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Digital In Arbeit

Einmarsch in den Aufsichtsrat

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Seit das neue Arbeitsverfassungsgesetz des Sozialministeriums zur Begutachtung ausgesandt wurde, herrscht bei Anhängern und Gegnern der sogenannten „Betriebsdemokratie“ große Aufregung. Bezeichnend für das bürgerliche Lager ist es, daß viele seiner Vertreter jetzt aus allen Wolken fallen — ganz so, als wäre jetzt etwas völlig Neues aufs Tapet gebracht worden. Dabei wird gerade das brisanteste Thema des neuen Gesetzentwurfs — die „Drittelparität“ (um dieses an sich unlogische Schlagwort zu gebrauchen) für Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten — von der Linken schon seit Jahren moniert und theoretisch sowie propagandistisch intensiv vorbereitet. Aber in bürgerlichen Kreisen — nicht nur in Österreich — ist es ein liebgewordener Brauch, sich erst mit Problemen zu beschäftigen, wenn sie uns bereits auf den Kopf gefallen sind.

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Seit das neue Arbeitsverfassungsgesetz des Sozialministeriums zur Begutachtung ausgesandt wurde, herrscht bei Anhängern und Gegnern der sogenannten „Betriebsdemokratie“ große Aufregung. Bezeichnend für das bürgerliche Lager ist es, daß viele seiner Vertreter jetzt aus allen Wolken fallen — ganz so, als wäre jetzt etwas völlig Neues aufs Tapet gebracht worden. Dabei wird gerade das brisanteste Thema des neuen Gesetzentwurfs — die „Drittelparität“ (um dieses an sich unlogische Schlagwort zu gebrauchen) für Arbeitnehmer in den Aufsichtsräten — von der Linken schon seit Jahren moniert und theoretisch sowie propagandistisch intensiv vorbereitet. Aber in bürgerlichen Kreisen — nicht nur in Österreich — ist es ein liebgewordener Brauch, sich erst mit Problemen zu beschäftigen, wenn sie uns bereits auf den Kopf gefallen sind.

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Um so heftiger, aber auch wir-Art, entrüstet sich über die „Unfair-kungsloser sind die Reaktionen,ness“ der Sozialisten, mit Hilfe der wenn erst einmal die Kuh aus dem Arbeitnehmervertreter die sozialistall ist. Man verbeißt sich in stische Mehrheit in den Aufsichts-Nebensächlichkeiten formalistischer raten den verstaatlichten Unternehmen zu zementieren, es herrscht ein Tauziehen um den Personenkreis, der die Arbeitnehmer vertreten dürfe, aber fast niemand stellt die simpelste und wichtigste Frage, nämlich: „Cui bono“?

Handelsminister Staribacher, der voll und ganz hinter dem Gesetzentwurf steht, bemüht sich, dessen Effekte möglichst zu bagatellisieren: es gehe nur darum, die an sich gute Kommunikation zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer in eine neue Form zu bringen, zu institutionalisieren.

Und darauf wird es auch — zunächst einmal — hinauslaufen: die österreichischen Gewerkschaftsführungen bestehen aus viel zu guten Taktikern, als daß sie gleich mit der Türe ins Haus fielen und die durch die Mitbestimmung gebotenen Möglichkeiten gleich bis zum Letzten ausnützten. Daß aber für die Kommunikation und auch die effektvolle Vertretung der Arbeitnehmerinteressen die heutigen gesetzlichen und organisatorischen Bestimmungen durchaus ausreichend wären, steht ebenso außer Zweifel. Dafür wäre das neue Gesetz durchaus nicht nötig. Daß sich hinter den artiku-

Herten bescheidenen Zielsetzungen andere und weiterreichende befinden, liegt auf der Hand.

Die Gewerkschaften machen auch gar kein Hehl daraus, daß mit der Drittelparität zunächst einmal eine „Lernphase“ eingeleitet werden soll, in der sich die Betriebsräte in Unternehmensleitung üben sollen. Die zweite Phase wäre dann die echte Parität und womöglich ein Dirimie-rungsrecht, der schließlich die Phase der Majorität folgen würde.

Nun mag die „Machtergreifung“ der Betriebsräte und der hinter ihnen stehenden Gewerkschaften zwar vielen Unternehmern einen gewissen Schrecken einjagen. Für die Masse der Arbeitnehmer, auch jene, die nicht im sozialistischen Lager stehen, hat er nichts Furchtbares an sich. Demgemäß werden die derzeitigen Bestrebungen auch in den Reihen — wie üblich konträr zu den übrigen Bünden der ÖVP — des ÖAAB vorwiegend günstig beurteilt.

An sich wäre deshalb gegen die derzeitige gewerkschaftliche Mitbestimmungsstrategie nichts einzuwenden — vorausgesetzt, daß sie wirklich dem vorgegebenen Zweck dient, nämlich der Humanisierung der Betriebe, der verstärkten Mündigkeit des Arbeitnehmers. Genau hier aber kommen die Bedenken.

Bringt die Mitbestimmung — ob nun drittelparitätisch, paritätisch oder sonstwie — dem Arbeitnehmer wirklich Vorteile, ändert sich dadurch (wenn wir von jenen absehen, die als Belegschaftsvertreter in den Aufsichtsrat einziehen) ihre soziale Situation, werden die Betriebe auf diese Weise schlagkräftiger und krisenfester? Wohl kaum. Genau besehen bietet jene Art der Mitbestimmung, wie sie im Arbeitsverfassungsgesetz vorgesehen ist, nur falsche Lösungen für echte Probleme.

Was aus den Unternehmen für den Arbeitnehmer „herauszuholen“ ist, das wird bereits jetzt herausgeholt und das derzeitige Instrumentarium reicht dazu im allgemeinen aus. Wir dürfen uns keinen Illusionen über eventuelle verborgene Quellen hingeben, die zum Sprudeln gebracht und von allen — wohlgemerkt allen — Arbeitnehmern genutzt werden könnten, entweder in Form höherer Verdienste oder höherer Qualität am Arbeitsplatz. Es braucht keiner besonderen Prophetengabe, daß die Arbeiter-Aufsichtsräte — sofern ihnen die Existenz der Betriebe und die Sicherung der Arbeitsplätze wirklich am Herzen liegt — wenig Substantielles werden ändern können.

Vielmehr besteht die Gefahr, daß es beim derzeitigen Mitbestimmungskonzept in weitaus höherem Maße um Funktionärs- als um Arbeitnehmerinteressen geht. Der gegenwärtig angestrebten institutionellen Mitbestimmung wäre daher ein Konzept der funktionellen Mitbestimmung entgegenzusetzen: nicht Machtausweitung für Funktionäre, sondern mehr Rechte und mehr Entscheidungsfreiheit für den einzelnen Arbeitnehmer in seinem eigenen Wirkungskreis.

Hier gäbe es zweifellos zahlreiche Möglichkeiten, die genützt und ausgebaut und auch institutionalisiert werden könnten. Sie werden zwar auf den ersten Blick nicht so spektakulär wie der Einmarsch einer größeren Anzahl von Betriebsräten in den Aufsichtsrat (an Stelle der schon bisher entsandten zwei Belegschaftsvertreter) sein, aber auf längere Sicht dem einzelnen Arbeitnehmer mehr an konkreten Vorteilen bringen.

Auch auf diese Weise sind einschneidende Veränderungen in der Betriebsstruktur erzielbar, denn die funktionelle Mitbestimmung besteht nicht bloß — wie sich das verschiedene Unternehmer vielleicht vorstellen mögen — in einem etwas verbesserten betrieblichen Vorschlagswesen. Es geht vielmehr um eine substantielle Mitsprache, um eine nachhaltige Verbesserung der Entscheidungsbefugnisse des einzelnen Arbeitnehmers und um eine weitreichende Intensivierung der betrieblichen Information — aber es geht immer um den lebendigen Menschen an der Werkbank und am Schreibtisch, nicht um einen Machtzuwachs für Funktionäre, die sich, auch wenn sie mit den besten Vorsätzen an die Sache herangehen, infolge ihrer privilegierten Position, ihrem völlig veränderten Aufcaben-und Interessenkreis notgedrungen den von ihnen Vertretenen entfremden müssen.

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