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„Sdirumpftum“ in Österreich

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Nun vergeht wirklich kein Wahlkampftag, an dem nicht neue Hiobsbotschaften zur Lage der österreichischen Wirtschaft, auch von offiziellen und halboffiziellen Stellen, gemeldet werden. Zuletzt revidierte das sonst eher optimistisch gestimmte österreichische Institut für Wirtschaftsforschung die Wirtschaftsprognose für das laufende Jahr auf minus 2,5 Prozent. Das bedeutet zweierlei: Die österreichische Wirtschaft befindet sich mit diesem „Schrumpftum“-Satz mit den Staaten Großbritannien, Italien, Dänemark, den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und Belgien in einer traurigen Gesellschaft; die von der Regierung immer wieder geäußerte Meinung, Österreichs Wirtschaft befinde sich auf einem autonomen Stabilitätskurs, ist demnach nicht mehr aufrechtzuerhalten. Zum ersten Mal seit mehr als zwanzig Jahren schrumpfen zentrale Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung (Export, Industrieproduktion, Investitionen) gleichzeitig.

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Nun vergeht wirklich kein Wahlkampftag, an dem nicht neue Hiobsbotschaften zur Lage der österreichischen Wirtschaft, auch von offiziellen und halboffiziellen Stellen, gemeldet werden. Zuletzt revidierte das sonst eher optimistisch gestimmte österreichische Institut für Wirtschaftsforschung die Wirtschaftsprognose für das laufende Jahr auf minus 2,5 Prozent. Das bedeutet zweierlei: Die österreichische Wirtschaft befindet sich mit diesem „Schrumpftum“-Satz mit den Staaten Großbritannien, Italien, Dänemark, den Vereinigten Staaten, der Bundesrepublik Deutschland und Belgien in einer traurigen Gesellschaft; die von der Regierung immer wieder geäußerte Meinung, Österreichs Wirtschaft befinde sich auf einem autonomen Stabilitätskurs, ist demnach nicht mehr aufrechtzuerhalten. Zum ersten Mal seit mehr als zwanzig Jahren schrumpfen zentrale Faktoren der wirtschaftlichen Entwicklung (Export, Industrieproduktion, Investitionen) gleichzeitig.

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Finanzminister Androsch stellt einen Tag nach Bekanntgabe de] düsteren Prognose fest, daß nun ml einem Defizit des Bundesbudget! von mehr als 40 Milliarden Schilling gerechnet werden müsse (Korer spricht heute sogar von einen 45-Milliarden-Schilling-Defizit). Damit beträgt die wahrscheinliche Höh des Budgetdefizts für das laufend Jahr bereits das Zweieinhalbfach dessen, was Finanzminister Androscl noch vor einem knappen Jahr angekündigt hat. Angesichts dieser drastischen Fehlschätzung muß man an der Verläßlichkeit von Prognosen schlechthin zweifeln.

Den Bundesvoranschlag für das Jahr 1976 will der Finanzminister aber wieder auf der Basis eines 1,5-prozentigen realen Wachstums aufstellen. Andere Prognosetechniker rechnen dagegen für das Jahr 1976 mit einem Schrumpfen der österreichischen Wirtschaft von gut drei Prozent. Damit ist der Bundesvoranschlag des Finanzministers bereits gut einen Monat vor seiner Präsentation im Parlament fragwürdig geworden.

Die Wirtschaftsforscher rechnen für den Winter 1975/76 vor allem mit einer dramatischen Verschlechterung der Arbeitsmarktlage. In diesem Jahr dürfte die Arbeitslosenrate bei knapp über zwei Prozent liegen, im kommenden Jahr rechnet man mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenquote von annähernd drei Prozent der erwerbsfähigen Personen in Österreich. Der Spitzenwert dürfte im Februar 1976 bei etwas mehr als 100.000 Arbeitslosen liegen.

Das „Schrumpftum“ der österreichischen Wirtschaft ist insbesondere auf die starken Rückgänge bei den Investitionen und bei der Industrieproduktion zurückzuführen. Tatsächlich sind diese drei Bereiche recht stark auslandsabhängig. Nur auf dem Sektor der Investitionen und der Industrieproduktion kann der Staat mit kräftigen Budgetspritzen ein wenig wettmachen. Dazu aber fehlt dem Finanzminister, der i mit der Finanzierung einer Bundes-

' schuld in Höhe von rund 160 Mil-

; liarden Schilling per Ende 1975 fer-

; tig werden muß, das nötige Geld.

Auch mit einer Mehrwertsteuerer-

1 höhung von 16 auf 18 Prozent wer-

1 den die Finanzierungsschwierigkei-

' ten nicht geringer. Im Gegenteil. Der

Finanzminister wird damit den Konsum, der auch im nächsten Jahr die Hauptsäule der wirtschaftlichen Entwicklung sein sollte, bremsen. In Kreisen der vornehmlich an der Technischen Hochschule Wien lehrenden sozialistischen Wirtschaftsexperten hat man Androsch von diesem Schritt abgeraten.

Auch in der SPÖ-Alleinregierung mehren sich die Ängste vor den Schwierigkeiten in den nächsten Monaten. Denn selbst ein Konjunkturaufschwung in der zweiten Hälfte des Jahres 1976 — daran wagen nur Optimisten zu glauben — würde die Probleme kaum kleiner machen, weil dann unpopuläre Paukenschläge in Richtung Sanierung des Staatshaushaltes gesetzt werden müßten. Schon heute läßt sich ohne große prophetische Gaben eine Erhöhung der Lohn- und Einkommensteuer per 1. Jänner 1976 vorhersagen. Wie das alles eine Regierung mit knapper parlamentarischer Mehrheit vertreten soll, erscheint unvorstellbar. Gerade die jüngsten

Hiobsbotschaften zur Lage der österreichischen Wirtschaft haben jener Gruppe in der SPÖ, die für ine Zusammenarbeit auf breiter Basis eintritt, neuen Auftrieb gegeben. Die Weltreise des ÖGB-Präsidenten Anton Benya zwischen dem 6. und dem 21. Oktober dürfte eher darauf angelegt sein, rasche Ergebnisse bei Koalitionsverhandlungen zwischen den Parteien zu verhindern. Damit scheint Kreiskys Absicht, mit FPÖ-Peter in nur wenigen Stunden ins reine zu kommen, durchkreuzt zu sein, auch wenn Benya dieser Version offiziell widerspricht. Ohne Zweifel stellt ihn die derzeit düstere Verfassung der österreichischen Wirtschaft auf eine harte Probe im Gewerkschaftsbund. $

Sollte es stimmen, daß noch rund 500.000 Wähler unentschlossen sind, dann kommt der Veröffentlichung der düsteren Wirtschaftsprognose für das laufende und kommende Jahr eine große Bedeutung für den Wahlausgang zu. Wer sollte auch an „Sicherheit und eine gute Zukunft“ unter einem blauen Himmel glauben, wenn die Talfahrt der österreichischen Wirtschaft übers Jahr hinaus zur sicheren Gewißheit geworden ist?

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