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Fröhliche Talfahrt…

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Im Wirtschaftsforschungsinstitut fürchtet man für das kommende Jahr ein Abgleiten Österreichs in eine Stagflation, falls ungünstige Voraussetzungen Zusammentreffen: eine Verschärfung der staatlichen Budgetsituation, sinkende Exportzuwachsraten und weiter steigenden Lohndruck samt hohen Inflationsraten.

Diese ungünstigen Voraussetzungen mehren sich: im laufenden Jahr dürfte sich das Budgetdefizit der 30- Milliarden-Schilling-Marke nähern, die österreichischen Exporte sind teilweise stark rückläufig, die Bauarbeiter wollen 16,8 Prozent höhere Löhne (in der Bundesrepublik erhielten sie jüngst 6,6 Prozent) und mit seiner Inflationsrate könnte Österreich bald mit Großbritannien, Italien und Island zur Spitze gehören, wenn die Antiinflationsmaßnahmen anderer Länder erfolgreicher sind.

Dennoch dürfte es eine fröhliche Talfahrt werden. Dafür garantieren die Politiker im Wahljahr 1975, die die Wahlkampfatmosphäre mit Evergreens des , wirtschaftlichen Fortschritts („Insel der Seligen“) und mit Versprechungen verschönern dürften. Im Sinne der „Transparenz“ wird die ökonomische Wirklichkeit Österreichs entweder verschwiegen, oder nicht zur Kenntnis genommen. Längst liegen die Ergebnisse über die Steuereinnahmen des Jahres 1974 vor, aber sie dürfen vorläufig nicht veröffentlicht werden; längst weiß man es in fast allen Regionen unseres Landes, daß Arbeitslosigkeit und Kurzarbeit auch hierzulande keine Schimären sind, doch die offiziellen Statistiken des Sozialministeriums verkünden — bei einem Rückgang der Gastarbeiter um 40.000 — noch immer steigende Beschäftigungszahlen (man hat einfach die etwa 100.000 karenzierten Jungmütter den Beschäftigten dazugerechnet); noch immer hält die Inflationsrate bei 10 Prozent (und dürfte auch 1975 auf dieser Höhe bleiben), obwohl die Röhstoffpreise in aller Welt merklich gefallen sind und noch weiter zurüokgehen.

Auf die Meinung der Bundesregierung in dieser Frage elegant abgestimmt, dosiert das Wirtschaftsfor- schiungsinstitut seine kritischen Bemerkungen zur wirtschaftlichen Entwicklung in Österreich: im „Sog des internationalen Konjunfcturab- sohwungs“ zeigt sich in Österreich eine .durchwegs schwache Inlandsnachfrage (wo bleiben die konsum- wirksamen elf Milliarden der Ein kommensteuerreform?), stagnative Industrieproduktion und eine auf den Tiefpunkt gefallene Investitionsneigung der Unternehmen. Zwischen den Zeilen der Monatsberichte des Instituts für Wirtschaftsforschung klingt durch, daß in diesem Winter metaökonomische Kräfte die Talfahrt bremsen: das überdurchschnittlich warme Wetter beispielsweise.

Abseits aller parteipolitischen Motive drängt etwa die Bundeswirtschaftskammer die Politiker dazu, die Zeichen der Zelt nicht zu übersehen, Verzicht nicht als soziales Laster zu verdammen, doch endlich allen Arbeitnehmerflügeln klarzumachen, daß wir von unserem Wohlstand nun ein wenig opfern müssen, um die wirtschaftliche Zukunft unseres Landes nicht zu verspielen. Zuletzt urgierte Bundeskammergeneralsekretär Mussil die Erfüllung eines Investitionsförde- rungspragrammes und Sofortmaß- nahmen für die Bauwirtsebaft.

Anachronistisch, wenn auch ernst gemeint, wirken in dieser Phase die Forderungen des Obmanns der

Privatamgestelltengewerkschaft, Alfred Dallinger („Die Unternehmer sind keine Sozialpartner“). Verkündigte er doch jüngst, gerade im wirtschaftlichen Abschwung müsse der Gewerkschaftsbund darauf drängen, kostspielige soziale Forderungen durchzusetzen. Hier zeigt sich, mit welcher Vehemenz und abseits jeder wirtschaftlichem Realität um die Nachfolge des Gewerkschaftsbundpräsidenten Benya gekämpft wird, sei es auch ohne Rücksicht auf die wirtschaftliche Zukunft Österreichs (siehe auch Seite 4). Daß der ÖAAB stiMhält, ist offenbar derzeit Parteiloyalität.

Die Bundesregierung, deren erster Mann kürzlich festgestellt hat, daß sozialdemokratische Politik auf die Dauer nur dann Bestand haben könne, wenn sie sich in ständigem Einklang mit einer selbstbewußten Gewerkschaftspolitik befinde, läßt derzeit eher Daüinger als Benya gelten. Welche Rolle dabei die Spannungen zwischen Kreisky und Benya spielen, ist nicht nur für Außenstehende undurchsichtig. Wenn Kreisky erklärt, daß für ihn eine Koaliton mit der Volkspartei nicht in Frage komme, so stellt Anton Benya fest, daß die SPÖ für alle Seiten offen sein müsse. Beide lassen in Erklärungen ahnen, daß eine bei den Nationalratswahlen verlierende SPÖ in Opposition gehen werde. Ein Jahr später schon, so deutet es Anton Benya an, müßte dann die ÖVP das Handtuch in den politischen Ring werfen und angesichts der steigenden wirtschaftlichen Probleme Neuwahlen ausschreiben lassen; die dann ganz sicher wieder von der SPÖ gewonnen würden.

Diese Unsicherheit auf seiten aller künftigen Regierungspartner nährt die ökonomische Unsicherheit in Österreich. Stabile soziale und politische Verhältnisse wären eine fundamentale Voraussetzung zur Beruhigung der wirtschaftlichen Situation unseres Landes. Es wäre aber für Österreich, seine Arbeitnehmer und Unternehmer von unschätzbarem Wert, wenn Regierungspartei und Bundesregierung auf allen Ebenen der ökonomischen und politischen Situation Tribut zollen würden. So schlecht wurde nun auch wieder nicht in den letzten fünf Jahren regiert, daß man beim Wähler den Eindruck erwecken müßte, als ob man an einer abbrök- kelnden Macht um jeden Preis fest- halten wolle.

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