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Preise, Wahlen und der ÖGB

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Neuwahlen, ob sie nun im Herbst 1971 oder im Frühjahr 1972 stattfinden, werden sicherlich ob der inflationären Entwicklung der Preise angesetzt und auf einen Wahlkampf folgen, in dem jede der Parteien selbstbewußt von sich behaupten wird, das bessere Rezept zur Bekämpfung des Preisauftriebes zu haben. Es wird also weder ein lustiger noch ein besonders ehrlicher Wahlkampf werden.

Dennoch ist einer von denen, die das am allerbesten wissen, ÖGB- Präsident Anton Benya, gezwungen, auf einen frühen Wahltermin zu drängen. Gründe dafür gibt es viele. Der gewichtigste davon dürfte sein, daß Benya, jeden Wahlausgang inbegriffen, die sehr realistische Hoffnung hegt, daß am Ende aller Parteienverhandlungen über die Form der Regierungszusammenarbeit eine Koalition gebildet wird, in der wieder alle Sozialpartner vertreten sind. Das war sein Credo nach dem 6. März 1966 und nach dem 1. März 1970 — und das wird sein Credo auch am Abend des nächsten Wahltages sein.

Benya und sein Gewerkschaftsbund zählen zu den politischen „Opfern“ des von Dr. Kreisky seit dem 21. April 1970 gepflegten Regierungsstils. Er, ein Realist, der Abenteuerlust und Politik auseinanderzuhalten weiß, hat das stets mit Fassung getragen. Mit Anstand wußte Benya im Parlament und vor Betriebsräten die Wirtschaftspolitik der sozialistischen Regierung auch dann zu vertreten, wenn sie so gar nicht nach seinem Geschmack war. Da und dort freilich hat er Kritik geübt: an der Aufhebung der Autosondersteuer ebenso wie an der völlig unzulänglichen Verstaatlichtenpolitik der Regierung. Im übrigen aber hat er sich darauf beschränkt, eine verantwortungsbewußte Lohnpolitik zu betreiben und die gereizte Stimmung unter den Betriebsräten und Gewerkschaftsfunktionären über die inflationäre Entwicklung der Preise einzudämmen. Beides ist ihm besser gelungen als den Gewerkschaftsführern in vergleichbaren Staaten. Freilich: auch der populärste und tüchtigste ÖGB-Präsident kann mit Maßhalteappellen und verbalen Beruhigungspillen auf Dauer keine politischen Lorbeeren von den Arbeitnehmern ernten. Benya weiß das und Kreisky scheint das nun endlich auch einzusehen. Da einerseits im Fall einer vor allem kosten- und auslandsinduzierten Inflation einer Regierung schwer die Hauptschuld an der Preisentwicklung angelastet werden kann und anderseits Regierte für gewöhnlich annehmen, für eine Regierung sei alles machbar, und dann erst recht Preisstabilität, hat etwas zu geschehen, was irgendwie nach Aktion aussieht: ein Preisregelungsgesetz etwa, an dessen politische Wirklichkeit Benya glaubt, ohne darin freilich ein praktikables Instrument zur Bekämpfung des Preisauftriebes zu vermuten.

ÖGB in der Defensive?

Nach der Bildung der Minderheitsregierung wurde die Frage nach der Rolle Benyas als Vertreter der gewerkschaftlich organisierten Arbeitnehmer in der Sozialistischen Partei und gegenüber Kreiskys Regierungsteam besonders intensiv diskutiert. Heute, nach rund 400 Regierungstagen, scheint diese Frage im wesentlichen beantwortet: Benya hat teils aus Staats-, teils aus Partel- raison Zurückhaltung sowohl in den Gremien der Sozialpartner als auch gegenüber der Regierung geübt. Die gewerkschaftlichen Lohnforderungen waren im Rahmen der letzten

Lohnrunde ebenso maßvoll wie das gewerkschaftliche Lob etwa für die kleine Einkommensteuerreform über Gebühr freundlich war. Diese Haltung Benyas wurde sicherlich auch in den Betrieben registriert. Daß es jedenfalls bis heute noch zu keinen Radikalisierungstendenzen trotz aller eifriger Agitation kommunistischer Funktionäre in den Betrieben gekommen ist, spricht für die Besonnenheit der österreichischen Arbeitnehmer und für Benyas starke Position dm Gewerkschaftsbund. Dabei ist bemerkenswert, daß es der Regierungspartei und den ÖGB-Funk- tionären bislang gelungen ist, selbst unter der Bedingung eines permanent angespannten Arbeitsmarkts das Argument zu verkaufen, eine Inflationsrate von 5 Prozent sei der Preis für Vollbeschäftigung — Arbeitslosigkeit aber sei der Preis für die innere Währungsstabilität. Nun aber scheint auch dieses Argument an Wirkung eingebüßt zu haben. Angesichts der Tatsache, daß nun auch ÖAAB-Funktionäre über den ÖVP-Pressedienst von einer „Protestwelle gegen die Teuerung“ berichten, also das politische Feld des Gewerkschaftsbundes und der SPÖ mit schusseliger Demagogie beackern, muß sich Benya zum Handeln verpflichtet fühlen. Es mag ihn dabei vielleicht trösten, daß sein aufrichtiges Mißtrauen gegenüber dem SPÖ-Parteivorsitzenden und Regierungschef Kreisky durch die augenblickliche politische Situation bestätigt wird; aber das — so könnte Benya denken — ist ein zeitlich begrenztes Problem. Schließlich hat Kreisky so wie einst Klaus erklärt, nicht Chef einer großen Koalition werden zu wollen; und schließlich ist es keine zwischen dem Parteivorstand der SPÖ und Kreisky ausgemachte Sache, daß nach den nächsten Wahlen eine Koalition zwischen SPÖ und FPÖ gebildet werden darf.

Es könnte sein, daß der in Fragen des nächsten Wahltermines gar nicht zurückhaltende Benya nicht nur auf die Karte der großen Koalition setzt. Es ist schon denkbar, daß Benya bald nach den nächsten Wahlen das wird, was ihm am SPÖ-Parteitag 1967 trotz großer Bemühungen nicht gelungen ist: der Königsmacher eines neuen Parteivorsitzenden. In Kreisen der SPÖ meint man recht offen, daß Kreiskys Position in der SPÖ allein von sozialistischen Wahlerfolgen abhänge. Sympathien, wie sie etwa Pittermann unter den

Funktionären genießt, spielten dabei eine recht bescheidene Rolle. Vielleicht erklärt diese Tatsache ’am besten, warum Kreisky unter allen sozialistischen Politikern, die nach Neuwahlen rufen, neuerdings der ruhigste ist. Dabei war diese Drohung noch vor einem halben Jahr seine schärfste Waffe in der Auseinandersetzung über die parlamentarische Beschlußfassung dieser oder jener Materie.

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