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Gewerkschaftliche Vielfalt
Die Gewerkschaften haben sich in ihrer Eigenart stets an jenes soziale System angepaßt, auf dessen Territorium sie errichtet wurden. Daher gibt es keine uniforme Gewerkschaftsbewegung; ebensowenig kann man dies, von der Arbeitnehmerbewegung sagen. Dazu kommt noch die Konstitution von Richtungsgewerkschaften in einzelnen Ländern, in denen sich die zuerst errichteten Gewerkschaften weltanschaulich einseitig orientierten, also Interessen- und Ideenvertretung identifizierten und die Gründung andersorientierter Gewerkschaften provozierten.
Die Gewerkschaften bilden daher international eine bunte Palette und haben - von den Staatsgewerkschaften abgesehen - nur eines gemeinsam: Die Orientierung an einer Optimierung der Lebensbedingungen der von ihnen vertretenen Arbeitnehmer auf überbetrieblichen und teilweise auch auf einzelbetrieblichen Arbeitsmärkten. Um eine hypothetische Internationale sämtlicher Gewerkschaften darzustellen, bedarf es daher nicht nur einer umfassenden historischen Kenntnis, sondern auch einer praktischen Erfahrung, die sich, wenn notwendig, zur Korrektur der verfügbaren literarischen Dokumente entschließt.
Das Buch „Solidarität International“ hat einen profunden Kenner der internationalen Gewerkschaften zum Autor, den Leitenden Sekretär des ÖGB, Alfred Ströer, dem im ÖGB unter anderem auch die Verbindung zu den Gewerkschaften des Auslandes untersteht. Ströer ist außerdem Vorstandsmitglied des internationalen Bundes freier Gewerkschaften und Vizepräsident des europäischen Gewerkschaftsbundes, also vielfältig für eine literarische Aufgabe ausgewiesen, die nicht allein Deskription erfordert, sondern, angesichts des komplexen Materials und der je nach System unterschiedlichen Bestimmungsgründe für Bestand und Aufwuchs der jeweiligen Gewerkschaften, nur über eine synthetische Darstellung zu lösen ist.
Er schildert in einer umfassenden und vor allem von einer praktischen, gleichsam vor Ort gewonnenen Kenntnis zeugenden Weise die Geschichte der unterschiedlichen Gewerkschaftsinternationalen; bei weitgehender Bedachtnahme auf die'.Art, wie die österreichischen Gewerkschaften an den einzelnen Gewerkschaftsinternationalen mitgearbeitet haben und angesichts der Fraktionierung des ÖGB noch immer mitarbeiten.
Die Tatsache, daß der ÖGB in einer international beispielgebenden Weise durch seine stets pragmatische Haltung sowohl die Interessen der Arbeitnehmer als auch jene der Volkswirtschaft vertreten hat, macht erst augenscheinlich, daß es im Bereich der Gewerkschaften auch solche gibt, denen in erster Linie an der Vertretung von Ideologien oder von Interessen der Staatsadministratoren, also des Impe-
riums, gelegen ist. Weniger aber an internationaler Solidarität, deren Inhalt für sie, das zeigte sich arn Beispiel der Behandlung des ÖGB hach dem Zweiten Weltkrieg, vor allem etwas mit in Devisen abzuliefernden Mitgliedsbeiträgen zu tun hatte.
Im einzelnen befassen sich die Darstellungen des Autors weitgehend mit dem IBFG und seinen Beziehungen zum ÖGB, mit den 16 internationalen Fachsekretariaten, mit den losen, vielfach auf Sitzungen beschränkten Kontakten bei den drei Gewerk-schaftsinternationalen (der freien, der kommunistischen und einer aus der christlichen Internationale hervorgegangenen). Die Ausführungen werden durch einen Tabellenanhang sowie durch die Wiedergabe des neuen Programms des IBFG (1972) ergänzt.
Das Buch ist nicht allein ein „Leitfaden“ oder ein Lehrbehelf - wie in der Einleitung bescheiden behauptet wird -, sondern eine von profunder Kenntnis der Materie zeugende Darstellung eines wesentlichen Segmentes der internationalen Sozialgeschichte.
SOLIDARITÄT INTERNATIONAL. DER ÖGB UND DIE INTERNATIONALE GEWERKSCHAFTSBEWEGUNG. Von Alfred Ströer. Verlag des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Wien 1977. 277 Seiten, öS 148-
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