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Auch ein Offenbarungseid

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Mitbestimmung verdirbt, wenn sie werkschafter einfach der sozialistilediglich die Plätze in den Aufsichtsräten (nach parteipolitischen Gesichtspunkten) umverteilt. Dies — leider! — wäre das Ergebnis der von der sozialistischen Regierung zuletzt geforderten Novellierung des Betriebsrätegesetzes. Künftighin soll ein Drittel der Aufsichtsräte von den Arbeitnehmervertretern gestellt werden. Hinter dieser Forderung stehen keine pragmatischen Erfahrungen, sondern der höchst ambitiöse ideologische Anspruch, die Gleichberechtigung von Arbeit und Kapital durchzusetzen, die „Selbstentfremdung des Arbeiters zu überwinden“, die Betriebsverfassung zu „demokratisieren“.

Auf die Situation in der verstaatlichten Industrie übertragen, würde dies die Stärkung des Einflusses der Sozialistischen Partei in den staatlich geführten Unternehmungen bedeuten. Dies wird auch weder von Regierungsvertretern noch vom SPÖ-Zentralorgan „Arbeiter-Zeitung“ in Abrede gestellt. Will man denn „SP-Wähler diskriminieren?“, heißt es demokratiebewußt und man meint, es sei doch schließlich nicht die Schuld der SPÖ, wenn sie die Betriebsräte in zahlreichen Schlüsselunternehmen Österreichs dominiert. Daß gerade sozialistische Arbeitnehmervertreter immer wieder der Versuchung unterliegen, sich zu verselbständigen und sich gegenüber den Repräsentierten aus Gründen der Parteidisziplin abzukapseln, wurde erst Anfang Juni 1972 bewiesen, als Vertreter des VÖESt.-Be-triebsrates gegen den Vorstellungen der VÖESt.-Arbeitnehmer die Parteiposition bezogen.

Wie dem auch sei: die Regierung ist am Zug und sie hat auch schon in der jüngsten Vergangenheit bewiesen, daß sie, ohne mit der Wimper zu zucken, ihre knappe absolute Mehrheit auch oft gegen ihre Demokratisierungsversprechen in Wahlkampfzeiten einsetzt. Dabei kann sie überdies auf positive Äußerungen von Vertretern der Fraktion christlicher Gewerkschafter in dieser Frage verweisen. Übersehen wird dabei gern und oft, daß im Blickwinkel der christlichen Gewerkschafter kaum der parteipolitische, sondern der sozialistische Gesichtspunkt im Vordergrund steht. Dies nun aber der keineswegs mitbestimmungshungrigen Öffentlichkeit klarzumachen, dürfte angesichts des Zeitdrucks, der hinter der Regierungsforderung steht, sehr schwer fallen. Ihre und die Chance des ÖAAB dürfte heute darin liegen, die Zustimmung zu einer tatsächlich auf die Arbeitnehmerinteressen ausgerichteten Mitbestimmung von einer Urabstimmung im Gewerkschaftsbund abhängig zu machen. Dieser Forderung haben sich die sonst so demokratielüsternen sozialistischen Gewerkschafter bis heute mit einigem Erfolg widersetzt. Nun aber wäre es an der Zeit, den Offenbarungseid in Sachen Mitbestimmung abzulegen. Das eine ohne das andere, ist eine äußerst fragwürdige Sache, geradeso wie es eben sehr fragwürdig ist, neu beitretende Gesehen Fraktion zuzurechnen. Ferner sollten die Vertreter des ÖAAB darauf drängen, die sozialistischen Neo-Aufsichtsräte in den verstaatlichten Betrieben dem Parteikontingent der SPÖ anrechnen zu lassen. Eine sozialistische Regierung, der es tatsächlich um die Demokratisierung und die Humanisierung der Betriebe geht, wird diese Forderung schwerlich ablehnen können. Macht sie dies aber dennoch, so zeigt sie, daß sie in der Mitbestimmungsfrage Betriebshumanisierung mit machtbewußter Parteipolitik verwechselt.

Akzeptiert man die Feststellung, daß sich die sozialethischen Ziele der Überwindung der „Selbstentfremdung“ durch eine paritätische Besetzung der Aufsichtsräte als unerreichbar erweisen müssen, dann bleibt die Forderung der Regierung nach einem Wort von Goetz Briefs lediglich ein Kampf zwischen zwei Eliten um die Macht, und als solcher Klassenkampf muß sie letztlich beurteilt werden. Soweit die Mitbe-stimmungsforderung allein der Humanisierung des Betriebes ohne erhebliche Beeinträchtigung seiner Leistungsfähigkeit dient, wird man sie bejahen müssen; eine Syndikali-sierung der Wirtschaft, die allein von parteipolitischen Erwägungen bestimmt ist, wird man jedoch entschieden ablehnen müssen. Hier sollte dem ÖAAB das klare und entschiedene Nein nicht schwerfallen.

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