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Das Kreuz im OGB: Loyalität gefragt

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Beim 11. Bundeskongreß des ÖGB zwischen 3. und 10. Oktober im Wiener Konferenzzentrum stellen auch die Christgewerkschafter einige Weichen in die Zukunft.

Nach außen hin ist alles in bester Ordnung: erstmals in der Geschichte des österreichischen Gewerkschaftsbundes (ÖGB) hat ein Gottesdienst Aufnahme in das offizielle Programm eines ÖGB-Kongresses gefunden. Die christlichen Gewerkschafter—eine qualifizierte, aber doch deutliche Minderheit im ÖGB — werten diesen Akt der sozialistischen Mehrheitsfraktion nicht zuletzt auch als Anerkennung ihrer Arbeit in den ÖGB-Gremien.

Hinter den Kulissen geht's allerdings auch bei den Christgewerkschaftern weit weniger christlich zu: die bevorstehende Neuwahl des Bundesobmanns der Fraktion christlicher Gewerkschafter (FCG) sorgt für Aufregung und allerlei intrigante Winkelzüge,

Der Papierform nach ist zwar auch alles klar: die Wahlvorschlagskommission hat am 26. Mai dieses Jahres den Chef der Gewerkschaft öffentlicher

Dienst, Rudolf Sommer, mehrheitlich zum Nachfolger von Robert Lichal designiert.

Von allem Anfang an hat sich jedoch Widerstand gegen diese Entscheidung formiert. Er richtet sich vordergründig gegen den Kandidaten der Wahlvorschlags-kömmission, tatsächlich stehen Aufgabe und Strategie der FCG im Gewerkschaftsbund zur Diskussion.

Am 30. April 1945 wurde in Wien der überparteiliche ÖGB gegründet. An seiner Wiege standen allerdings die Parteien. Die Uberparteilichkeit des Gewerkschaftsbundes war die Antwort auf die unselige Konfrontation der weltanschaulich gebundenen Richtungsgewerkschaften vor und in der Ersten Republik (siehe „Schatten des Marxismus“).

Die nicht-sozialistischen Gewerkschafter agierten unmittelbar nach dem Krieg zunächst unter dem „Firmennamen“ österreichischer Arbeiter- und Angestelltenbund (ÖAAB), den in erster Linie Christgewerkschafter bereits am 17. April 1945 ins Leben gerufen hatten.

Nachdem der ÖAAB als Arbeitnehmerbund in der neugegründeten österreichischen Volkspartei verankert worden war, wurde jedoch schon ab 1950 über die Errichtung einer parteiunabhängigen Gewerkschaftsfraktion nachgedacht. Seit dem 2. ÖGB-Kon-greß am 30. September 1951 agierten die christlichen Gewerkschafter im ÖGB dann offiziell als Fraktion christlicher Gewerkschafter. Erster Bundesobmann wurde Erwin Altenburger, der in der Folge immer stärker die Unabhängigkeit seiner Gewerkschaftsfraktion auch gegenüber der „Mutterpartei“ und dem ÖAAB betonte.

Daran scheiden sich auch heute noch die christlichen Gewerkschaftsgeister. Trotz vieler Doppelmitgliedschaften in FCG und ÖAAB und der Personalunion in vielen Gewerkschafts- und Parteifunktionen stehen sich nach wie vor zwei „Lehrmeinungen“ gegenüber: während die Vertreter der „reinen Gewerkschaftslehre“ auf die strikte Trennung von parteipolitischer und gewerkschaftlicher Arbeit beharren, wollen die „Pragmatiker“ in der christlichen Gewerkschaftsbewegung den Weg der „doppelten Loyalität“ gegenüber Partei und Gewerkschaftsbund gehen.

Was die einen für „Schizophrenie“ halten, ist für die anderen bloß die Anerkennung der politischen Realität. Und die sieht nun einmal so aus, daß sich die Fraktion sozialistischer Gewerkschafter im ÖGB von Anfang an als verlängerter Arm der SPÖ im Gewerkschaftsbund verstanden hat.

Sowohl der offizielle Kandidat für den Bundesvorsitz in der FCG, der ÖVP-Bundesrat Rudolf Sommer, als auch seine potentielle Gegenkandidatin, die Chefin der Angestellten im ÖAAB und ÖVP-Nationalratsabgeordnete Ingrid Korosec, setzen auf die pragmatische Linie.

Der Zentralsekretär in der Gewerkschaft der Privatangestellten, Hans Klingler, will dagegen die Parteiunabhängigkeit der FCG besonders in den Vordergrund rücken und auf strikter Aufgabenteilung zwischen Gewerkschaft und Partei festhalten.

Das geistige Fundament für ihre Tätigkeit suchen und finden alle drei Kandidaten für die Obmann-Wahl beim 11. FCG Bundestag am 3. und 4. Oktober in der christlichen Soziallehre, wie sie sich seit dem vorigen Jahrhundert aus der Katholischen Soziallehre und der evangelischen Sozialethik entwickelt hat. Deren Wert-und Zielvorstellungen wie Personalität, Subsidiarität und Solidarität sind der konkrete Gegenentwurf zu den aus dem Marxismus hergeleiteten Gesellschaftsutopien der sozialistischen Gewerkschafter.

So gesehen halten die Christgewerkschafter nicht nur das Kreuz im ÖGB hoch, sie verstehen sich auch als christlich-soziales Gewissen der ÖVP.

Wie die Rolle der Christen in der Politik, so hat sich auch die Rolle der Christgewerkschafter spätestens seit dem „Mariazeller Manifest“ von 1952, in dem die katholische Kirche Österreichs ihre Äquidistanz zu den politischen Parteien festgeschrieben hat, verändert.

Christen sind heute nicht nur in beiden Großparteien tätig, sondern auch in der sozialistischen und selbstverständlich in der christlichen Gewerkschaftsfraktion des ÖGB.

Deshalb sind der Rückgriff und die Besinnung auf die christliche Gesellschaftslehre für die Christgewerkschafter heute mehr als eine historische Reminiszenz.

Gerade der beim 11. Bundeskongreß des ÖGB anstehende Wechsel im Präsidentenamt von Anton Benya zu Fritz Verzet-nitsch eröffnet den Christgewerkschaftern neue — personelle wie programmatische — Optionen. Und die sollten jenseits der personellen Querelen auch Thema des bevorstehenden FCG-Bundesta-ges sein.

Diese nahezu historische Chance der FCG manifestiert sich nicht zuletzt auch darin, daß etwa der ÖAAB bei den Wahlen in Kammern der Arbeiter- und Angestellten zuletzt immer stärker wurde. Dies ist auch eine Herausforderung für die christlichen Gewerkschafter, ihren Einfluß im ÖGB zu vergrößern.

Das Monopol der Sozialisten auf die Vertretung von Arbeitnehmerinteressen ist nämlich längst gebrochen—auch durch die Arbeit der christlichen Gewerkschafter.

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