6831182-1974_40_04.jpg
Digital In Arbeit

Keine Gastarbeiterwahlen

Werbung
Werbung
Werbung

Die sozialistischen Funktionäre der Arbeiterkammern konnten ihre Betroffenheit nicht verbergen. Ein großer Teil von ihnen kann zwar auf den angestammten Sesseln sitzen bleiben, aber diese Sessel wackeln nun, haben zum Teil nur noch drei Beine. Kein Zweifel ist möglich: Das Ergebnis der Arbeiterkammerwahlen, denen diesmal mit ganz besonderer Spannung en’tgegengesehen wurde, signalisiert eine Trendumkehr.

Für die sozialistischen Arbeiterkammerfraktionen ist das Vordringen des ÖAAB auf der gesamten Linie um so schmerzlicher, als sie die Arbeiterkammerwahlen seit Wochen zu Wahlen von Bedeutung für die gesamte Bundespolitik, zu Testwahlen, zu Barometerwahlen, hochstilisiert hatten, was wohl durchaus im Bewußtsein ihrer Bedeutung geschah. Als „Testwahlen über die Wirtschaftspolitik der Regierung’ hatte Bundeskanzler Kreisky, als „die bedeutendsten Wahlen nach den Nationalratswahlen’ hatte Bürgermeister Gratz die AK-Wahlen noch Anfang September bezeichnet. Zwei Äuße rungen, die für viele ähnlich lautende stehen.

In den letzten Wochen ist über die Arbeiterkammer, ihre Bedeutung und ihre Funktion viel geschrieben worden, insbesondere auch im Zusammenhang mit dem Verhältnis zwischen Arbeiterkammer und Gewerkschaft. Kein Zweifel, der ÖGB hat in Österreich nicht nur optisch, sondern auch faktisch die größere Bedeutung. (So werden in Österreich Kollektivverträge auf seiten der Unternehmer zwar von den Kammern, also den dafür vorgesehenenen Körperschaften öffentlichen Rechts, unterzeichnet, auf Arbeitnehmerseite jedoch von der Gewerkschaft und nicht von der Arbeiterkammer.)

Dennoch kommt gerade den Arbeiterkammerwahlen gesteigerte Bedeutung zu, da es ja bekanntlich im ÖGB keine Urwahlen gibt. Kann man also im ÖGB, wo ein Funktionär den anderen wählt, die Verhältnisse an der Basis kaum mehr feststellen, so bieten die alle fünf Jahre abgehaltenen Kammerwahlen den Vorteil, die gesellschaftspolitische Zuordnung der Arbeitnehmer abzulesen.

Die Verlierer der Arbeiterkammerwahlen erwiesen sich als nicht sehr gute Darsteller in dieser Rolle. Da wurde in Morgenjoumal-Äußerungen der Werbeaufwand der Gegenseite für das eigene Versagen verantwortlich gemacht. Worauf zu antworten wäre, daß der Werbeaufwand des ÖAAB erstens übertrieben darge- stelllt wurde, daß zweitens entsprechend reichliche Bemühungen bei Wahlen, die von höchster sozialistischer Seite als „die wichtigsten nach den Nationalratswahlen’ bezeichnet wurden, durchaus legitim erscheinen und daß drittens schließlich auch die sozialistische AK-Fraktion alles andere als untätig war.

Da wurde auf der anderen Seite plötzlich von den Gastarbeitern als ausschlaggebendem Faktor gesprochen, und man merkt nur zu genau, worauf dies hinauslaufen soll: Die Gastarbeiter, die man einst für ein sozialistisches Wählenreservoir hielt, sind halt doch konservativer, sprich „rückständiger’, als gedacht. Hoffnung, dieser Wahlsieg des ÖAAB könnte auf diese Weise sogar noch zu einem nach hinten losgehenden Schuß werden: Herausbildung eines falschen Images für den ÖAAB, Identifizierung des konservativen Arbeitemkaimmerlagers mit den Gastarbeitern, um jene Schichten, um die es heute sowohl in Nationalratswahlen wie auch in Arbeiterkammerwahlen wirklich geht, und die den österreichischen Erdrutsch von 1970 herbeigeführt haben, um so leichter für sich reklamieren, an sich binden zu können.

Die Schichten, um die es wirklich geht: das sind die „sozialen Aufsteiger’, die „aufstrebenden Angestellten’, und wie immer die Etiketten heißen, mit denen man die neuen Wechselwähler beklebt.1 Niemand wird feststellen können, welchen Einfluß die Gastarbeiter wirklich hatten, aber wenn sie diese AK- Wahl entschieden haben, dann lediglich insofern, als sie eben nicht zu einer geschlossenen oder in überwiegender Mehrheit für die SPÖ-Liste votierenden Gruppe wurden. Der echte, mehrheitsbildende Einfluß in der Arbeiterkammerwahl kam von der Mehrheit der Wahlberechtigten, die noch immer von den Österreichern gestellt wird.

Das erste Länderergebnis lag bereits relativ früh vor, nämlich Osttirol: Hier erzielte die SP 1242 Stimmen (gegenüber bisher 1500), die VP 2107 (bisher 1690), die FP 70 (bisher 107).

Die ersten Ergenisse aus Oberösterreich trafen ein. Schärding und Ried im Innkreis zeigten starke Verluste der SPÖ, und auch die ersten Ergebnisse aus Niederösterreich bestätigten diesen Trend.

Gespannt wartete man auf die ersten Ergebnisse aus Wiener Bezirken. Als erste wurden der 4., der 18., 11. und 5. Bezirk gemeldet, und auch hier zeigte sich, daß der ÖAAB stark an Stimmen gewonnen hatte, und zwar in Wien bei den Angestellten, in den Bundesländern jedoch eigenartigerweise auch besonders stark im Wahlkörper Arbeiter.

Was Vorarlberg betraf, wurde leiser Optimismus laut, die absolute Mehrheit ,d£s’ ÖÄAÖ .schien in greifbarer Nähe — ühd Wurde ‘ dähn zur Tatsache. Bisher hatte zwar der ÖAAB bereits den Kammerpräsidenten gestellt, döch nur mit der relativen Mehrheit, unter Mithilfe der Freiheitlichen. Insgesamt zeigte sich in Westösterreich ein überaus starker Trend zum ÖAAB, während in Ostösterreich diese Tendenz etwas weniger stark auftrat. Dennoch konnte auch in Wien der ÖAAB in Hochburgen der SPÖ beachtliche Erfolge erzielen (so etwa im 11. Bezirk).

Woraus sich, insgesamt gesehen, doch wohl der Schluß abledten läßt,

daß die Wechselwähler Österreichs Und: Auch Arbeiterkammem müs- Wechselwähler geblieben sind — sen keine SPÖ-Hochburgen sein, wieder haben sie gewechselt. Man Auch hier können die Dinge demokann sich auf sie nicht verlassen, kratisch in Bewegung gebracht wer- man muß sich um sie bemühen, den.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung