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Keine Magie

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Auch als die Wachstumseuphorie der Brundesregierung noch keine Grenzen kannte, war Optimismus nicht angebracht: dieser Fetischismus hatte seinen Preis schon im Jahr des Antritts der Regierung Kreisky, als es eine Inflationsrate in der Höhe von 4,4 Prozent gab. 1971 betrug die Inflationsrate 4,7 Prozent, im Jahre 1972 stiegen die Preise gleich um 6,3 Prozent, dieses Jahr werden sie (wenn alles gut geht) um 7,5 Prozent steigen und nächstes Jahr, 1974, wird sich die Inflationsrate auf diesem Niveau fortsetzen. Dagegen schrumpfte das reale Wirtschaftswachstum in den letzten Jahren: Es betrug 1970 8,1 Prozent, 1971 nur noch 5,6 Prozent, 1972 lag es mit 6,4 Prozent ein wenig darüber, 1973 wird es mit etwa 6 Prozent wieder darunter liegen und im Jahr 1974, so wird dies in der letzten Prognose des Wirtschaftsforschungsinstituts festgestellt, wird das reale Wirtschaftswachstum nur noch 4,5 Prozent betragen.

Unter „Boomflation“ versteht die Konjunkturforschung einen Zustand, bei dem die Inflationsrate höher ist als die jährliche Zunahme des realen Bruttosozialprodukts. Im Jahre 1972

wurde die Wende zu diesem ökonomisch äußerst problematischen Zustand vollzogen, in diesem Jahr dürfte die Inflationsrate bereits um 1,5 Prozent über der realen Wirtschaftswachstumsrate liegen und im nächsten Jahr, 1974, wird der Abstand bereits 3 Prozent betragen. Der Schritt in die Stagflation, also Depression bei Inflation, ist dann, wenn die Wirtschaftspolitik ihren Kurs nicht ändert, nur eine Frage der Zeit.

Die Bundesregierung braucht nicht zu klagen, daß sie auf diese unheilvolle Entwicklung nicht aufmerksam gemacht wurde. Das Gegenteil ist der Fall! Soweit die Regierung darauf Einfluß nehmen konnte, hat sie kritische Einrichtungen (etwa den Beirat für Wirtschafts- und Sozialfragen, das Wirtschaftsforschungsinstitut und zuletzt selbst die Führung der Nationalbank) neutralisiert und zugleich Kritiker, die sich außerhalb ihres Einflußbereichs bewegen, als Kassandras diffamiert. Die Regierung hat sich darin gefallen, von einer „zweiten Phase der Industrialisierung“ unseres Landes zu sprechen; sie hat mit Rekordbudgets vor allem aber die Inflation weiter ange-

heizt und damit das Fundament für die Stabilität unterhöhlt. Die ganze Regierung Kreisky, vor allem aber Finanzminister Androsch, haben immer wieder beteuert, daß die exorbitant hohe Inflation aus dem Ausland nach Österreich importiert sei — obwohl ihr Experten vom Rang eines Professor Streissler vor-

gerechnet haben, daß doch nur kaum ein Viertel der Inflation aus dem Ausland komme und der Rest hausgemacht sei. i m * .

Das alles konnte aber wirtschaftspolitisches Fehlverhalten nicht weiter beeinflussen. Die Regierung hielt an dem einmal eingeschlagenen Weg fest, und der hieß: Vorlage von Rekordbundesbudgets; Einführung der Mehrwertsteuer während der Hochkonjunktur und mit einem offenbar zu hohen Steuersatz!; Tariferhöhungen (Strom, Benzin, Massenverkehrsmittel, Telephon, Zigaretten usw.).

Auf diese Weise mußte sich konsequenterweise eine Inflation allseitiger Ansprüche an das Sozialprodukt entwickeln, die in immer stärkerem Maße über die volkswirtschaftliche Leistungsfähigkeit unseres Landes hinausging. Das logische Ergebnis einer solchen Wirtschaftspolitik ist bekannt; eine permanente Beschleunigung des Inflationsprozesses, eine Verschärfung des Verteilungskampfes, soziale Spannungen zwischen arm und reich, zuletzt eine immer stärker werdende Verachtung bislang akzeptierter Ordnungsprinzipien.

In dieser Situation, der wir uns vielleicht noch gar nicht so bewußt sind, veröffentlichte das österreichische Institut für Wirtschaftsfor-schung eine außergewöhnlich düstere Prognose für das Jahr 1974, die von Bundeskanzler Kreisky allerdings bestritten wurde. Diesmal freilich dürfte die Beweisführung aber auch für ihn sehr kompliziert werden. Denn den Hintergrund dieser Negativprognosen bilden Daten zur ökonomischen Entwicklung unseres

Landes, die auch der beste Magier nicht wegzaubern kann: zwischen dem Jahr 1970 und dem Jahr 1973 ist das Außenhandelspassivum als Folge der Aufwertungspolitik von 17,9 auf 40 Mrd. S gestiegen und 1974 soll das Außenhandelspassivum gar 47 Mrd. Schilling betragen; seit 1970 ist die Zuwachsrate der Deviseneingänge aus dem Fremdenverkehr permanent zurückgegangen; seit 1971 kassieren die Arbeitnehmer Scheinlohnerhöhungen, weil Lohnsteigerungen von der Steuerprogression weggefressen werden; seit 1971 weisen die Unternehmer Scheingewinne in ihren Bilanzen aus, weil eine Kluft zwischen den Abschreibungen und den Wiederbeschaffungswerten von Vermögensgegenständen liegt; seit 1971 gehen die Infrastrukturinvestitionen laufend zurück und seit diesem Jahr stagniert die Sparquote der privaten Haushalte in Österreich.

1974 müßte das Jahr des Erwachens in der österreichischen Wirtschaftspolitik gekommen sein. Noch scheint Österreich gar nicht zu begreifen, welche langfristigen ökonomischen, psychologischen und politischen Wirkungen die Fortdauer einer ständig inflationistischen Wirtschaftspolitik und ihrer Folgen auf das staatsbürgerliche Bewußtsein haben muß.

Man sagt heute in den Zeitungen und in den drahtlosen Massenmedien, daß Österreich angesichts der beiden Wahlgänge in Wien und Oberösterreich einen „heißen“ Herbst erlebt. Es ist zu fürchten, daß dieser „heiße“ Herbst der Hoffnung einem Winter des Mißvergnügens und 1974 einem Frühjähr des Unwiederbringlichen weichen wird.

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