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Vielfach-Funktionäre in Österreichs Nationalrat

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Mit seinem Interview in der Tageszeitung „Die Presse“ hat Österreichs mächtigster Doppelfunktionär Anton Benya wieder einmal auf ein leidiges Thema der österreichischen Innenpolitik aufmerksam gemacht: Benya warf in der Presse die Frage auf, wie eine VP-FP-Koalition „gegen eine starke Arbeiterbewegung regieren soll“. Befragt danach, ob er sich als Nationalratspräsident mit dieser Aussage nicht etwas weit vorgewagt hätte, ob er nicht in jedem Fall den Willen des durch die Abgeordneten repräsentierten Volkes zu respektieren hätte, meinte Anton Benya schlicht: Er habe diese Meinung nicht als Präsident des Nationalrates, sondern als Präsident des Gewerkschaftsbundes vertreten.

Das leidige Thema, an das Benya mit dieser faulen Ausrede erinnert hat: Unser Parlament entspricht genausowenig wie die meisten westlichen Volksvertretungen der Struktur der Bevölkerung. Der österreichische Nationalrat ist zu einem guten Teil eine Versammlung von Funktionären und Angestellten der verschiedensten Interessenvertreter: Des ÖGB, der Bundeskammer, der Handelskammern, der Arbeiterkammer, der Industriellenvereinigung, der Landwirtschaftskammern und ähnlicher Institutionen.

Insgesamt gehörten dem Nationalrat zum Zeitpunkt des Erscheinens des jüngsten Amtskalenders (1977/78) nicht weniger als 40 Abgeordnete an, die aus Kammern und ähnlichen Institutionen kommen bzw. kamen. Allein die Wähler der SPÖ werden von 25 Abgeordneten vertreten, die vorwiegend aus dem ÖGB und aus der Arbeiterkammer kommen. Etwa: Benya, Dal-linger, Hofstetter, Karl, Pansi, Sekani-na, Staribacher, Treichl, Wille oder Brauneis. Von der ÖVP fallen immerhin 15 Abgeordnete unter die Kategorie Interessensvertretung, hier vor allem Handelskammer, Landwirtschaftskammer und Industriellenvereinigung. Das sind die Abgeordneten Blenk, Burger, Gassner, Graf, Hafner,Halder, Hauser, Hubinek, Leibenfrost, Mussil, Pelikan, Sallinger, Wedenig, Deutschmann und Fiedler.

Unter das selbe Kapitel fällt aber ein weiteres Problem: Nicht nur die Interessenvertreter, die wie Benya einmal in dieses, dann in jenes Kostüm schlüpfen, stören die Struktur des Nationalrates empfindlich, ebensolches trifft auch auf die aus dem öffentlichen Dienst, aus der Reihe, der Beamtenschaft im weitesten Sinne, kommenden Abgeordneten zu. Es sind dies, man höre und staune, von 183 Abgeordneten nicht weniger als 56. Sie kommen aus dem Bundesdienst, den Ämtern der Länder und Gemeinden, aus Post und Bahn wie aus der Lehrerschaft, was nicht zuletzt auch damit zu tun hat, daß die aus diesen Bereichen kommenden Mandatare entscheidende Privilegien (berufliche Entlastung bzw. Freistellung) genießen.

Bedenkt man schließlich noch, daß immerhin 7 Abgeordnete direkt aus dem bezahlten Parteiendienst kommen, bleibt für die restlichen Berufe nicht mehr viel übrig: Rund 80 Abgeordnete kommen (bei großzügiger Betrachtung, denn vielfach gibt es Abgrenzungsschwierigkeiten) nicht aus den genannten Berufszweigen.

Die Freiberufler werden, wenn die Entwicklung so weiter geht, in wenigen Jahren im Nationalrat zu einer ausgestorbenen Politiker-Species gehören. Nur wenige Rechtsanwälte, Ärzte oder gar Künstler sind heute im Hohen Haus vertreten. Hausfrauen weiß der letzte Amtskalender nur drei aufzuzählen. Die Cafetiers (Landgraf, VP) und Huf- und Wagenschmiede (Pichler, SP) sind nur durch je einen Mann vertreten. Ob es schaden würde, gäbe es mehr von der letzteren Sorte?

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