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Benyas Zweifel an der Konsummentalität

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Die Metallarbeitergewerkschaft hatte es bisher bei den Lohnverhandlungen meistens leicht: Die wichtigsten Arbeitgeber in ihren Branchen waren die verstaatlichten Unternehmungen, und deren Repräsentanten sind den gewerkschaftlichen Forderungen immer relativ schnell nachgekommen. Dadurch waren natürlich auch die übrigen Arbeitgeber zum Nachgeben gezwungen. In diesem Jahr veränderte sich die Szenerie allerdings schlagartig. Gerade von den Vertretern der „Verstaatlichten“ kam bei den Lohnverhandlungen der härteste Widerstand.

Nicht daß die Vertreter der verstaatlichten Industrie auf einmal zu militanten Kapitalisten geworden wären: Die finanzielle Situation der Betriebe erlaubt keine großen Sprünge mehr, und die lebensnotwendige internationale Konkurrenzfähigkeit Österreichs ist in Frage gestellt.

Die Metallarbeitervertreter waren von der neuen Haltung der Unterhändler aus den verstaatlichten Unternehmungen offenbar völlig überrascht und reagierten mit Streikdrohung. Es gelang ihnen, den Großteil ihrer Forderungen doch noch durchzuboxen. Ob sie der Arbeitnehmerschaft damit einen guten Dienst geleistet haben, wird die Zukunft zeigen.

Für die Gewerkschaftsspitze scheint das neue Verhandlungsklima wie ein Schock gewirkt zu haben. Allerdings dauert es erfahrungsgemäß sehr lange, bis Erkenntnisse aus der Chefetage des ÖGB bis zum mittleren Funktionärskader der Fachgewerkschaften Vordringen. Mit einer Haltungsänderung ist also in naher Zukunft nicht zu rechnen, auch nicht während der laufenden Lohnrunde.

Es ist nur zu hoffen, daß die gegenwärtigen Erfolge der gewerkschaftlichen Unterhändler nicht zu einem Debakel für die Arbeitsplätze werden. Die momentan günstige Konjunkturentwicklung mag zwar negative Soforteffekte verhindern, wie sieht es aber mit den Langzeiteffekten aus? Selbst das optimistische Ford-Institut sagt eine neue Rezession für 1979 und 1980 voraus.

In einem kürzlich vor Gewerk- schaftsfunktionärinnen gehaltenen Vortrag äußerte selbst ÖGB-Präsi- dent Anton Benya ernste Sorgen und kam auch auf die Schwierigkeiten zu sprechen, wenn unangenehme Notwendigkeiten durchgesetzt werden müssen. Was da durch einen jovialen Plauderton kaschiert wurde, war alles andere als amüsant.

Die seit Jahrzehnten kultivierte Anspruchsmentalität, die materialistische Konsummaximierung erweist sich angesichts der Tatsache, daß die Periode der großen Wachstumsraten endgültig vorbei zu sein scheint, als gefährlicher Konfliktstoff.

„Jede Mitternacht gehen die Charterflugzeuge ab von Schwechat“, gibt er zu bedenken, „nach Teneriffa und Mallorca. Man soll es den Leuten gönnen … Und dann kommen sie heim,

sind stier und schreien: Die Gewerkschaft muß was machen.“ Benya zeigt hier selbst eines der Hauptprobleme der gegenwärtigen Situation auf: Der hohe Lebensstandard wird nicht mehr als Produkt eigener Anstrengung, sondern kollektiver Besitzergreifung angesehen. Das Anspruchsniveau orientiert sich nicht mehr am Ein-

kommen, sondern das Einkommen soll sich an den Ansprüchen orientieren.

„Die Menschen wollen eben alles haben und das geht nicht“, formuliert Benya lapidar. Im nächsten Satz aber kommt dann jenes Dilemma zum Ausdruck, in welches sich die Gewerkschaften selbst hineinmanövriert haben, indem sie sich bisher immer zum Anwalt der Bedürfnisvermehrung machten: „Wir können einem Dreißigjährigen nicht sagen: Brems dich ein bißchen ein mit deinem Konsum, du mußt ja nicht gleich alles haben.“

Vor 20 Jahren waren sich Arbeitgeber und Arbeitnehmer darin einig, man müsse die Jugend zu Konsumenten erziehen. Diese Zielsetzungen wurden völlig erreicht.

Speziell für die Gewerkschaften stellt sich das Problem, daß höherer Lebensstandard noch nicht mehr Zufriedenheit bedeutet, ja daß er häufig von einem subjektiven Gefühl der Verarmung begleitet ist.

Dies alles sind richtige! Überlegungen. Wir verpulvern unseren Wohlstand, vergeuden ihn für Nebensächlichkeiten und sind bei wichtigeren Dingen unversorgt. Das Fazit ist mehr Unzufriedenheit, die schließlich durch noch mehr Wohlstand überwunden werden soll. Die Folge davon ist, daß die Unzufriedenheit nur noch anwächst. Die wichtigste Aufgabe besteht deshalb heute darin, aus diesem Teufelskreis wieder herauszufinden.

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