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Kein Grund zur Sorglosigkeit

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Internationale Wirtschafts- und Konjunkturvergleiche offenbaren das ganze Relativitätsdilemma: Denken wir an das Wirtschaftschaos in Italien und Großbritannien, an die wadisende Arbeitslosigkeit in Deutschland und an die hohen Inflationsraten in Frankreich und sogar in der Schweiz, dann ist es um die Wirtschaftsentwicklung öster- reidis verhältnismäßig gut bestellt; erinnern wir uns freilich an die stabile wirtschaftliche Phase Ende der sedizigef Jahre und zu Beginn der siebziger Jahre mit einer Inflationsrate von imter vier Prozent, permanent und stark steigenden Deviseneinnahmen aus dem Export und dem Fremdenverkehr, an eine nahezu ausgeglichene Außenhandelsbilanz, hohe Zuwachsraten bei den Spareinlagen bei steigenden Arbeitnehmer- und Unternehmereinkommen, dann werden wir die aktuelle Wirtschaftslage und erst recht die Zukunftsprognosen verhältnismäßig ungünstig beurteilen müssen.

Im jüngsten OECD-Bericht über die Lage der österreichischen Wirtschaft wird dieses Relativitätsdilemma sehr deutlich angesprochen. Wohl heißt es, daß Österreich gute Chancen habe, eine Periode internationaler Rezessionstendenzen ohne tiefgreifende Produktions- und Beschäf- tigungsverhiste zu überstehen, aber die Infiations- und Zahlungsbilanzprobleme unserer Volkswirtschaft wiegen so schwer, daß der Kampf um eine einigermaßen befriedigende Entwicklung der heimischen Wirtschaft erst gewonnen werden muß. Derzeit steht Österreichs Wirtschaft jedenfalls an der Kippe zwischen einem ökonomisch unruhigen Herbst, einem müden Winter und einem unsicheren Frühjahr 1975.

Die Zahlungsbilanzprobleme hängen mit den hohen Rohstoffpreisen, die vor allem die arabischen Staaten Europa verordneten, zusammen. Die erste Genugtuung über die explosiv steigenden Einnahmen aus dem Export von Erdöl ist inzwischen der Sorge, wie man in einer inflationierenden Weltwirtschaft mit Bankenkrachs und sinkenden Erträgen aus industriellen Vorhaben diese Einnahmen zu einigermaßen vernünftigen Renditen anlegen kann, gewichen. Vielleicht trägt diese Situation dazu bei, das Verhältnis der rohstoffexportierenden Länder für wechselseitige Abhängigkeitsverhältnisse in einer „One-World“- Wirtschaft zu wecken oder zu vertiefen.

Die zahlreichen Gründe für die starken Preissteigerungen auf den Rohstoffmärkten lassen sich auf vier Hauptursachen reduzieren:

Rohstoffsverknappungserscheinungen (etwa unergiebige Ernten), das Entstehen von Verkäufermärkten (das Goldangebot aus Südafrika) politische Motive (Erdöl) und Spekulationen.

Ausdrücklich lobt die OECD in ihrem Österreich-Report die ausgleichende Rolle der Sozialpartnerschaft, dieser, wie es wörtlich heißt, „einzigartigen wirtschafts- und sozialpolitischen Einrichtung Österreichs“. Bei den Preisen und Löhnen hätten die Sozialpartner jene Zurückhaltung gezeigt, die die Tarifpartner in anderen Staaten haben vermissen lassen. Dieses Lob verbindet die OECD mit einem undiplomatisch deutlichen Hinweis auf Gefahren, die nicht zuletzt von der Wirtschaftspolitik der Bundesregierung ausgehen und das Inflationsfieber in die Höhe treiben. Dazu zählt vor allem das Bundesbudget, das nun fast schon zu einer festen Einrichtung unter den von der OECD kritisierten Instrumenten unserer staatlichen Wirtschaftspolitik geworden ist. Nach allen Erfahrungen in den letzten Jahren ist die Hoffnung, daß diese regelmäßige Kritik die Bundesregierung endlich anspornen wird, Sparbudgets zu machen statt davon zu reden, freilich gering.

Der OECD-Bericht nimmt sich, was wohltut, kein Blatt bei seiner Kritik an den von der Bundesregierung immer wieder geforderten Preisstoppmöglichkeiten vor dem Mund: „Neue gesetzliche Bestimmungen auf dem Preissektor, die psychologische Wirkungen haben, werden aber kaum zur Bewältigung des gegenwärtigen Inflationsproblems hinreichen“. Staatssekretär Veselsky war dazu verurteilt, in einer Pressekonferenz diese Aussage kommentarlos weiterzugeben.

Das von der Bundesregierung immer wieder gepriesene Instrument der Schilling-Aufwertung zur Preisstabilisierung wird in seiner Wirkung von der OECD in Zweifel gezogen. Wörtlich heißt es, daß „der starke Kosten- und Preisdruck auf dem Inländischen Dienstleistungssektor zusammen mit den Aufwertungseffekten möglicherweise die Konkurrenzfähigkeit des österreichischen Fremdenverkehrs beeinträchtigt habe“. Ähnliches dürfte auch für die Exportwirtschaft gelten, deren Zuwachsraten im zweiten Halbjahr entscheidend zurückgehen dürften.

Staatssekretär Veselsky fühlte sich verpflichtet, diese beiden OECD- Aussagen in Zweifel zu ziehen. Er verwies, was nun in Regierungskreisen schon bis zum Überdruß geschieht, auf die relativ günstige Ex- portentwicklung im ersten Halbjahr und meinte schließlich, daß ja auch Abwertungsländer Einbußen im Reiseverkehr hinnehmen mußten. Daß dabei, wie etwa im Falle Italiens, außerökonomische Gründe — Streiks und politische Unruhen — ausschlaggebend waren, blieb unerwähnt.

Immerhin meint Veselsky, daß die Bundesregierung die Aussage der OECD, wonach bei künftigen Aufwertungen mit keinen preisstabili- sierenden Wirkungen zu rechnen sei, mit Interesse zur Kenntnis nehme. Von Finanzminister Androsch hat man es noch in jüngster Zeit ganz anders gehört: wiederholt erklärte er, daß Österreich jede Aufwärtsbewegung der Deutschen Mark mitzumachen gedenke. Sollte sich bei Hannes Androsch nun doch die Ein- • sicht in die Problematik seiner Wechselkurspolitik, die eigentlich zum Aufgabenbereich der Nationalbank zählt, breitmachen, so wäre für die nähere Zukunft der Export- und Fremdenverkehrswirtschaft eine kleine Schlacht gewonnen.

Lab an die Adresse der Sozialpartner und Kritik am wirtschaftspolitischen Kurs der Bundesregierung sind die „essentials" des eben veröffentlichten OECD-Reports über die Lage der österreichischen Wirtschaft. Auch die vergleichsweise günstige Position der heimischen Wirtschaft kann nicht darüber hinwegtäuschen, daß die wichtigen Aufgaben unserer Wirtschaftspolitik erst zu lösen sind: an erster Stelle wurde das Infiationsproblem genannt und die damit verbundenen Gefahren für die Funktionsweise der Sozialpartnerschaft.

Zur wirtschaftspolitischen Sorglosigkeit, das spricht aus jeder Zeile des OECD-Berichts, gibt es jedenfalls keinen Grund.

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