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Nach tausend Tagen Inflation

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Seit September 1970 herrscht In Österreich ein inflationäres Treibhausklima. Daß der Eintritt dieses Klimas, mit der Übernahme der Regierungsgeschäfte durch das Kabinett Kreisky-zusammenfiel, mag Zufall sein, das Faktum ist jedenfalls schwer zu bestreiten. Die in den letzten drei Jahren sprunghaft ansteigenden Inflationsraten (1970:

4.4 Prozent; 1971: 4,7 Prozent; 1972: 6,3 Prozent und 1973 wahrscheinlich

7.5 oder etwas mehr Prozent) sind auch den ökonomisch desinteressierten Leuten bekannt; die Frage nach der Schuld an dieser Entwicklung wird oft nach parteipolitischen Gesichtspunkten abgehandelt, ohne daß dabei sehr viel herauskommt. Sicher ist nur, daß, wie auch die Ergebnisse der letzten Wahlen beweisen, die Bevölkerung die inflationäre Preisentwicklung als Quittung für eine schlechte Wirtschaftspolitik der Bundesregierung einzuschätzen bereit ist:

Daran dürfte auch einiges stimmen: wie die Daten zeigen, bewegt sich die Steigerungsrate der Masseneinkommen in den Jahren zwischen 1965 und 1970 zwischen 7 und 9.7 Prozent, während sie 1971 14,5, 1972 12,5 und 1973 möglicherweise 13,5 erreichen wird. Stärker denn je zuvor expandierten die Budgetausgaben des Bundes: 1971 um 9,3 Prozent, 1972 um 13,6 Prozent und 1973 auf Grund des Voranschlages um 13,2 Prozent. Die expansive Budgetpolitik des Bundes, die zufolge Finanzminister Androsch auch gesellschaftspolitische Gründe hat, stimulierte die Budgetentwicklung in den Ländern und Gemeinden. Bei den Ländern betrug die Steigerungsrate der Budgetausgaben bis zu 18 Prozent, bei den Gemeinden dürfte sie in Einzelfällen auch über 20 Prozent gelegen sein. Die Zuwachsrate des kommerziellen Kreditvolumens lag bis Herbst 1972 über einem stabilitätspolitisch vertretbaren Ausmaß. Nach dem Wirksamwerden des Stabilisierungspaketes am 1. Dezember 1972 reduzierte sie sich auf einen Durchschnittsatz von 11 Prozent. Dieser Beitrag der Kreditwirtschaft zur Stabilisierung der wirtschaftlichen Entwicklung in

Ein junger Vorarlberger hätte sich einen Orden für Zivilcourage verdient, würde ein solcher in Österreich vergeben werden.

Der Obmann der Vorarlberger „Jungen Generation“ der SPÖ, Hermann Böckle, hat seine Funktion zurückgelegt und zugleich die Streichung von der Kandidatenliste seiner Partei beantragt. Böckle wäre sicherlich bei der nächsten Wahl in den Landtag eingezogen.

Der Grund des Rücktritts: die Haltung der SPÖ in der Frage der Tötung ungeborenen Lebens.

Noch gibt es sie, die innere Verantwortung. Noch empfindet es ein junger Mann mit guten Aussichten auf eine glänzende Karriere richtiger, seinem Gewissen zu folgen.

Wie ist das aber mit den Abgeordneten, die demnächst im Nationalrat abstimmen sollen? Sind sie wirklich alle für den Ungeborenen-mord? Oder hat einer genug Zivilcourage, eher seinem Gewissen zu folgen als einer fragwürdigen Parteidisziplin?

Österreich mußte verpuffen, weil er selbst auf der Kreditseite einseitig, das heißt nur auf die kommerziellen Kredite beschränkt war. Hingegen expandierte das Volumen des Kapitalmarktes 1972 um 56 Prozent; würde in diesem Jahr das vorgesehene Anleihevolumen von 18 Milliarden Schilling tatsächlich placiert werden, so bedeutete dies eine Zuwachsrate von annähernd 100 Prozent.

Dies ist der ökonomische Hintergrund, vor dem sich Finanzminister Dr. Androsch um eine Verlängerung des Stabilisierungspaktes zwischen den Sozialpartnern (bis Ende 1973?) bemüht. Wie die Dinge liegen, stößt er mit seinen Bemühungen bei beiden Seiten der Sozialpartner auf große Skepsis, vertreten diese doch die Auffassung, daß nun endlich auch der Bund seinen stabilitätspolitischen Beitrag zu leisten hätte. Denn daran hat es bislang gefehlt. Das Bestreben, alles und alles zugleich zu machen, hat bislang viel Reformeifer erkennen lassen, aber keine Reformen realisiert. Im Gegenteil: vor wenigen Monaten mahnte BAWAG-Generaldirektor Flöttl die Bundesregierung, angesichts der steigenden Inflationsraten die Reformvorhaben zu vertagen und sieh mit größerem Einsatz der Inflationsbekämpfung zu widmen. Die Skepsis der Sozialpartner erklärt sich auch aus der „einbeinigen“ Stabilisierungspolitik der Bundesregierung, die sich allein auf ein Eindämmen des kommerziellen Kreditvolumens konzentriert, im übrigen die ökonomische Entwicklung aber treiben läßt.

Die gegenwärtige inflationäre Situation ist deshalb so gefährlich, weil die Preise sowohl von der Kosten- als auch von der Nachfrageseite gleichzeitig in die Höhe getrieben werden. Ohne Zweifel sind die Produktionskosten in den letzten Monaten in allen Bereichen der Wirtschaft stark gestiegen: höhere Löhne, steigende Rohstoff- und Energiepreise, hohe Zinsen für Fremdkapital und — Kreisky und Androsch wollen das so — bald wieder höhere Steuern. Da es auf der Seite der Käufer keine Zurückhaltung gibt und der Bund und die Länder die Nachfrage noch stärker anheizen, ist ein Überwälzen dieser Kosten auf die Preise recht leicht. Bei den privaten Verbrauchern sitzt der Schilling locker. Vielfach wird nach dem Motto gehandelt: Lieber heute kaufen, weil es morgen schon teurer sein kann.

Noch weniger stabilitätsbewußt handeln, wie bereits erwähnt, Bund, Länder und Gemeinden. Das Resultat steigender Kosten und der allgemeinen Kaufwut sind die von Monat zu Monat steigenden Preise.

Soll das inflationäre Fieber gesenkt werden, so müssen nicht seine Symptome bekämpft werden, sondern seine Ursachen. Das wird in allererster Linie durch Bremsmaßnahmen bei der Nachfrage im öffentlichen Bereich zu geschehen haben. Entschließt sich Finanzminister An-drosch nur denen gegenüber zu wirklich harten Maßnahmen zur Dämpfung der Nachfrage, die sich nicht wehren können — die Kreditwirtschaft, der Bereich der privaten Unternehmer und Haushalte —, dann sind die Aussichten für einen Erfolg jeglicher Stabilisierungsabkommen denkbar gering. Dann müssen wir sogar froh sein, wenn die falsche Dosierung der Stabilitätsbemühungen das inflationäre Fieber nicht noch weiter ansteigen läßt.

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