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Skandinavisierung ?

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Vor der Akademikergruppe des Niederösterreichischen Bauernbundes, dem 180.000 Mitglieder angehören, hielt der Präsident des österreichischen Bauernbundes, Roland Minkowitsch, in der Vorwoche einen innenpolistisch vielbeachteten Vortrag, in dem er Bundeskanzler Dr. Kreisky nicht nur ein „agrar-politisches Sündenregister“ vorhielt, sondern auch die eigene Partei vor den Spaltungsversuchen der Sozialisten auf Kosten der Bauern warnte.

Die politische Interessensvertretung der ÖVP, der rund 400.000 Mitglieder angehören, das sind fast 85 Prozent der Landwirte, sei das Zentrum und Ziel sozialistischer Spaltungsversuche, betonte Minkowitsch. Bundeskanzler Dr. Kreisky lasse nämlich seiner Meinung nach nichts unversucht, um die ÖVP zu „skandi-navLsieren“, das heißt, die Bünde gegeneinander auszuspielen, um möglichst lange am der Macht bleiben zu können. Die Agrarpolitik der Regierung Kreisky zeigt, wie die Agrarier in den letzten Wochen mehrmals feststellten, bedenkliche Versuche, nicht nur den Bauernbund gegen die Partei, sondern auch die Förderungsbeamten gegen den Bauernbund und die Produktionsgebiete untereinander auszuspielen. Die von Bundeskanzler Dr. Kreisky neuerlich angekündigte Schaffung eines „Bauernrates“ ist wohl das bedenklichste Symptom in dieser Richtung.

Aus diesem Grunde zeichneten sich in den vergangenen Wochen beachtliche Nuancierungen in der Innenpolitik ab: Auf Drängen des Bauernbundes entwickelte die ÖVP eine Oppositionsstrategie, die sich in zunehmendem Maße auf den Bundeskanzler konzentriert, während Landwirtschaftsminister Dr. Weihs oder Verteidigungsminister Doktor Freishler aus Angriffen weitgehend herausgehalten werden. Die Bauern sind vor allem auch deshalb erbost, weil Bundeskanzler Dr. Kreisky neuerlich seine Junkti-mierungspraxis unter Beweis stellte, indem er meinte, die Zustimmuns zum Agrarbudget sei die Voraussetzung für die Verlängerung der Marktordnung, weil es seiner Meinung nach nicht sinnvoll wäre, diese wichtige Gesetzesmaterie abermals zu beschließen, aber für ihre finanzielle

Bedeckung nicht vorzusorgen. Der Bauernbund nahm diesen Fehdehandschuh des Bundeskanzlers auf und stellte fest, daß Erpressungsversuche mit dem Agrarbudget nicht zum Ziele führen werden. Für die Verlängerung der Marktordnung sei ausschließlich die Regierung Kreisky verantwortlich, wurde weiter betont, und ein Auslaufen dieser Gesetzesmaterie würde nicht nur Unruhe und Unordnung in der Landwirtschaft, sondern in allen Bevölkerungsgruppen bringen.

Die lautstarken Auseinandersetzungen um das Agrarbudget und die Marktordnung haben in der Vorwoche eine wichtige Entscheidung fast übertönt: Der heiß umkämpfte „Krisengroschen“, der im Sommer dieses Jahres auf 19 Groschen pro Liter erhöht wurde und zahlreiche Bauernproteste auslöste, wurde ab 1. November 1970 auf 10 Groschen pro Liter gesenkt und gleichzeitig der „SiloVerzichtszuschlag“ für jene Bauern, die Milch für die Emmentalererzeugung produzieren, ab 1. Jänner 1971 von 18 auf 30 Groschen pro Liter erhöht. Die Präsidentenkonferenz forderte eine Reduzierung des Krisengroschens ab 1. Oktober 1970 auf 7 Groschen pro Liter, was aber Landwirtschaftsminister Dr. Weihs au9 budgetären Gründen nicht akzeptieren konnte. Er stellte fest, daß es ihm vor allem darum gegangen sei, die Finanzierung der Milchordnung auch im kommenden Jahr sicherzustellen, weil mit einem finanziellen Abgang des Milchwirtschaftsfonds in der Höhe von rund 170 Millionen Schilling zu rechnen ist. Finanzminister Dr. Androsch war von der Entscheidung seines Ministerkollegen nicht sehr erfreut, weshalb sich Landwirtschaftsminister Dr. Weihs auch die politische Rückendeckung im Ministerrat holen mußte. Trotz des Bemühens des Landwirtschaftsmini-sters, den Forderungen der Bauern weitgehend Rechnung zu tragen, sind Bauernbund und Präsidentenkonferenz weiter verstimmt. Mit der „Sympathiewelle“ (Milchverschen-kungsaktion) wurde begonnen, mit „Warnaktionen“ fortgesetzt und Kampfmaßnahmen werden von den Agrariern nicht ausgeschlossen, wenn es um die Wahrung grundsätzlicher Existenzfragen der Bauern geht. Man darf gespannt sein, wie sich der politische Herbst weiter entwickelt, sollten Marktordnung und Agrarbudget beziehungsweise weitere Spaltungsversuche der Sozialisten die letzte Rakete im „Proteststufenplan“ der Agrarier zünden.

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