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Nervenkitzel um die Bauern

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Die Bauern könnten notfalls auch ohne reguläres Budget 1971, ja sogar ohne Verlängerung der Marktordnung über die Runden kommen, versicherte der ÖVP-Agrarsprecher Dr. Brandstätter Ende der vergangenen Woche, „denn die Marktordnung ist im wirtschaftlichen Denken der Bauern bereits so stark verankert, daß sie auch auf freiwilliger Basis ohne gesetzliche Regelung gut funktionieren würde“.

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Die Bauern könnten notfalls auch ohne reguläres Budget 1971, ja sogar ohne Verlängerung der Marktordnung über die Runden kommen, versicherte der ÖVP-Agrarsprecher Dr. Brandstätter Ende der vergangenen Woche, „denn die Marktordnung ist im wirtschaftlichen Denken der Bauern bereits so stark verankert, daß sie auch auf freiwilliger Basis ohne gesetzliche Regelung gut funktionieren würde“.

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Allein dürfte es sich bei den Äußerungen Dr. Brandstätters mehr um einen rethorischen Kraftakt handeln, denn an der Marktordnung ist den Bauern schon mehr gelegen. (Siehe auch nebenstehendes Interview mit ÖVP-Bauembundpräsident Minko-witsch.) Ein solches Spiel mit dem Nervenkitzel ist lediglich die Reaktion auf die Äußerungen Bundeskanzlers Dr. Kreisky aus dem hohen Norden, in denen er zu der Entscheidung der ÖVP, das Budget 1971 abzulehnen, Stellung genommen hat: „In diesem Budget werden beachtliche Mittel für die Landwirtschaft stecken — und die ÖVP-Bauemver-treter werden es sich gründlich überlegen müssen, wie sie entscheiden, schon im Hinblick darauf, daß einige für die Landwirtschaft sehr wichtige Gesetze zum Jahresende auslaufen.“ Bauernbundpräsident Minkowitsch reagierte wenige Stunden später, es sei für den Bauernbund von allem Anfang an festgestanden, daß das Paket der agrarischen Marktordnungsgesetze nur deshalb um bloß ein halbes Jahr verlängert wurde, „um damit zum gegebenen Zeitpunkt — also in zeitlicher Nähe zur Beschlußfassung über das Budget 1971 — die alte sozialistische Politik des Drohens und Erpressens fortsetzen zu können“. Dr. Kreisky befindet sich ebenso wie sein Landwirtschaftsminister Weihs eben in keiner sehr rosigen Lage: Denn neben dem ÖVP-Bauernbund nahm auch der Allgemeine Bauernverband — eher freiheitlich gesinnt — zu Dr. Kreiskys „Urlaubsgrüßen“ Stellung und sprach von der Notwendigkeit, „die bäuerlichen Probleme zu versachlichen und sich um deren Lösung anzunehmen“, wobei Lan-deskammerrat Wemitsch Dr. Kreisky interpretierte und ihm in den Mund legte, wonach die Zustimmung der ÖVP zum Budget 1971 Voraussetzung für die Verlängerung der bäuerlichen Wirtschaftsgesetze ist. Und der dritte im Bunde ist der sozialistische Arbeiterbauernbund, der meint, daß die wichtige Partnerfunktion der Landwirtschaft als Käufer und Verkäufer „im Interesse sowohl der Bauern als auch der Konsumenten klare agrarwirtschaftliche Rechtsgrundlagen (Landwirtschaftsgesetz, Marktordnungsgesetz) erfordert“.

Dabei ist die Marktordnung schon seit Jahren ein „heißes Eisien“ und war zu jeder Zeit umstritten. Das Marktordmingsgesetz, um welches es geht, ist eines der wichtigsten Gesetze aus der Gruppe der Wirtschaftsgesetze und behandelt im wesentlichen die drei Bereiche Milchwirtschaft, Getreidewirtschaft und Viehwirtschaft. Vorläufer zu diesem Gesetz grä es schon vor dem zweiten Weltkrieg, etwa das Milchausgleichs-fondsgesetz 1934, wo man anläßlich der Veräußerung von Verbrauchsmilch Beiträge einhob und zur Schaffung eines einheitlichen Milchpreises sowie zur Ausweitung der Erzeugung von Mlchprodukten verwendete. Ebenso ist hier das Vieh-verkehnsgesetz 1931 zu nennen, mit dem die in- und ausländischen Vieh-zufuhren auf die wichtigsten Inlandsmärkte mit dem Bedarf in Einklang gebracht worden. Nach dem zweiten Weltkrieg suchte die Landwirtschaft zur Sicherung ihrer Existenz bei ihren drei wichtigsten Produkten — Milch, Getreide und Vieh — ein möglichst stabiles Preisniveau. Ein provisorisches Milchwirtschafts-, Getreidewirtschafts- und Viehverkehrsgesetz gründete sich bis zum Inkrafttreten des Staatsvertrages auf dem Artikel 10 der Bundesverfassung („im Gefolge eineä Krieges notwendige Maßnahmen zur einheitlichen Führung der Wirtschaft“). Mit den bereits gemachten Erfahrungen konnte man sich 1958 über ein Marktordnuinigstgesetz einigen, es war aber bis zum 31. Dezember 1959 befristet. Eine laufende Verlängerung, meist um ein bis zwei Jahre, und mehrfache Novellierungen führten zum nunmehrigen Marktordnungsgesetz, das 1968 wiederver-lautbart wurde.

Am 17. Juni des heurigen Jahres verlängerte der Nationalrat das Markt-ordnunigsgesetz — das am 30. Juni ausgelaufen wäre — um ein halbes

Jahr bis zum 31. Dezember. Man muß es Bauernbundpräsident Minkowitsch zugute halten, daß er bei dieser Gelegenheit bereits darauf hingewiesen hat, eine Verlängerung um ein halbes Jahr sei deshalb ungünstig, weil das Gesetz im Budget berücksichtigt werden muß. Wie kann man aber dieser Forderung nachkommen, wenn man nicht weiß, wie die Zukunft aussieht?

Bundeskanzler Dr. Kreisky hat in seiner Regierungserklärung vor dem Nationalrat ein neues Marktordnungsgesetz angekündigt, der zuständige Ressortminister Weihs hat inzwischen diese Ankündigung wiederholt: Trotzdem bleibt für den Bauern ebenso wie für den Konsumenten die Unsicherheit der allernächsten Zeit. Im neuen Markt-ordnungisgesetz soll nämlich auch eine Neustrukturierung der drei landwirtschaftlichen Fonds (Milchwirtschaft, Getreideausgleich und Viehverkehr) eingearbeitet werden. Die Zusammensetzung dieser Fonds, die gegenwärtig aus je neun Vertretern der drei Kammern bestehen, soll — das ist der Wunsch des österreichischen Gewerkschaftsbundes — erweitert werden: eine Erweiterung anscheinend nur deshalb, weil der ÖGB selbst vertreten sein möchte. Dem unvoreingenommenen Beobachter drängt sich die Feststellung auf, daß der ÖGB der in den Fonds vertretenen Arbeiterkammer als „Konsumentenschützer“ mißtraut, denn sonst müßte eine Vertretung genügen. Diese gewerkschaftlichen Bestrebungen haben selbstverständlich unter der Bauernschaft Unruhe ausgelöst, denn würde es soweit kommen, hätten die Bauern in diesen Gremien — im wahrsten Sinne des Wortes — nichts mehr zu reden. Daß dadurch die Beratungen über ein neues Marktordnungsgesetz ins Stocken geraten, ist durchaus verständlich, obwohl stich die Sozialisten von vornherein der Schwierigkeiten bewußt hätte sein müssen. Ein ersatzloses Auslaufen am 31. Dezember hätte wahrscheinlich eine völlige Verwirrung auf dem Agrar-preissektor zur Folge, auch wenn einerseits die Bauern an ihre Disziplin und anderseits die Regierung an die Not der Bauern ohne das Marktordnungsgesetz und damit an ein Nachgeben der Agrarier glauben. Schwankende Lebensmittelpreise, Hand in Hand gehende Lohnforderungen und eine Beeinträchtigung der gesamten Wirtschaft wären zu befürchten.

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