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Offene Steuer-Karten, bitte!

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Ohne besondere Mühe läßt sich beweisen, daß seit 1953 in Österreich die meisten Maßnahmen zur Milderung der Lohn- und Einkommensteuerprogression wahltermingebunden waren und eigentliche hie den konjunkturpolitischen Postulaten (Steuersenkung in der Rezession, Steuererhöhung in der Prosperität) entsprachen. Oberflächlich betrachtet, bestätigt auch die Forderung, die Steuerprogression per 1. Juli 1974 zu mildern, diese Regel. Denn die Wirtschaftsprognosen besagen, daß die relativ günstige Entwicklung der österreichischen Wirtschaft in diesem Jahr vor allem von der hohen Zuwachsrate des privaten Konsums stimuliert wird. L^tfiHfl

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Ohne besondere Mühe läßt sich beweisen, daß seit 1953 in Österreich die meisten Maßnahmen zur Milderung der Lohn- und Einkommensteuerprogression wahltermingebunden waren und eigentliche hie den konjunkturpolitischen Postulaten (Steuersenkung in der Rezession, Steuererhöhung in der Prosperität) entsprachen. Oberflächlich betrachtet, bestätigt auch die Forderung, die Steuerprogression per 1. Juli 1974 zu mildern, diese Regel. Denn die Wirtschaftsprognosen besagen, daß die relativ günstige Entwicklung der österreichischen Wirtschaft in diesem Jahr vor allem von der hohen Zuwachsrate des privaten Konsums stimuliert wird. L^tfiHfl

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Man könnte daraus ableiten, daß eine zusätzliche Alimentation der privaten Nachfrage, denn darauf läuft eine Milderung der Lohnsteuerprogression vor allem hinaus, konjunkturpolitisch nicht wünschenswert sei. Auf den zweiten Blick sieht die Sache freilich anders aus: die Inflation hat auch die Gewinne der selbständig Erwerbstätigen in eine sehr empfindliche Progressionszone gebracht, was naturgemäß die in diesem Jahr ohnedies rückläufige und differenzierte Investitionsneigung schwächen muß; die hohe Inflationsrate heizt femer Lohnforderungen an, die zwangsläufig weiter inflationieren müßten, aber durch die Vorziehung der Lohnsteuersenkung gemildert werden könnten.

Finanzminister Androsch läßt beide Einwände nicht gelten, sondern stereotypisiert seine Klage, daß durch Steuereinnahmeausfälle des Staates eine entscheidende Verbesserung der Lebensqualität verhindert würde: ein individueller Steuergewinn von möglicherweise 100 Schilling monatlich wäre dann mit einem kollektiven Verlust an mehr Schulen, Kindergärten und Spitalbetten gekoppelt. Diese Klage klingt (auf den ersten Blick) recht plausibel, wenn man bedenkt, daß eine individuell wirksame Progres-sionsmilderung dem Staat rund fünf Milliarden Schilling kostet, ohne den einzelnen Steuerzahler deshalb gleich reich zu machen. Wiederum klärt ein zweiter und längerer Blick die Zusammenhänge: seit vier Jahren werden die Budgetausgaben allen konjunkturpolitischen Regeln zum Trotz überproportional ausgeweitet und damit die Inflation entscheidend angeheizt, ohne daß auch in dieser Phase Entscheidendes zur Verbesserung der sogenannten „Lebensqualität“ seitens des Staates getan worden wäre. Erst jüngst am SPÖ-Parteitag mußte Bundeskanzler Kreisky in aller Form das sozialistische Wahlversprechen, mehr Wohnungen zu bauen, zurücknehmen. Ziemlich unverhohlen sprechen Regierungsmitglieder davon, den Straßenbau einzuschränken, und was den Kindergarten-, Schul- und Gesundheitssektor betrifft, so braucht es große Einbildungskraft, um quantitative bzw. qualitative Verbesserungen mit freiem Auge wahrnehmen zu können. Diese Entwicklung ist eine Folge der inflationsbedingten Stabilisierungspolitik der Bundesregie-runig am monetären Sektor: Die Kreditbremse wirkt bei den Infrastruk-turinvestitionen am raschesten, die gepriesene Verbesserung der „Lebensqualität“ bleibt auf der Strecke der Regierungsversprechungen.

Zwischen 1966 und 1970 sind die Staatseinnahmen aus der Lohn- und Einkommensteuer von 13,4 Milliarden auf 17,6 Milliarden Schilling oder um 4,2 Milliarden Schilling bzw. um 31,5 Prozent gestiegen. Zwischen 1970 und 1973 sind die Budgeteinnähmen aus der Lohn- und Einkommensteuer dagegen um rund 19 Milliarden Schilling (von 17,6 Milliarden auf 36,6 Milliarden Schilling) gestiegen; das entspricht einer Steigerung von rund 108 Prozent, 1974 sollen diese Steuereinnahmen um weitere 7 Milliarden Schilling steigen. Natürlich ist in den letzten vier Jahren die Zahl der Beschäftigten in Österreich wesentlich stärker gestiegen als in den vier Jahren davor, aber das erklärt nur einen (relativ kleinen) Teil des Steuereinnahmenzuwachses des Staates. Denn der Be-schäftigtenzuwachs in Österreich resultiert vor allem aus der Zunahme an Gastarbeitern, die wiederum nicht so hohe Einkommen beziehen, daß. ihre Steuerleistung so stark ins Gewicht fallen könnte.

Zweifellos sind in Österreich die Aufsteiger, Erfolgreichen und Tüchtigen (die „Upper-middle-class“) die Ha/uptbetroffenen des leistungsfeindlichen Progressionssystems. Sie, vor allem, werden von der Steuertarifprogression erfaßt und es ist im Interesse des Fortschritts für alle nicht zu verantworten, die Motoren des Fortschritts zu bremsen oder gar abzustellen. Deshalb muß jede Steuerpolitik davon ausgehen, daß Leistung individuell lohnend bleiben soll — sowohl bei den Arbeitnehmern als auch bei den Unternehmern.

Die uneinsichtige Haltung des Finanzministers zu einer prompten und fühlbaren Progressionsimilde-rung bei der Lohn- und Einkommensteuer scheint auch parteipolitisch unverständlich. Ein wesentlicher Tii der Mittelschicht und auch der höheren Mittelschicht hat im März 1970 und im Oktober 1971 die SPÖ gewählt, weil er das als individuell lohnend empfand. Heute muß diese große soziale Gruppe zur Kenntnis nehmen, daß sozialistische Steuerpolitik die steuerliche Leistungsfähigkeit zum Nachteil der dynamischen Menschen unseres Landes auslegt, ganz abgesehen davon, daß die niedrigeren Einkommensbereiche (Rentner, Pensionisten) durch die Inflation unter die Räder geraten.

Es ist deshalb nur zu verständlich, daß den Routiniers in der SPÖ, vor allem aber den Gewerkschaften, die ihre Hand am Stimmungspuls in den Betrieben haben, zur Steuerpolitik des Finanzministers Kritik und wieder Kritik einfällt. Denn eine unverhältnismäßig scharfe Steuerprogression stimuliert weder Investitionsneigung noch Leistungsfreude.

Hier nachzuhelfen, wäre Aufgabe einer s'tabilitätsorientierten Steuerpolitik. Ein hartes „Nein“ *zu einer Progressionsmilderung per 1. Juli 1974 dürfte nicht der richtige Weg sein.

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