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Sozialpakt für die Durststrecke

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Die Österreicher haben allen Grund, die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes und damit auch ihre individuelle Situation durchaus pessimistisch zu beurteilen. Kein Konjunktureinbruch in den letzten fünfundzwanzig Jahren geriet schärfer, keiner hat die ökonomischen Aktivitäten länger gelähmt und auch keiner war so unübersichtlich. Noch ist keine Tendenzwende in Sicht; der Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Anton Benya, vertritt immer häufiger die Ansicht, daß sich unsere Volkswirtschaft auch im nächsten Jahr nicht erholen werde. Selbst Bundeskanzler Kreisky kann nicht sagen, wie es weitergehen wird. Militärisch knapp formuliert er vor sozialistischen Betriebsräten den Slogan: „Bereit sein, ist alles.“

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Die Österreicher haben allen Grund, die wirtschaftliche Zukunft ihres Landes und damit auch ihre individuelle Situation durchaus pessimistisch zu beurteilen. Kein Konjunktureinbruch in den letzten fünfundzwanzig Jahren geriet schärfer, keiner hat die ökonomischen Aktivitäten länger gelähmt und auch keiner war so unübersichtlich. Noch ist keine Tendenzwende in Sicht; der Präsident des österreichischen Gewerkschaftsbundes, Anton Benya, vertritt immer häufiger die Ansicht, daß sich unsere Volkswirtschaft auch im nächsten Jahr nicht erholen werde. Selbst Bundeskanzler Kreisky kann nicht sagen, wie es weitergehen wird. Militärisch knapp formuliert er vor sozialistischen Betriebsräten den Slogan: „Bereit sein, ist alles.“

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Nur Finanzminister Androsch gibt sich In der Öffentlichkeit noch einigermaßen optimistisch. Er will, wie er sagt, der Wirtschaft nicht 2, sondern gleich 4,4 Milliarden Schilling zur Verfügung stellen. Investiv ist an diesen Milliarden Schilling wenig; sie dienen vor allem dazu, längst fällige Rechnungen der öffentlichen und privaten Wirtschaft an den Bund zu bezahlen, Kreditlöcher im Bankenapparat zuzuschütten und dem Beamtenheer die Gehälter bei Fälligkeit zu entrichten. Für die Finanzierung neuer Aufträge aber wird nichts übrigbleiben.

Der Staat ist mit 62 Milliarden Schilling im Ausland verschuldet, die Expansion des Budgetdefizits kennt keine Grenzen, Arbeitsplätze werden auf drängendes Ersuchen von Sozialminister Häuser bis zum 5. Oktober gerade noch gehalten, die geringe Kapazitätsauslastung bei steigenden Löhnen und Sozialkosten begründet eine äußerst schwache Investitionsneigung in der privaten und staatlichen Wirtschaft und die Exporte gehen auch absolut zurück. Und das alles knapp 100 Tage vor einer „alles entscheidenden Wahl“, von der heute schon weite Kreise der Wirtschaft hofften, sie würde erst gar nicht stattfinden. Eben weil ein Wahlkampfklima für eine sieche Wirtschaft nur zusätzliche Nachteile bringt.

In dieser Situation offeriert die Volkspartei einen „Dreistufenplan zur Sicherung der wirtschaftlichen Zukunft“. Einen Plan, demzufolge unabhängige Experten des Wirtschaftsforschungsinstituts und des Rechnungshofes eine „schonungslose Bilanz“ der wirtschaftlichen Lage ausarbeiten sollen und der In der zweiten und dritten Phase die Konsolidierung des Staatshaushaltes und die Stabilisierung und Neuordnung der Wirtschaft verlangt. Dieser Plan, ein „Sozialpaket“, soll zwischen Regierung, Sozialpartner und den Parteien akkordiert werden.

Ganz ohne Zweifel brachte dieser

ÖVP-Vorschlag die Bundesregierung und die Sozialistische Partei in eine ungünstige Position. Ablehnen läßt sich dieser Vorschlag schwer, stimmen aber Regierung und SPÖ zu, so müssen sie sich den Vorwurf gefallen lasssen, daß die wirtschaftliche Lage offensichtlich doch so mißlich ist, wie das die oppositionelle Volkspartei schon immer behauptet hat. Immer wenn Bundeskanzler Kreisky sich in Argumentationsnotstand befindet — und oft kommt das tatsächlich ja nicht vor —, schickt er seinen treuen Paladin Fritz Marsch vor. Der durfte im Fernsehen beflissen feststellen, daß die Volkspartei nun von der Panikmache auf Panikpläne umgestiegen sei. Für die SPÖ sei das „selbstverständlich“ kein ernsthaftes Angebot zur Zusammenarbeit. Die Bundesregierung sei ohnedies Herr der Lage und wüßte deshalb am besten, was notwendig ist. Dank ihrer absoluten Mehrheit im Parlament sei sie auch imstande, ihre Absichten zu konkretisieren.

Ganz so ist das freilich nicht. ÖGB-Präsident Benya hat bereits deutlich zu verstehen gegeben, daß nach dem 5. Oktober auf keinen Fall mit einer Minderheitsregierung operiert werden darf. Und über die „Kronen-Zeitung“ ließen führende Männer (die freilich nicht genannt werden wollten) verlauten, daß aus ihrer Sicht eine SPÖ-FPÖ-Koalition nicht gewünscht wird. Feinsinnig meinte Anton Benya, es wäre doch zuerst zu prüfen, welche der beiden denkbaren Koalitionspartner — ÖVP oder FPÖ — die Arbeitnehmer besser vertrete. Deutlicher kann man die FPÖ

Friedrich Peters gar nicht auf ihr bescheidenes Maß zurechtstutzen.

Da Anton Benyas klare Präferenz für eine große Koalition bekannt ist und die ÖVP nur Chancen hat, über diese Regierungsform der Oppositionsrolle zu entfliehen, werden führende Funktionäre der Volkspartei nicht müde, den Gewerkschaftspräsidenten zu loben. Vor allem in diesem Zusammenhang ist der ÖVP-„Sozialpakt“ zu verstehen.

In Parteiveranstaltungen gibt sich Benya wiederum sehr siegesgewiß, was die absolute SPÖ-Mehrheit am 5. Oktober betrifft. Da ein solches Ergebnis aber mit Bestimmtheit auszuschließen ist und Anton Benya durch und durch Realist ist, ist durchaus denkbar, daß er auf diese Weise seinen Rivalen Kreisky auf das Erreichen eines hohen Ziels festlegen will. Schafft Kreisky es am 5. Oktober nicht, dann hat er verloren — in den Augen Benyas und in den Augen der Öffentlichkeit, deren Meinung der ÖGB-Präsident nicht nur über die „Kronen-Zeitung“ mitbestimmt.

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