6809521-1972_26_04.jpg
Digital In Arbeit

Die „Boomfiation“

19451960198020002020

Unter der sozialistischen Alleinregierung haben sich Grautöne in die wirtschaftspolitische Diskussion eingeschlichen, die sich vor allem in der Formel von der „relativen Stabilität“ widerspiegeln. Die Hinwendung der Regierungspolitik zur „relativen Stabilität“ bedeutet als erste Stufe zur inflationären Eskalation die Kapitulation vor einer unpopulären, auf echte wirtschaftliche Stabilität ausgerichteten Politik.

19451960198020002020

Unter der sozialistischen Alleinregierung haben sich Grautöne in die wirtschaftspolitische Diskussion eingeschlichen, die sich vor allem in der Formel von der „relativen Stabilität“ widerspiegeln. Die Hinwendung der Regierungspolitik zur „relativen Stabilität“ bedeutet als erste Stufe zur inflationären Eskalation die Kapitulation vor einer unpopulären, auf echte wirtschaftliche Stabilität ausgerichteten Politik.

Werbung
Werbung
Werbung

Wer den Kompromiß bereits als Zielvorstellung ausgibt, muß unweigerlich in der Instabilität landen. Wer sich und die Öffentlichkeit an die gängige Münze der „relativen Stabilität“ gewöhnt, hat bereits auf die Geldwertstabilität als wirtschaftspolitische Zielsetzung verzichtet. An eindrucksvollen Beweisen für das wirtschaftspolitische Fehlverhalten der Regierung mangelt es in diesen Tagen nicht: die letzten beiden Budgets des Bundes inflationierten, die Geldpolitik, für die sich Finanzminister Androsch ausdrücklich verantwortlich fühlt, war im vergangenen Jahr extrem expansiv, der Bund als vorgeblicher Hüter der Geldwertstabilität war und ist der rücksichtsloseste Preistreiber unter allen wirtschaftlich/ relevanten Instanzen in Österreich. Mit dem zuletzt im Parlament verabschiedeten Mehrwertsteuergesetz hat die SPÖ-Regie-rung die Richtigkeit dieser Qualifikation nachhaltig unterstrichen.

Dieser Tage hat Finanzminister Androsch die Richtlinien für die Aufstellung des Bundesvoranschlags 1973 präzisiert. Demnach soll der Budgetrahmen um 15 Milliarden Schilling von 120 Milliarden auf 135 Milliarden Schilling steigen. Das präliminierte Budgetdefizit soll, wie Finanzminister Androsch ankündigte, rund 12 Milliarden Schilling betragen. Selbst wenn sich derzeit noch keine präzisen Prognosen über die nominelle Wachstumsrate des Bruttosozialprodukts im kommenden Jahr machen lassen, ist anzunehmen, daß auch bei einer weiteren Verstärkung der ökonomischen Kräfte in Österreich die nominelle Zuwachsrate des Sozialprodukts im kommenden Jahr unter der präliminierten Zuwachsrate des Soll-Budgetrahmens (rund 12,5 Prozent) liegen wird. Im Klartext heißt das, daß auch 1973 das Androsch-Budget die Inflation beschleunigen wird. Da auch Androsch im kommenden Jahr mit einer guten wirtschaftlichen Entwicklung rechnet, kann man ihm vom Vorwurf, die Preisauftriebskräfte in Österreich sehr bewußt zu verstärken, nicht entbinden. Diese Festlegung etwa der Budgetpolitik der Regierung auf das Ziel der „relativen Stabilität“ enthält die folgenschwere Aufforderung an alle wirtschaftlich relevanten Instanzen, sich auf eine fortschreitende Geldentwertung einzurichten.

„Ausbeutung von Unwissenheit“

In der neueren ökonomischen Literatur bezeichnet das Modefachwort „Boomflation“ eine wirtschaftliche Situation, in der die Inflationsrate über der Zuwachsrate des realen Bruttosozialproduktes liegt. In Österreich dürfte erstmals in diesem Jahr diese boomflationäre Situation eintreten: denn selbst dann, wenn die reale Zuwachsrate des Sozialprodukts günstigenfalls die 5-Prozent-Grenze erreicht, wird die Inflationsrate knapp darüber liegen. Mit einiger Gewißheit läßt sich für das kommende Jahr eine verschärfte „Boomflation“ vorhersagen: wahrscheinlich wird die reale Zuwachsrate des Sozialprodukts etwas über 5 Prozent und die Inflationsrate bei ungefähr 6 Prozent liegen.

Mit einer solchen Entwicklung degeneriert das marktwirtschaftliche Prinzip, weil die Preise nicht mehr Reflex der Knappheitsrelationen, sondern inflationäre Zukunftserwartungen enthalten. Dabei ist die Gefahr, daß der Marktmechanismus seinen Halt und seine innere Ordnung im Zuge der.hier kurz skizzierten Entwicklung verlieren muß, dann besonders groß, wenn der von der Regierung geprägte Begriff von einer „relativen Stabilität“ noch eine beschäftigungspolitische Relevanz erhält, indem die Vollbeschäftigung zum Primärziel im „magischen Zielviereck“ aufgewertet wird, die österreichische Wirtschaft aber gleichzeitig — und sicher auch im kommenden Jahr — unter dem Druck der Uberbeschäftigung steht.

Jedenfalls ist es gelungen, den Inflationsmechanismus bereits so weit aufzubauen, daß heute schon eine Rückkehr zu echter Stabilität schwer möglich sein dürfte, weil Inflationserwartungen nach und nach an die Stelle von Stabilitätserwartungen zu treten scheinen.

Dabei kann nicht oft genug betont werden, daß die boomflationäre Politik der Regierung zutiefst unsozial ist. Der ÖVP-Klubobmann Koren hat auf diesen Umstand in seiner Rede vor dem Parteirat in Neudörfl mit einem Zitat des bundesdeutschen Wirtschaftsprofessors Herbert Giersch hingewiesen: „Eine Wachstumsförderung durch • Geldwertschwund zum Nachteil der Arbeitnehmer ist nichts anderes als eine Ausbeutung von Unwissenheit. Bewußt gewollt wäre sie ein Programm zur Vermögensbildung in Unternehmerhand und damit genau das Gegenteil von dem, was mit einer gerechteren Einkommens- und Vermögensverteilung . angestrebt wird.“

Ein Thema. Viele Standpunkte. Im FURCHE-Navigator weiterlesen.

FURCHE-Navigator Vorschau
Werbung
Werbung
Werbung