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ÖVP ist Bauernbund

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Als soziale Integrationspartei bezeichnen jene die ÖVP, welche in ihrer Bündestruktur die Stärke der Volkspartei sehen; heterogen und vom Interessensproporz geschwächt, präsentiert sich die große Oppositionspartei für die, welche in der bündnischen Gliederung der früheren Regierungspartei deren große Schwäche erblicken. Was richtiger ist, läßt sich schwer sagen. Tatsache ist aber, daß die Interessens-, Mitglieder- und Wählerstruktur der ÖVP auch große Chancen bietet. Politologen und Soziologen behaupten zwar oft, der SPÖ falle infolge einer atändigen Verminderung der selbständig Tätigen und auf Grund einer traditionellen Dienstnehmerorientierung die Wählermehrheit fast automatisch zu. Dies wird aber mit Sicherheit nicht zutreffen, wenn Bauern- und Wirtschaftsbund, die Industriellenvereinigung und der ÖAAB auch weiter Teile der Partei bleiben, aber nicht „die Partei“ werden.

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Als soziale Integrationspartei bezeichnen jene die ÖVP, welche in ihrer Bündestruktur die Stärke der Volkspartei sehen; heterogen und vom Interessensproporz geschwächt, präsentiert sich die große Oppositionspartei für die, welche in der bündnischen Gliederung der früheren Regierungspartei deren große Schwäche erblicken. Was richtiger ist, läßt sich schwer sagen. Tatsache ist aber, daß die Interessens-, Mitglieder- und Wählerstruktur der ÖVP auch große Chancen bietet. Politologen und Soziologen behaupten zwar oft, der SPÖ falle infolge einer atändigen Verminderung der selbständig Tätigen und auf Grund einer traditionellen Dienstnehmerorientierung die Wählermehrheit fast automatisch zu. Dies wird aber mit Sicherheit nicht zutreffen, wenn Bauern- und Wirtschaftsbund, die Industriellenvereinigung und der ÖAAB auch weiter Teile der Partei bleiben, aber nicht „die Partei“ werden.

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Gewiß, Bundeskanzler Dr. Kreisky hat es (noch) besser als ÖVP-Ohmann Withalm, nicht zuletzt deshalb, weil sich mit der einzigen „Säule“ der Sozialisten, dem Gewerkschaftsbund, eben leichter Regierungs- oder Oppositionspolitik machen läßt als mit einer „Bündekoalition“. Die Abnützung der ÖVP-Kanzler, und, wie es scheint, auch der des Oppositionsführers, ist daher dementsprechend groß.

So gesehen, war es eigentlich nicht überraschend, daß die Volkspartei als Opposition — wenigstens bis jetzt — fast ausschließlich vom Bauernfound repräsentiert wurde. Der politischen Interessenvertretung der Landwirte gehören immerhin rund 400.000 Mitglieder an, und es gibt kaum einen Ort in Österreich, wo der Bauernbund nicht organisiert wäre. Dieses dichte, funktionsfähige Orgamisa-tionsnetz zeichnete sich auch bei der Tiroler Landtagswahl aus, bei der es dem Bauernbund gelungen ist, seine Mitglieder und Freunde zu fast 100 Prozent an die Wahlurnen zu bringen. Die anderen ÖVP-Bünde fallen aber, was die Organisation betrifft, stark ab.

Der ÖAAB, nicht tu Unrecht alt Hoffnung der Partei bezeichnet, kommt nur dort wirklich zur Geltung, wo größere gewerbliche oder industrielle Betriebe sind, hat aber seine eigentliche Hausmacht nun unter den Beamten und Angestellten, die Arbeiter sind in der Minderzahl.

Der Wirtschaftsbund wiederum lebt nur durch die Kammern und hat kaum eine politische Ausstrahlungskraft auf größere Bevölkerungsgruppen.

Wurde die ÖVP-Wahlnlederlage vom l. März zum Teil sehr, lautstark dem Bauernbund In die Schuhe geschoben, so zeigt sich nun, daß et der „Ökonomierätepartei“ nicht nur gelungen ist, sich personell geschickt zu erneuern, sondern Präsident Mlnkowltsch und Direktor Dr. Lan-ner ziehen auch geschickte politische Fäden: Der frühere Landwirtsehafts-mlnister Dr. Schlelnzer stand zwar im Bauernbund, dem er angehört, auf der Beliebtheitsleiter nie ganz oben — für viele sogar um einige Sprossen zu weit unten —, trotzdem kam er als Generalsekretär seiner Partei, gegen den Wülen des „Staatsmannes ohne Wählerimage“, Maleta, zum Zuge. Jener Mann, der die ÖVP zu neuen Ufern führen könnte, Professor Koren, verdankt es ebenfallls dem Bauernbund, daß er sich endlich eine Hausmacht, die in der Volkspartei viel, oft zuviel, gilt, sichern konnte. Und wenn das parteipolitische Barometer nach dem Semmering nicht ganz trügt, so ist Dr. Schleinzer, derzeit der einzige wirkliche hämo politicus In seiner Partei, auf dem besten Wege, Nummer eins zu werden. Dies käme dem Bauembund, der sich nicht zuletzt wegen der Abstinenz des ÖAAB, für die „Menschen im gesamten ländlichen Raum“ polltisch verantwortlich fühlt, nicht ungelegen. Er wäre damit tum zweitenmal in der Geschichte der Volkspartei auch de Jure der Repräsentant der ÖVP, Auf dem Semmering schlug, wie Dr. Lanner im Gespräch erklärte, dem Bauernbund auf jeden Fall eine Welle von Sympathien entgegen, indem sich auch die Vertreter anderer Bünde mit der konsequenten und konstruktiven Oppositionsstrategie solidarisch erklärten. Und wer wüßte besser von dieser Strategie zu berichten als Landiwirtschaftsminister Dr. Weihs, der bisher der politische Rammbock des Minderheitskabinet-tes war und es vermutlich noch einige Zeit bleiben wird. Im Vergleich dazu wurden Handelsminister Dr. Staribacher vom Wirtschaftsbund, Sozialminister Häuser vom ÖAAB fast „geschont“. Der Bauernbund kündigte aber, noch ehe die Budgetschlacht im allgemeinen, die Auseinandersetzung um den Agraretat im besonderen begonnen hat, neue und nicht gerade zimperliche Maßnahmen gegen das Kabinett Kreisky an, die von einem parr lamentarischen Mißtrauensvotum gegen Minister Weihs bis zu einem härteren Vorgehen der Bauernbund-abgeordneten in den Länderparlamenten reichen. Die ÖVP-^Agrarier sind zwar (noch) nicht von einer Profilneurose befallen, aber sie werden sicherlich »in entscheidende» Wort mitreden, wenn es gilt, wieder operative Eingriffe in die empfindliche Personalstruktur der ÖVP vornehmen zu müssen. Schließlich haben die Bauernbündler Krainer, Maurer und Wallnöfer die Wahlniederlagen Ihrer Partei in Grenzen gehalten und damit Erfolge erzielt, die auch ihren Preis haben.

Die ÖVP hat, wie die Semmering-Klausur zeigte, vorerst zur Kenntnis genommen, daß wohl die Bauern weniger werden, aber immer noch der treueste Wählerstock sind an dem noch durch Jahre hindurch verschiedenen gesellschaftspolitische Vorstellungen der SPÖ — angedeutet mit dem Bauernrat — scheitern werden.

Der Bäuerinbund hat sich in der Opposition ohne Neurosen und politische Hysterie reformiert und profiliert. Ähnliche Initiativen können daher vorderhand nur anderswo ergriffen werden.

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