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Macht und Gegenmacht

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Wo und soweit die Lösung von sozialen Fragen zum Entstehen von Kosten führt, wird im allgemeinen nur die harte Sprache von Macht und Gegenmacht verstanden. Robert Owen und die anderen großen Sozialreformer der ersten Epoche der Industriegesellschaft mußten an sich erfahren, daß der Mensch in Sachen des Geldes :von Natur aus nicht gut ist, sondern nur Vorteil gegen Vorteil abwägt und lediglich Gegenmacht -je* spektiert. Weil Männer wie Owen und die anderen Frühsozialisten auch in Fragen des Geldes an das Gutsein des Menschen glaubten, hatten sie sich gefallen lassen — auch von Marxisten —, als „Utopisten“ abgetan zu werden.

Was wir heute vereinfachend „Krise" des Gewerkschaftsgedankens nennen, ist vor allem ein Index der Sattheit der Massen der Dienstnehmer. Aber auch ein An zeiger für die Schwäche der Unternehmer, die erkennen, es sei nur dann möglich, den Gewinn zu maximieren, wenn es gelingt — um jeden Preis —, die sachlichen Kapazitäten mit den menschlichen abzustimmen. Die Expansion der Betriebsanlagen kann aber nur dann technisch fruchtbar sein, wenn sie sich an das Arbeitskräfteangebot zu adaptieren vermag; Zu die* sem Zweck müssen die Unternehmungen neben dem offiziellen Arbeitsmarkt einen grauen Markt, einen zweiten Markt, etablieren, auf dem sie sich zu grauen, wenn nicht bereits zu schwarzen Preisen Dienstnehmer „kaufen“. Wozu in einer solchen Situation, in der sich manche Arbeitnehmer der Anbote an attraktiven Arbeitsbedingungen kaum erwehren können, noch Gewerkschaften, die — vom Standpunkt der Dienstnehmer — Löhne aushandeln, die in manchen Branchen kaum noch

Gegenstand der Diskussion sind? Di Folge ist also eine Art Selbststand der Dienstnehmer, die glauben, keinen Ex-offo-Verteidiger ihrer Interessen mehr zu benötigen.

„Befestigte Gewerkschaften“

In Abstimmung mit der gewandelten Situation sind die Gewerkschaften zudem nicht mehr solche des Klassenkampftypus. In der klassischen Epoche der Gewerkschaftsbewegung richteten sich die Operationen der Gewerkschaften nicht allein gegen die Unternehmer, sondern ebenso gegen den Staat, gegen die Gesellschaft als Ganzes. Die Gewerkschaften heute — Götz Briefs nennt sie „Befestigte Gewerkschaften" — sind solch des organischen Typs.

Anderseits sind einzelne Dienstnehmer oft sozial enthemmt. Sie fordern nicht selten ohne Rücksicht auf die sachlichen Bedingungen, weil ie keine Einsicht in die Begrenzung ihrer Ansprüche, etwa durch die verfügbaren ökonomischen Fonds, haben. Wenn die Gewerkschaften zu Forderungen der Dienstnehmer nein sagen und angesichts des Gemeinwohls nein sagen müssen, wird ihnen das von den Dienstnehmern übelgenommen. Auf der anderen Seite sind jedoch die Dienstnehmer wieder geneigt, gerade Gewerkschaften deswegen Vorwürfe zu machen, weil sie Wünsche, ihre eigenen Wünsche, die nun einmal auf die Preise überwälzt werden mußten, durchgesetzt haben.

Wie immer man die Krise des Gewerkschaftsgedankens deuten will, sie ist kaum mehr als eine Entsprechungsstörung, die Folge einer noch nicht vollzogenen Anpassung der Dienstnehmer, aber auch der Gewerkschaften an die gewandelte sozialökonomische Situation. Der Bestand der Gewerkschaften selbst ist dagegen nicht gefährdet, sind sie doch keine historische Kategorie. Soweit es eine arbeitsteilige Gesellschaft gibt, Unternehmer und Dienstnehmer, werden Gewerkschaften da sein müssen. Liquidiert man sie, werden sie sich aus der Natur des arbeitsteiligen Prozesses selbst wieder konstituieren. Keinesfalls aber, werden die Gewerkschaften mit. dem, Kapitalismus, dessen. Liquidation in der ursprünglichen Form sie mifvollziehen geholfen haben, aufgehoben, einfach weil sie ein Teil unserer freiheitlichen Ordnung sind, die doch nicht an die Periode des Kapitalismus gebunden ist.

Die Gewerkschaften — die Funktionäre — wollen sich also nicht selbst, sondern sie entsprechen dem Wesen unserer Gesellschaftsordnung. Trotz aller Entartungen, die meist nur das Übermaß an Wünschen der Massen reflektieren.

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