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Digital In Arbeit

Die strapazierten Gewerkschaften

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Gewerkschafter wissen: Das Streikrecht korrespondiert mit der Friedenspflicht. Bislang bedurften die österreichischen Gewerkschaften keiner Belehrungen bezüglich der Handhabung des Streikrechtes. Das gilt auch in besonderem Maße für den letzten großen Streik. Das soll aber nicht bedeuten, daß wir als Gewerkschafter die Diskussion über die Tätigkeit der Gewerkschaften oder über einen besonderen Sektor, die Lohnpolitik, ablehnen. Demokratie ist Diskussion. Aber zur Diskussion kann es nur kommen, wenn mehrere Stimmen die Chance haben, gehört zu werden.

Wenn nun eine Wortmeldung erfolgt zu dem Artikel „Die strapazierte Streikfreiheit“, so ist leider nicht zu umgehen, „Die Furche“ zu strapazieren. Das ist notwendig, zumal bekannt ist, daß Ihre geschätzte Zeitschrift auch in Gewerkschaftskreisen sehr bekannt ist. Ein Schweigen zu den Ausführungen von Johann Schwabl hieße ja Zustimmung. Die Toleranz gebietet uns nicht selten, manche Dinge zu überlesen, doch bei besonderem Anlaß scheint der Widerspruch gerechtfertigt.

Zur Entwirrung der Verhältnisse ein paar Worte zu der Annahme, die öffentlich Bediensteten bestreikten „die Gesellschaft als ein Ganges, jene“, Gesellschaft, der Dienste zu leisten die Beamten durch Treueid bekräftigt haben“.

Sind wir eine Gesellschaft als Ganzes? Ist es eine unumgängliche Notwendigkeit für jeden Steuerzahler, mehr zu zahlen, wenn die öffentlich Bediensteten höhere Gehälter bekommen? Wenn wir diese Fragen mit ja beantworten, dann gilt dies auch für die Erhöhung von Subventionen!

Befassen wir uns noch kurz mit dem Treueid. Gibt es nicht eine Verpflichtung auf Gegenseitigkeit? Auf der einen Seite die Verpflichtung zur Dienstleistung, auf der anderen Seite, auf unserer Seite, die Verpflichtung zur gerechten Honorierung? Es ist unbillig, auf den Treueid der öffentlich Bediensteten zu pochen, ohne bereit zu sein, auf entsprechende Entlohnung zu achten.

Der Appell an „die Gesellschaft als ein Ganzes“ ist eine unnütze Strapaze. Es ist zu überlegen, ob solche Appelle nicht die negative Solidarität fördern, denn die Streikenden sind auch ein Teil dieser Gesellschaft. Auf Kosten anderer einen Feschak zu spielen, ist zweifellos keine soziale Tat.

Es ist mehr als bedauerlich, daß die öffentlich Bediensteten streiken mußten. Die Gewerkschaften lassen sich von ihren Mitgliedern keine Streiks aufzwingen. Gewerkschaften bedürfen auch nicht des Streiks, um die Bestätigung zu erhalten, wie nötig sie sind. Die Statistiken beweisen auch, wie sorgsam die österreichischen Gewerkschaften mit diesem Kampfinstrument umgehen.

Der Streik ist auch nach Auffassung der katholischen Theologie sittlich qualifiziert, wobei der Warn-und Proteststreik als gemilderte Form von Streik eingereiht wird. Ein Streik richtet sich, nach diesen Auffassungen, nur dann gegen den Staat als Hoheitsträger, wenn es sich um einen politischen Streik handelt. Auch er ist bei schlimmsten Staatsnotständen erlaubt und gegenüber einem ausgesprochenen Unrechts-staat (siehe: „Über Arbeitskampf und Arbeitsfrieden“, Marcel Reding; Verlag Styria) sogar geboten.

Vom Sittlichen her ist dem vergangenen Warnstreik nicht beizukommen, auch nicht vom Vernünftigen. Wer für viele umstrittene Dinge Millionen aufbringt, muß auch in der Lage sein, für seine gehaltsmäßig zurückgebliebenen Dienstnehmer zu zahlen. „Ohne Hochschulstudium in Nationalökonomie“ müßten wir doch zur Auffassung kommen, daß das eherne Lohngesetz von Lasalle der Vergangenheit angehört. Die Lohn-Preis-Spirale ist doch nichts anderes als die Wiedergeburt des ehernen Lohngesetzes.

Abschließend muß der Behauptung entgegengetreten werden, die Regierung habe zuwenig Zeit gehabt, nach geeigneten Bedeckungsvorschlägen Umschau zu halten. Die Forderungen der öffentlich Bediensteten sind lange genug bekannt. Doch wurde mit dem Warnstreik die Hoffnung zerstört, man könne mit einem Achselzucken und angeblich leeren Taschen berechtigte Forderungen abweisen. Wenn die parlamentarischen Kräfte unzulänglich sind, ausreichende finanzielle Mittel für berechtigte Forderungen der Gewerkschaften des öffentlichen Dienstes bereitzustellen — dann muß eben das Streikrecht strapaziert werden.

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