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Vergebliche ÖAAB-Stunde
Was nicht unbedingt bedeutet, daß wir auch in einem sozial gerechten Staat leben. Wir werden von einer sozialistischen Alleinregierung administriert, was nun auch wieder nicht besagt, daß diese Regierung ihre Politik allein darauf ausrichtet, die soziale Gerechtigkeit zu maximieren. Ja, und dann haben wir auch eine große Oppositionspartei und darin einen Arbeitnehmerflügel, dessen große Chance sich endlich zu profilieren spätestens seit dem Zeitpunkt, da Kreisky eine Alleinregierung mit entsprechender parlamentarischer Rückendeckung führt, evident ist und der sich, wie es scheint, wieder nicht durchzusetzen vermag. Den jüngsten Beweis für die Richtigkeit dieser Beurteilung lieferte die Art und Weise, wie Parteiobmann Doktor Schleinzer den Experten der Bundesbandelskammer — also dem ' Wirtschaftsbund — das Mitspracherecht bei Behandlung der geplanten Einkomimensteuersenkung zuordnete. Erst meinte er in einer Aussendung seines Pressedienstes, die Gesamtpartei werde die gewünschte Einkommensteuerreform mit der geplanten Realisierung einer Mehrwertsteuer junktimieren, dann ließ er von diesem durchaus vernunftigen Plan ab, indem er die Interessen des Wirtschaftsbundes begünstigte.
Der Sinai für das Gleichgewicht der ökonomischen Interessen mag unter der Parteiführung Klaus zu stark entwickelt gewesen sein; jetzt unter Parteiobmann Dr. Schleinzer ist dieser Sinn offensichtlich schwach entwickelt. Den Schaden trägt nicht allein der ÖAAB, sondern die Gesamtpartei davon, deren dynamischester Flügel die Arbeitnehmergruppierung sein sollte. Der Wulst dei Argumente, die jetzt im Zusammenhang mit der Diskussion zum ÖVP-Grundsatzprogram'm vorgebracht werden, muß mehr vernebeln als klären, solange sich die ÖVP beharrlich weigert, Grundwahrheiten zu erkennen. Sie wird neu, anders werden müssen, den ÖAAB nicht im Sinn des Wortes „links“ liegen lassen, oder sie hat keine Zukunft mehr. Man muß die Tragweite dieser „Herausforderung“ bei einer Organisation, deren Rückhalt ist, daß auch der Großvater, dem Bürgermeister Lueger noch die Hand gedrückt hat, schon „bürgerlich“ gewählt hat, begreifen. Um so weniger ist dann aber zu akzeptieren, daß der ÖAAB auch in der opponierenden Volkspartei das — und nur das — bekommt, was übrigbleibt, wenn die ökonomischen Interessen des Wirtschafts- und des Bauernbundes befriedigt sind.
Mocks Chance
Leider freilich nimmt der ÖAAB diese Behandlung ziemlich unwidersprochen hin. Von ÖGB-Vizepräsi-denten Altenburgers Streikdrohung abgesehen las man in den Zeitungen in der Frage der Einkommensteuersenkung keine „starke“ Stellungnahme. Dabei schreit dieses Problem geradezu danach. Es mußte erst eine sozialistische Regierung in Österreich die Alleinverantworbung übernehmen, um zu erreichen bzw. zu tolerieren, daß der Anteil des Lohnsteueraufkommens an den Gesamteinnahmen des Bundes in den Jahren 1970 mit 11,1 Prozent und 1971 mit 12,2 Prozent bedeutend höher liegt als in allen Jahren seit
1956. Zwischen 1966 und 1969 betrug dieser Anteil im Jahresdurchschnitt bloß 10 Prozent. Es mußte schließlich erst ein sozialistischer Bundeskanzler kommen, gewiß glaubhafte Feststellungen über Probleme der gerechteren Einkommensverteilung treffen, um dann mit Zuwachsraten des Lohnsteueraufkommens in den Jahren 1970 und 1971 von 21,3 und 26 Prozent zu kalkulieren (zwischen
1956 und 1970 beträgt der jahresdurchschnittliche Zuwachs runc 15 Prozent), ohne auch nur ernsthafl daran zu denken, diese inflationsge-speisten Progressionsgewinne durch eine Einkommensteuersenkung wieder zu retournieren, weil, so Kreisky „der Finanzminister Dr. Androscr immer recht hat“.
Woran die Lethargie des ÖAAE liegt? Ganz gewiß auch an seinei Außenseiterrolle in der Volkspartei ganz gewiß auch an der Haltung dei ÖVP-Spitze, die laufend Kommuniques über den Parteipressediens ediert und im übrigen hofft, mar könne sich mit Hilfe von Werbeagenturen für eine Regierung empfehlen Vielleicht liegt die ÖAAB-Lethargi( auch daran, daß der ÖAAB-Bundes-obmann noch immer kein sehr starkes Rollenibewußtsein in seiner neuen Funktion entwickelt hat.. Es mag schon stimmen, daß er in seiner atemberaubend schnellen politischen Karriere Stufen übersprungen hat, die einem in einer mittelfristigen Karriere zu nehmen nicht erspart bleiben. Also bleibt zu hoffen, daß er diese Stufen nun schnell und gründlich nimmt; damit dies aber geschehen kann, ist es notwendig, daß Dr. Mock trotz der Selbstgerechtigkeit eines Großteiles der ÖAAB-Funktionärsschicht jenen Stil an der Führungsspitze dieses Bundes entwickelt, der den ÖAAB präsent erscheinen läßt: präsent gegen die Regierung und in der eigenen Partei. Dann wäre die Stunde des ÖAAB gekommen, die ihm vorderhand noch vergeblich schlägt.
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