6850957-1976_47_01.jpg
Digital In Arbeit

Parteibuch Uber alles

Werbung
Werbung
Werbung

„Betriebsterror“, der neue innenpolitische Frankenstein, ist unter uns. Das Spiel mit der Angst des Arbeitnehmers um seinen Arbeitsplatz, um seine Existenzgrundlage, hat dieser Tage ÖAAB-Generalsekretär Walter Heinzinger aus seiner parteiischen Sicht der Öffentlichkeit dargeboten. In einer umfangreichen Dokumentation hat Heinzinger nach monatelangen Recherchen einige ganz eklatante Fälle der politischen Unterdrückung und der Einschränkung von Freiheitsrechten zu Papier gebracht.

Mit seiner Betriebsterror-Dokumentation hat der ÖAAB-General den Zünder an einer Sache scharf gemacht, die freilich im stillschweigenden Einverständnis der beiden Großparteien niemals „hochgehen“ sollte: Global gesehen geht es um die Frage, wo und wie in Österreich Arbeitnehmer, von welcher Seite auch immer, unter Druck gesetzt werden, „freiwillig gezwungen“ werden, irgendwelchen Organisationen beizutreten, oder wie sie verantwortungsvolle Posten nur dann bekommen, wenn sie ihre ursprüngliche Meinung samt Sachverstand gegen ein Parteibuch eintauschen.

Heinzinger hat auch unmißverständlich zu verstehen gegeben, daß Polit-Terror auch in von der OVP dominierten Bereichen stattfinden kann, wenngleich er sich beeilte hinzuzufügen, die ÖVP-Beispiele seien vergleichsweise viel dünner gesät. Wer wollte ihm ds übel nehmen, ist er doch Generalsekretär des schwarzen ÖAAB und nicht eines roten Vereines.

Die Tatsachen brauchen nicht näher kommentiert zu werden: Zweifellos gibt es Großbetriebe — vielfach verstaatlichte —, in denen um jeden Preis die Kandidatur von ÖAAB-Leuten verhindert werden muß. Es gibt aber auch das 99-Pro-zent-Ergebnis bei den Personalvertretungswahlen in der niederösterreichischen Landesverwaltung. Wer darüber poltert, daß unter den 195 Bediensteten der steirischen Arbeiterkammer nur ein einziger das Vertrauen des ÖAAB genießt, der sollte die Augen auch nicht vor der Tatsache verschließen, daß selbst „schwarze“ Arbeitgeber oft nicht gewillt sind, „schwarze“ Personalvertreter oder Betriebsräte zu akzeptieren. So geschehen etwa in der Handelskammer Niederösterreichs, wo unter allen Umständen an Stelle einer ÖAAB-Liste eine ungebundene Namensliste kandidieren sollte.

Was der ÖAAB an Fällen präsentierte und was die „Gegenseite“ zu kontern in der Lage oder willens ist, scheint tatsächlich nur die Spitze eines Eisberges zu sein. Eines Eisberges, an dessen „Hebung“ keiner eine Freude hätte.

Die Parteien sind gar nicht daran interessiert, die vielfältigen Koalitionen der Macht, die zahlreichen Koalitionen der Parteibüchl-Wirtschaft einzugestehen oder gar zu beenden. Die Wahrheit ist, daß zumindest die beiden Großparteien dutzendweise die schönsten Trumpfkarten in Sachen „politischer Terror“ in Händen halten, aber deswegen das Spiel gar nicht erst eröffnen, weil jede Karte von einer Gegen-Karte gestochen werden kann.

Typisches Beispiel: Der ÖAAB hatte alle Chancen, bei seiner jüngsten Pressekonferenz, die dem Betriebsterror gewidmet war, mit einem taufrischen Fall aufzuwarten: Ein Bürgermeister einer roten Industriegemeinde hatte einem ÖVP-Funktionär eine Ohrfeige gegeben. Der ÖAAB traf alle Anstalten, mit dem Fall in die Öffentlichkeit zu geFortsetzung auf hen, worauf die SPÖ der betreffenden Gemeinde gekonnt reagierte: „Wenn ihr das macht, dann bringen wir die Grundstücks-Geschichten eures Landesrates in die Zeitung!“ Nomina sunt odiosa...

Widerlich, für den unbefangenen Beobachter vor allem unverständlich, ist es auch, daß Posten im Bereich der Schulen, der Hochschulen, der Verwaltungseinrichtungen, des öffentlichen Dienstes und der Wirtschaft im wesentlichen nach dem Gesichtspunkt der Parteizugehörigkeit vergeben werden. Zahlreiche Fälle beweisen, daß junge Leute, die ihr Studium oder ihre Ausbildung abgeschlossen haben und sich auf Stellensuche begeben, dann „arme Hunde“ sind, wenn sie nicht der für ihren Tätigkeitsbereich relevanten politischen Kraft angehören. Oder auch, wenn sie schlicht und einfach gar keiner Partei angehören und statt des zuständigen Parteibuches „nur“ Sachwissen mit sich herumschleppen.

Eine der Hauptursachen für diese restlos verfilzte Situation scheint darin zu liegen, daß in keinem anderen Land die Parteien-Dichte so hoch ist wie in Österreich. Nirgendwo sind politische Verbände ähnlich durchorganisiert wie in unseren Breiten. So verfügt die CDU beispielsweise nicht nur relativ, sondern auch ab solut (!) über weniger Mitglieder als die ÖVP.

In ÖVP wie SPÖ gibt es bereits namhafte Politiker, die angesichts der fast reinrassigen Mitgliederparteien gehöriges Unbehagen verspüren. Eine ausgewogene „Abrüstung“ der parteipolitischen Macht-' und Einflußsphären würde unsere politische Landschaft in erfreulicher Weise entemotionalisieren und bereichern.

Eine Brise Liberalität könnte unserem Klima nicht schaden. Echte Liberalität. Denn das, was bislang als „liberal“ bei uns verkauft wird, ist kein frischer Wind, das ist Föhn. Und der macht Kopfweh.

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung