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Ein ausgenützter ÖGB?

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Spätestens seit Donnerstag der Vorwoche weiß es auch der letzte politische Normalverbraucher: Der mächtige ÖGB- und Nationalratspräsident Benya — zweiter Mann im Staat — führt einen innerparteilichen Krieg gegen SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Kreisky — dritter Mann im Staat — und nicht zuletzt auch gegen Finanzminister Androsch.

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Spätestens seit Donnerstag der Vorwoche weiß es auch der letzte politische Normalverbraucher: Der mächtige ÖGB- und Nationalratspräsident Benya — zweiter Mann im Staat — führt einen innerparteilichen Krieg gegen SPÖ-Vorsitzenden und Bundeskanzler Kreisky — dritter Mann im Staat — und nicht zuletzt auch gegen Finanzminister Androsch.

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Die Wiedergabe eines TV-Inttf-views Benyas, in dem eine Bilanz der drei Regierungs jähre Kreiskys gezogen wurde, brachte es an den Tag. Die Zeitungen hatten sich guten Glaubens auf eine 13-Zeilen-Fas-sung der wichtigsten Aussagen Benyas verlassen, die von der Pressestelle des ORF am Nachmittag vor der Ausstrahlung über Fernschreiber ausgesandt worden war. Tatsächlich waren in dieser Aussendung die relativ langatmigen und teilweise nicht sehr dezidierten Äußerungen Benyas in knallharte Fakten — der Kürze wegen — umgemünzt worden. Jeder einigermaßen innenpolitisch versierte Journalist konnte und mußte fast eine Meinungsverschiedenheit zwischen Kreisky und Benya aus dieser Fassung herauslesen. Und so stand es dann auch in den Zeitungen.

Aber nicht nur Journalisten, auch die Mitglieder von Parteipräsidium

und Parteivorstand interpretierten ähnlich. Und taten etwas, was man tut, wenn man ein schlechtes Gewissen hat: sie dementierten. Sie stellten parteiamtlich in einem Kommunique nach der Vorstandssitzung fest, es gäbe keine Unstimmigkeiten — oder wie es wörtlich hieß: Meinungsverschiedenheiten — zwischen Kreisky und Benya.

Diese Version glaubte aber nicht einmal das Zentralorgan der SPÖ, die „Arbeiter-Zeitung“. Gerade die vom Parteivorstand der Sozialisten inkriminierte Antwort Benyas auf die Frage nach seiner Einschätzung einer Großen Koalition wurde von der „AZ“ aufgegriffen. Benya hatte das Wort „Große Koalition“ zwar nicht gebraucht, sich aber sehr positiv zu einer Zusammenarbeit der großen politischen Kräfte ausgesprochen. „Benya wiederholte damit eine Äußerung, die er schon früher öfter gemacht hat“, schrieb sinngemäß das

SPÖ-Blatt. Und Kenner des Kreises um Benya bestätigen, daß der ÖGB-Boß in kleiner Gesellschaft seine Vorliebe für die Kooperation der Großparteien zum Ausdruck bringt.

Daß sich Benya damit in einen Gegensatz zu Kreisky bringt, ist klar. Der Bundeskanzler selbst hat keinerlei Gesprächsbasis mit ÖVP-Obmann Schleinzer; oft hört man, Schleinzer sei für den Kanzler ein „rotes Tuch“. Tatsächlich gab es in der letzten Zeit ja nur ein einziges Mal eine Annäherung zwischen SPÖ und ÖVP — und das im Vorjahr, als die Gesetze im Zusammenhang mit den EG-Verträgen Österreichs nur mit der ÖVP gemeinsam beschlossen werden konnten, da sie Verfassungsbestimmungen enthielten.

Ein äußerst frostiges Klima herrscht aber vor allem zwischen Präsident Benya und Finanzminister Androsch. Die Meinungsverschieden-

heiten reichen bis ins Jahr 1971 zurück, als im Herbst der 7. ÖGB-Bundeskongreß die vehemente Forderung nach Progressionsmilderung bei der Lohnsteuer erhob. Die Reform sollte damals nach dem Wunsch

des Gewerkschaftsbundes schon mit Jahresbeginn 1972 in Kraft treten. Dies ist dann nicht geschehen; vielmehr kam es zu einer Steuerreform erst mit Anfang dieses Jahres. Das einzige, was der ÖGB damals erreichen konnte, war die Steuervorleistung von 360 Schilling zur Jahresmitte 1972, die allerdings bei vielen Lohnsteuerpflichtigen in Vergessenheit geriet, weil sie wegen organisatorischer Mängel vielfach zur Jahresmitte nicht ausgezahlt werden und weil überdies kaum ein Steuerzahler nachprüfen konnte, ob sie ihm wirklich vergütet wurde.

Im Zusammenhang mit der Steuerreform ist Benya Minister Androsch aber überdies böse, weil er das Gefühl hat, der Finanzminister habe ihm falsche Zahlen über die Aufwärtsentwicklung der Preise vorgelegt. Androsch hatte in den Verhandlungen um die Steuerreform

— wie man hört — für 1972 lediglich 4 bis 4,5 Prozent Preissteigerungen angenommen. Dies hat sich aber nicht bewahrheitet.

Auf Grund der Androschschen Zahlen hatte ÖGB-Präsident Benya damals mit harter Hand seine 1,5 Millionen Gewerkschaftsmitglieder bei der Stange gehalten und mit harter Hand Forderungen unterbunden. Benya ist es auch zuzuschreiben, daß zwar Bauern, Industrielle oder Zeitungsverleger beim Kanzler als Bittsteller erschienen und zur Einsetzung von vielen Kommissionen beitrugen, nie aber Arbeiter oder Pensionisten. Benya war es letztlich auch, der als Transformator der Regierungswünsche für ein Stabilisierungsabkommen die Sozialpartner an die Kandare genommen und sie zum Stillhalteabkommen gebracht hat, das nunmehr bis Ende Mai gilt.

Jetzt aber sieht er sich und seine ÖGB-Mitglieder offensichtlich von der Regierung zur Durchsetzung ihrer Ziele ausgenützt. Und just in der Karwoche, als die gesamte Regierung auf Osterurlaub weilte, packte Benya aus und kündigte zunächst einmal eine gewaltige Lohnrunde von 800.000 Arbeitnehmern an. Da die Erhöhung diverser Preise — wie Strom oder Benzin — ohnedies bevorsteht und ganze Branchen auf das Auslaufen des Stabilisierungsabkommens warten, um ihre Preise anzuheben, ist mit einer gigantischen Lawine noch vor dem Sommer zu rechnen.

Daß Benya mit den Lohnforderungen aber in erster Linie nicht die Unternehmer trifft, ist klar. Sie sind auf Grund der Spielregeln in der Paritätischen Kommission in der Lage, Lohnerhöhungen auf die Preise überzuwälzen. Benya trifft damit also vor allem die Politik der Bundesregierung, weil die Opposition sofort eifrig ihre sehr populäre Propaganda mit, der Inflation fortsetzen kann.

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