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Ein fehlender Baustein unserer Republik

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Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft (Wien I, Sonnenfelsgasse 19), die bereits mehrfach zu grundlegenden Fragen unseres öffentlichen Lebens in eingehender und objektiver Weise Stellung genommen hat, veröffentlicht soeben eine Untersuchung über das Problem der Interessenvertretung im öffentlichen Dienst. In dieser Untersuchung wird zunächst darauf hingewiesen, daß die zunehmende Demokratisierung des öffentlichen Lebens seit der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts nicht nur den Bereich der Politik im engeren Sinne erfaßte; vielmehr ist auch das wirtschaftliche und soziale Leben einem Entwicklungsprozeß unterworfen, der das Ziel hat, den einzelnen Menschen nicht allein als Objekt fremder Einflußnahme zu betrachten, sondern auch dem einzelnen ein bestimmtes Maß freier Mitbestimmung als handelndes Subjekt zu gewährleisten. So soll vor allem die große Zahl der wirtschaftlich abhängigen Dienstnehmer selbst oder durch die zuständigen Vertretungen ihre ureigensten Interessen wahrnehmen können. Im Sinne dieser Entwicklung hat man den Begriff der Demokratie vom rein staatlichen Bereich auch auf andere Sparten des öffentlichen Lebens übertragen und spricht zum Beispiel von Wirtschaftsdemokratie, Betriebsdemokratie usw. In der Ausbildung wirksamer Interessenvertretungen der Arbeitnehmer ist ein solcher Fortschritt auf dem Wege der Demokratisierung zu erblicken. Man unterscheidet im allgemeinen drei Arten von Interessenvertretungen der Arbeitnehmer: Gewerkschaften, Kammern und Betriebsräte.

Die Gewerkschaften beruhen auf dem Prinzip des freiwilligen Beitritts und sind gesetzlich nicht verankerte Zusammenschlüsse von Arbeitnehmern. Sie bedienen sich des Streiks als Kampfmittel zur Erreichung gewerkschaftlicher Ziele. Die Mitgliedschaft zu den Kammern als Berufsvertretungen ist hingegen nicht freiwillig, sondern gesetzlich vorgeschrieben; hierfür haben die Kammern auch vom Gesetz eingeräumte wichtige Kompetenzen, wie vor allem das Begutachtungsrecht hinsichtlich aller Maßnahmen, die die Interessen ihrer Mitglieder betreffen. Gewerkschaften und Kammern, sind Vertretungen ganzer Berufszweige. Als Interessenvertretungen innerhalb eines Betriebes fungieren die sogenannten Betriebsräte, die ebenfalls eine gesetzliche Interessenvertretung, jedoch nur für den Bereich eines einzelnen Betriebes darstellen. Im öffentlichen Dienst ist es bisher nur zur Bildung gewerkschaftlicher Organisationen als Interessenvertretung gekommen. Während vor 1934 auch diese gewerkschaftliche Interessenvertretung eine heillose Zersplitterung und deshalb sehr geringe Wirksamkeit aufwies, ist nach 1945 ein Fortschritt insoferne erzielt worden, als nur vier Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes gebildet wurden, die ihrerseits wieder ein Bestandteil des großen, einheitlichen Gewerkschaftsbundes sind.

Von vielen öffentlich Bediensteten werden allerdings diese gewerkschaftlichen Organisationen nicht als geeignete Form ihrer Interessenvertretung angesehen. Von solchen, eine Zugehörigkeit zu einer Gewerkschaft ablehnenden Kreisen wird vor allem ins Treffen geführt, daß gewerkschaftliche Kampforganisationen nicht die geeigneten Einrichtungen einer Interessenvertretung im öffentlichen Dienst darstellen. Verschiedene Akademikerorganisationen weisen deshalb auch immer wieder darauf hin, daß Mitglieder der Gewerkschaft vor allem aus den niederen Verwendungsgruppen (ungelernte Hilfskräfte, Kanzlisten usw.) des öffentlichen Dienstes stammen, während die höher qualifizierten Beamten gewerkschaftlich nicht organisiert sind.

Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft bemüht sich, die verschiedenen Standpunkte objektiv abzuwägen und kommt zu dem Schluß, daß es eigentlich der Mentalität eines auf unbedingte Gesetzestreue und Gerechtigkeitssinn ausgerichteten Staatsbeamtentums widerstreben muß, zur Durchsetzung seiner noch so berechtigten Forderungen Macht mittel an Stelle von Rechts mittein einzusetzen.

Obwohl schon im Artikel 21 der österreichischen Bundesverfassung die Möglichkeit einer Teilnahme von Personalvertretungen bei der Regelung der Rechte und Pflichten des öffentlichen Dienstes vorgesehen ist, steht eine gesetzliche Regelung dieses wichtigen Problems seit dem Jahre 1920 aus! Im Jahre 1946 hat ein Rundschreiben des Bundeskanzleramtes versucht, eine provisorische Regelung in der Weise zu treffen, daß gewerkschaftlich bestellte Personalausschüsse an den einzelnen Dienststellen annähernd jene Funktionen ausüben, die den Betriebsräten in der Privatwirtschaft zukommen.

Nach einer sorgfältigen Analyse der Rechtslage kommt die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft zu dem Schluß, daß dieser Erlaß des Bundeskanzleramtes keine verfassungsrechtlich einwandfreie Grundlage für eine Personalvertretung an den einzelnen Dienststellen des Bundes, der Länder und Gemeinden darstellt! Da nämlich das Bundesverfassungsgesetz ausdrücklich festlegt, daß die Mitwirkung von Personalvertretungen durch ein Bundesgesetz zu regeln ist, kann ein derartiger Erlaß des Bundeskanzleramtes eine gesetzliche Regelung nicht ersetzen. Die Rechtslage wird noch dadurch kompliziert, daß das Bundeskanzleramt im.Februar 1952 auf die an sich ohnedies nicht zu bezweifelnde Tatsache verwiesen hat, daß es jedem öffentlich Bediensteten freisteht, eine Person seiner Wahl mit der Vertretung seiner

Rechtsinteressen vor der Dienstbehörde zu betrauen. Eine Umsetzung dieses Rechtsstandpunktes in das Alltagsleben der Behörden würde allerdings — wie die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft betont — zu einer heillosen Zersplitterung und Verwirrung führen. Abgesehen davon, daß der einzelne öffentlich Bedienstete keine gesetzlich fundierte Interessenvertretung an seiner Dienststelle hat — eine Einrichtung, die in der Privatwirtschaft durch das Betriebsrätegesetz schon längst für die Arbeitnehmer gesichert ist —, so gibt es auch keine legale Gesamtvertretung des Berufsstandes der öffentlich Bediensteten, wie sie zum Beispiel die Kammern für Arbeiter und Angestellte, für die Arbeitnehmerschaft der Privatwirtschaft darstellt! Damit sind die öffentlich Bediensteten wahrscheinlich der letzte Berufszweig in Oesterreich, der kein Mitwirkungsrecht hat, wenn Gesetze oder Verordnungen erlassen werden, die unter Umständen lebenswichtige Interessen der öffentlich Bediensteten betreffen. Allerdings versuchen die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes diese Lücke dadurch auszufüllen, daß sie als Verhandlungspartner der Verwaltung bei Gehaltsverhandlungen usw. in Erscheinung treten. Da es aber für den Bereich der Hoheitsverwaltung kein Kollektivvertragsrecht gibt, sind die erwähnten Gewerkschaften nur befugt, namens ihrer Mitglieder zu sprechen. In dieser Hinsicht liegt es nahe, daß die Verwaltung Stellungnahmen bzw. Vorschläge der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes einholt.

Entsprechend der gegenwärtigen Rechtslage können jedoch die Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes nicht als alleinige Sprecher der öffentlich Bediensteten von der Verwaltung zu Rate gezogen werden. Denn auch andere auf freiwilligem Zusammenschluß beruhende Interessengemeinschaften können für sich mit dem gleichen Recht wie die Gewerkschaften ein Mitspracherecht hinsichtlich der in ihnen zusammengeschlossenen öffentlich Bediensteten beanspruchen. So lange es nicht zur Einrichtung einer gesetzlichen Berufsvertretung im Sinne einer Beamtenkammer, einer zentralen Personalvertretung oder einer anderen Institution kommt, ist diese Zersplitterung der Berufsvertretung im öffentlichen Dienst unvermeidbar.

Nur eine durch Gesetz hierzu berufene Berufsvertretung könnte als alleiniger Sprecher aller öffentlich Bediensteten bei Gehaltsverhandlungen, Begutachtung von dienstrechtlichen Gesetzen usw. fungieren. Während alle anderen Arbeitnehmer durch die Kammerorganisationen ein gesetzlich verankertes Mitspracherecht bei allen Maßnahmen haben, die ihre dienstlichen oder ihre besoldungsmäßigen Verhältnisse betreffen, sind groteskerweise gerade die öffentlich Bediensteten, die sonst von Berufs wegen an der Abfassung unzähliger Gesetze und Verordnungen maßgeblich beteiligt sind, von einer interessenmäßigen Mitwirkung bei der Erlassung von Gesetzen und Verordnungen zur Regelung ihres eigenen Dienst- oder Besoldungsrechtes ausgeschlossen. Ob für den öffentlichen Dienst auch eine Kammerorganisation geschaffen wird oder ob man einen stufenweisen demokratischen Aufbau der Personalvertretung vorzieht, etwa in der Weise, daß sämtliche Bediensteten einer Dienststelle einen Personalausschuß wählen, die Personalausschüsse aller Dienststellen einer Behörde wieder einen sogenannten zentralen Personalausschuß und sämtliche zentralen Personalausschüsse der verschiedenen Behörden eine zentrale Personalvertretung aller öffentlich Bediensteten bilden, ist eine Frage der Zweckmäßigkeit. Wichtig ist nur, daß eine solche berufliche Interessenvertretung auf gesetzlicher Grundlage endlich ins Leben gerufen wird.

Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft vertritt die Ansicht, daß es wohl dem demokratischen Prinzip entspricht, wenn das Bundeskanzleramt oder das Bundesministerium für Finanzen bei Maßnahmen, die den öffentlichen Dienst betreffen, die Meinung der Gewerkschaften einholen. Jedoch wirft die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft der Bundesverwaltung vor, daß sie sich über verfassungsrechtliche Normen und internationale Uebereinkommen dadurch hinwegsetzt, daß sie nur mit den Gewerkschaften als Interessenvertretung der öffentlich Bediensteten verhandelt. Das gleiche Recht zur Anhörung ihrer Vorschläge bzw. Vertretung der Interessen ihrer Mitglieder haben nämlich auch nichtgewerkschaftliche Standesvertretungen, Akademiker-“ Organisationen usw. Da im Bereich der Hoheitsverwaltung des Staates das Kollektivvertragsrecht nicht gilt, sind die Gewerkschaften lediglich befugt, im Namen ihrer Mitglieder zu verhandeln, nicht aber Erklärungen namens aller öffentlich Bediensteten abzugeben.

Erst die Schaffung einer gesetzlichen Berufsvertretung würde deren Organe ermächtigen, namens aller öffentlich Bediensteten zu sprechen. Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft wirft der Staatsverwaltung vor, daß über dieses Problem einer gesetzlichen Interessenvertretung des öffentlichen Dienstes eine Verschwörung des Schweigens lastet. Bisher war es nämlich nicht einmal mehr möglich, durch einen Initiativantrag von Abgeordneten, die selbst öffentlich Bedienstete sind, eine Diskussion im Parlament über dieses Problem herbeizuführen.

Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft weist darauf hin, daß es das Bestreben aller verantwortungsbewußten Kreise sein müßte, ehestens eine Lösung dieses seit der Konstituierung der demokratischen Republik Oesterreich offenen Problemes zu finden. Sie. betont ferner, daß eine gesetzlich fundierte Interessenvertretung der öffentlich Bediensteten nicht nur für diese selbst Bedeutung hätte; vielmehr könnte sie auf unser ganzes öffentliches Leben von nachhaltigem und wohl auch heilsamen Einfluß sein: Eine gesetzliche Berufsvertretung ist nämlich geeignet, zur Bildung eines einheitlichen, seiner Aufgaben voll bewußten Beamtenkörpers zu führen. Eine Beamtenkammer oder ein zentraler Vertretungsausschuß oder wie immer man diese Einrichtung bezeichnen will, wären ein Rückgrat des Staatsbeamtentums gegen politischen Protektionismus, dessen Auswüchse selbst von politischen Kreisen in letzter Zeit mit offenem Mißbehagen verfolgt werden. Denn der einzelne ist allzu leicht nachgiebig, da er auch weitestgehend schutzlos ist. Eine gesetzliche, mit bestimmten Kompetenzen ausgestattete Berufsvertretung würde sowohl für eine entsprechende Fachauslese bei Aufnahme in den öffentlichen Dienst sorgen als auch den bereits im öffentlichen Dienst befindlichen und politischen Einflüssen ausgesetzten Personen einen entsprechenden Schutz gewähren können.

Daher ist es nicht ein Anliegen der öffentlich Bediensteten allein, eine autonome, gesetzliche Berufsvertretung des öffentlichen Dienstes zu schaffen. Vielmehr handelt es sich hierbei um ein vordringliches Problem unseres gesamten Staatswesens.

Die Sozialwissenschaftliche Arbeitsgemeinschaft will mit ihrer Untersuchung das Problem der Interessenvertretung im öffentlichen Dienst rein sachlich darstellen, um wenigstens eine gesicherte Ausgangsbasis für eine Diskussion dieser Frage zu schaffen. Hierfür wird man dieser Arbeitsgemeinschaft jedenfalls dankbar sein müssen, weil sie für ihre grundlegende Untersuchung ein reiches Material zusammengetragen und das Problem derart eingehend gewürdigt hat, daß hier nur in kurzen Zügen auf die wesentlichsten Feststellungen Bezug genommen werden konnte.

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