

Es zeigte sich schon bei den Wahlen der Gemeindebediensteten, und es erwies sich auch nun wieder bei den Wahlen im niederösterreichischen Landesdienst, daß — durch die Listenwahl begünstigt — Kandidaten hochkommen, die bei einer Persönlichkeitswahl mit Bomben und Granaten durchfallen würden. Dies wird von einem Großteil der Beamten — selbst von den parteitreuesten — offen kritisiert.

Soll unsere Verwaltung nicht durch die Auswüchse des Proporzes, durch die „Interventionitis“ und eine hemmungslose Protektionswirtschaft zu einer Farce herabgewürdigt werden, dann müssen dagegen Vorkehrungen getroffen werden, daß die Personalvertretungen, die wie die Betriebsräte auch bei der Aufnahme von Bediensteten etwas mitzureden haben werden, von Parteiinteressen möglichst unberührt bleiben. Die Einführung wirklich freier, demokratischer, nach dem Persönlichkeitswahlrecht ausgerichteter Wahlen hieße, die Proporzauswüchse bei der Wurzel bekämpfen.

Die Weichen sind jedoch in die andere Richtung gestellt. Es ist so gut wie ausgemacht, daß das künftige Per-. sdnalvertretungsgesett lediglich ein.. Abklatsch 4as-Betriebsrätegesetzes sein wird. Daß die anders gearteten Voraussetzungen im öffentlichen Dienst auch ein anders geartetes Vertretungsgesetz verlangen, scheint man zu ignorieren. Die Sozialisten, die in ihrer Gleichschaltungswut nur schwer davon abzubringen waren, die Angestellten mit den Arbeitern in einen Topf zu werfen, wollen den öffentlich Bediensteten keine Sonderstellung zubilligen. Den Beamten durch eine Personalvertretungsordnung, die den Besonderheiten im öffentlichen Dienst Rechnung trägt, zuzugestehen, daß sie ein eigener Stand sind, läßt sich mit sozialistischen Prinzipien anscheinend nur schwer vereinbaren.

So wird die Beamtenschaft, deren Standesbewußtsein ohnehin schon schwer angekränkelt ist, durch eine Gleichschaltung mit Arbeitern und Angestellten in der Personalvertretungsfrage noch mehr das Gefühl verlieren, Staatsdiener zu sein. Welch ungeheure psychologische Nachteile das mit sich bringt, weiß jeder abzuschätzen, der noch Beamte der alten Schule erlebt hat.

Im Jahre 1956 hat die Arbeitsgemeinschaft für Sozialwissenschaft einen Entwurf für ein Personalvertretungsgesetz veröffentlicht, der sich von den 13 „offiziellen“ Entwürfen dadurch wohltuend abhebt, daß er eine Beamtenkammer und damit eine autonome Vertretungskörperschaft für die öffentlich Bediensteten fordert. Die Gewerkschaft lehnte diesen Entwurf strikte ab, will sie doch ihr Monopol auf die Vertretung sämtlicher Gruppen der Unselbständigen auf keinen Fall durchbrechen lassen. Die von ihr inspirierten Entwürfe billigen den Personalvertretungen lediglich eine Art Betriebsrätefunktion zu. Alle überbetrieblichen Interessen der Bediensteten zu vertreten, will sie sich selbst vorbehalten.

Wenn man sich nicht doch noch entschließt, den wahren Wünschen der Mehrzahl der Beamten Rechnung zu tragen, wird man aus der unrühmlichen Vorgeschichte des Personalvertretungsgesetzes lediglich den Schluß ziehen können, daß Gesetze nicht besser werden, wenn man sie fast ein halbes Jahrhundert auf die lange Bank schiebt.

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