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Kompromiß in Sicht

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Seit 1945 wird in Österreich alle zwanzig Monate zwischen den beiden Großparteien um die Verlängerung des Marktordnungsgesetzes gepokert. Das achtzehnte und vorletztemal ging es dabei so hart her, daß man glauben mußte, es könnte gar nicht mehr härter werden. Wenig später aber wurde ein Kompromiß erzielt. In die neunzehnte Pokerrunde wurde selbst die Sozialpartnerschaft eingesetzt. ÖGB-Präsident Benya sprach das machtbewußte Wort, daß die Bauern jeder Regelung zustimmen müßten, weil sie doch auf den Verkauf ihrer Ernte angewiesen seien, gelassen aus. Bundeswirtschaftskammer-Präsident Rudolf Sallinger ließ wissen, daß eine einfachgesetzliche Neuregelung der Marktordnung und der geplante Wegfall der 3 a und 3 b des Preisregelungsgesetzes eine wichtige Brücke der Sozialpartnerschaft, die Paritätische Kommission, funktionslos machen müsse. Und die ÖVP-Spitze hämmerte unentwegt der Bevölkerung ein, daß es der sozialistischen Bundesregierung nicht um eine reformierte Marktordnung, sondern um eine Neuordnung der Macht ginge. Auf Kosten der Ernährungssicherung, wie landauf und landab behauptet wurde.

ÖGB-Präsident Anton Benya fand als erster die verlorengegangene Kontenance wieder und sprach davon, daß er es als Gewerkschaftler gelernt habe, Kompromisse zu schließen. Landwirtschaftsminister Oskar Weihs, übrigens gar kein Freund der von seiner Partei vertretenen „reformierten“ Marktordnung, zeigte sich plötzlich „gesprächsbereit“, doch die sozialistische Parlamentsfraktion unter Heinz Fischer gab sich fürs erste stark und beantragte eine Fristensetzung für die Wirtschaftsgesetze bis zum 18. Mai. Bis dahin müßten alle Verhandlungen abgeschlossen sein, damit am 1. Juli 1976 eine neue Marktordnung in Kraft treten könne. Doch was Stärke andeuten sollte, offenbart auch sehr deutliche Schwächezeichen. Innerhalb der Volkspartei wurde diese im

parlamentarischen Betrieb eher unübliche Form der Fristensetzung bald als „befristetes Hornberger Schießen“ verstanden.

„Kompromiß in Sicht“ sagt heute der Obmann des Milchwirtschaftsfonds, Bundesrat Eder, und er dürfte recht behalten. Spätestens bis zum 17. Mai wird man sich einigen, heißt es innerhalb der SPÖ, „denn das war noch immer so“. Bundeskanzler Bruno Kreisky hatte schon am Höhepunkt der Auseinandersetzung um eine Verlängerung der Marktordnungsgesetze in einem ORF-Interview Einigungshoffnungen verkündet: „In diesen Fragen hat es immer wieder Kompromisse gegeben ... Seinerzeit sind solche Gesetze vorberaten worden durch die Sozialpartner. Und wenn jetzt die Sozialpartner wieder darüber verhandeln, halte ich das für sehr gut und vernünftig. Ich glaube, daß es genug Möglichkeiten für Verhandlungsergebnisse gibt. Das sehe ich alles nicht so dramatisch.“

Schon vor Wochen, als die Zeichen auf Sturm standen und alle österreichische Welt von einem drohenden Zusammenbruch der Sozialpartnerschaft sprach, mutmaßte die FURCHE den üblichen Kompromiß, sobald die Gemüter gekühlt und die Wogen geglättet sind. Zugleich aber meinten wir, daß nach all den wilden sozialistischen Drohungen, nach den möglicherweise unüberlegten Machtgesten des ÖGB-Präsidenten Benya ein Kompromiß über die Marktordnungsgesetze für ÖVP-Ob-mann Josef Taus einen gewaltigen Sieg bedeuten würde. Heute läßt sich mit einiger Sicherheit sagen, daß Josef Taus vor diesem Sieg, einem Erfolg der harten Worte und der klugen Taktik, steht. Dieser Erfolg dürfte den Aufwärtstrend, von dem die Volkspartei derzeit erfaßt ist, zumindest verlängern, wenn nicht sogar beschleunigen. Denn der Öffentlichkeit sollte damit bewußt werden, daß der Macht der SPÖ, des Gewerkschaftsbundes und erst recht der Bundesregierung Grenzen gesetzt

sind. Grenzen freilich, die heute weder Regierungspartei noch Bundesregierung immer deutlich zu erkennen in der Lage sind. Macht fordert ihren Preis; diesmal muß ihn die SPÖ bezahlen. Sie mußte sich ihren Mißerfolg auch vom Verfassungsdienst des Bundeskanzleramtes bestätigen lassen, der in seiner Stellungnahme zur Regierungsvorlage des Landwirtschaftsministers

schrieb: „... eine solche Lösung ist aus verfassungspolitischen Gründen abzulehnen.“

Angst vor der eigenen Stärke herrschte in SPÖ-Kreisen schon am Höhepunkt der Auseinandersetzung um die Verlängerung des Marktordnungsgesetzes. Man konnte und wollte sich einfach nicht vorstellen, daß es gelingen könnte, insbesonde-

re die städtische Bevölkerung nach dem Auslaufen der Marktordnung ausreichend und zu einigermaßen vernünftigen Preisen zu versorgen. ÖGB-Präsident Benya gab sich in dieser Frage in aller Öffentlichkeit recht zuversichtlich, doch parteiintern mußte er auch eingestehen, daß seine Zuversicht nicht von Wissen, sondern von Optimismus getragen ist. Bundeskanzler Kreisky, der sich im Machtpoker um die Marktordnung nie sonderlich hervorgetan hatte, schien dieser Optimismus keine ausreichende Basis für den Weg in ein ernährungswirtschaftliches Neuland. Bald sprach auch der SPÖ-Klubobmann davon, daß „es weder Sieger noch Besiegte“ in dieser Frage geben sollte, von der „Arbeiter-Zeitung“ recht präzis als „Hoffnungsformel“ umschrieben. Diese „Hoffnungsformel“ dürfte insofern aufgehen, als die an einer hinreichenden Nahrungsmittelversorgung interessierte Bevölkerung nicht Verlierer in diesem Machtpoker sein wird.

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