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Gewerkschaften heute

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GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG IN UNSERER ZEIT (Versuch einer Standortbestimmung;). Von Rupert Gmoser. Verlag des ÖGB, Wien. 144 Seiten, kart., S 38.80.

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GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG IN UNSERER ZEIT (Versuch einer Standortbestimmung;). Von Rupert Gmoser. Verlag des ÖGB, Wien. 144 Seiten, kart., S 38.80.

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Die von Rupert Gmoser, dem Leiter der Otto-Möbes-Volkswirt- schaftsschule, Graz-Stifting, zusammengestellte Broschüre enthält die Referate, welche auf einer 1965 stattgefundenen Tagung in der obengenannten Schule gehalten worden sind.

Die Gewerkschaften der Gegenwart, vor allem in Regionen, in denen vermittels Sozialnormierung und ein relativ hohes Sozialprodukt die gesellschaftlichen Strukturen völlig gewandelt sind, werden mit einer Art von Forderungsnot konfrontiert. Zumindest scheint es so. Als Arbeitnehmeropposition in einer Situation errichtet, in welcher der Mehrheit der Fabrikarbeiter elementare Rechte vorenthalten wurden und vorenthalten werden konnten, sehen die Gewerkschaften der Gegenwart, daß der Gegenstand ihres offenkundig nunmehr historisch gewordenen Widerspruches entweder nicht mehr vorhanden oder völlig gewandelt ist. Daher das Bemühen der Gewerkschaften, vor allem im Westen, um ein neues Selbstverständnis, vor allem aber um die Konstitution von neuen Forderungen, in denen darauf Bedacht genommen werden muß, daß der materielle Sockel für die Arbeitnehmer im Sinn der klassischen Vorstellungen in der Gegenwart meist gesichert ist.

Im Grazer Seminar kamen nach einer Einleitung durch den Präsidenten der steiermärkischen Kammer für Arbeiter und Angestellte (Eduard Schwarz) neben Gewerkschaftspraktikern auch Sozialwissensehafter zu Wort: Rupert Gmoser ging von der Frage aus, ob die Gewerkschaften nicht durch die Wandlungen des Kapitalismus, an den sie existentiell gebunden zu sein scheinen, in Liquidationsreife kommen. Gmoser verneint jedoch die Liquidation des Kapitalismus und auf diese Weise die Aufhebung der Gründungsbedingungen für die Gewerk schaften. Zumindest müssen die Gewerkschaften noch die relative Egalisierung der Position der Arbeitnehmer auf den Arbeitsmärkten sichern; das in erster Linie durch Einfluß auf den Gesetzgeber, damit dieser Bildungschancen (Bildung = Gründungskapital der Nur-Arbeit- nehmer) in einem angemessenen Umfang zur Verfügung stellt. Darüber hinaus sollen die Gewerkschaften um eine weitere Humanisierung der Welt bemüht (mitbemüht) sein.

Professor Otto Stammer, der Berliner Politologe, untersuchte den gesellschaftspolitischen Standort der Gewerkschaften und wies darauf hin, daß sich die Gewerkschaften an die neuen gesellschaftlichen und Ökonomischen Wirklichkeiten anpassen müßten. Weil dem Staat, vermöge ihrer Eigenmacht, „näher“

als ehedem, haben die Gewerkschaften heute elementare politische .Funktionen neben den Parteien; wie die anderen Verbände. Für den Referenten ist die theoretische Untersuchung der Gewerkschaften heute ein wesentlicher Teil der Verbändeforschung.

Mosche Bar-Tal (Israel) sprach über die interessante und meines Erachtens unverkennbar syndikalistische Züge aufweisende Hista- drut, während Jänos Läncos (Ungarn) über die ungarischen und Josef Nemecek (CSSR) über die tschechoslowakischen Gewerkschaften referierten. Eduard Stark („Probleme und Problematisches aus der österreichischen Gewerkschaftsbewegung“) wies darauf hin, daß die Gewerkschaften, weil dem Ursprung nach ein sozialer Verteidigungsverband, im Rahmen ihrer Machtakkumulation zu einer „Umstrukturierung der Sozialverhältnisse“ beitrugen, vor allem dadurch, daß sie ihre Aktionen (s. soziale Satzung) auch den Nichtmitgliedern anboten und für sie wirksam machten. Im Arbeiterkammergesetz helfen die Gewerkschaften sogar „funktionellständische“ Einrichtungen zu etablieren.

Franz Kotrba (Schöller-Bleck- mann) referierte über die „Arbeitgeber und Arbeitnehmer im heutigen Österreich“. Der international bekannte Spezialist in Fragen der Theorie der Angestellten, Univer- sitätsprofessor Fritz Croner (Stockholm), wiederholte seine bereits an vielen Stellen publizierten Theorien zum Phänomen des Angestellten, deren relativ wachsende Zahl (= „Angestellten-Koeffizient“) einer der wesentlichen Anzeiger der fortschreitenden Verbürokratisierung und Mechanisierung der industriellen Gesellschaften und der Arbeitswelt ist.

Das letzte Referat hielt der Generalsekretär des Europäischen Gewerkschaftssekretariats (Brüssel), Harin G. Buiter, über „Die Rolle der Gewerkschaften im integrierten Europa am Beispiel der EWG“.

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