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Um den „erweiterten Mitbestimmungstendenzen” in der Gesellschaft Rechnung zu tragen, will der Sozialminister noch heuer das Arbeitsverfassungsgesetz von 1974 novellieren. In der überaus heftigen Diskussion der Sozialpartner um das Daliinger-Papier findet auch ein alter Glaubensstreit der Ideologen seine Fortsetzung.

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Um den „erweiterten Mitbestimmungstendenzen” in der Gesellschaft Rechnung zu tragen, will der Sozialminister noch heuer das Arbeitsverfassungsgesetz von 1974 novellieren. In der überaus heftigen Diskussion der Sozialpartner um das Daliinger-Papier findet auch ein alter Glaubensstreit der Ideologen seine Fortsetzung.

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Der Sozialvisionär der Bundesregierung, Alfred Dallin-ger, hätte sich für seinen Vorstoß in Sachen Mitbestimmung keinen günstigeren Zeitpunkt wählen können. Die Konjunktur ist gut, das Hainburg-Debakel und der Vorstoß der Grünen geben auch hartgesottenen Zentralisten zu denken.

Trotzdem war die Reaktion der Bundeskammer kurz, heftig und unmißverständlich. In einer ersten Stellungsnahme erklärte der Leiter der sozialpolitischen Abteilung, Martin Mayr, die Ausdehnung des Einspruchs- und Anfechtungsrechtes bei Kündigungen in Kleinstbetrieben würde die rund 160.000 Unternehmen mit weniger als fünf Beschäftigten „ruinieren” und sei ein Schritt in Richtung „Pragmatisierung der Arbeitnehmer in der Privatwirtschaft”.

Dabei scheint der Minister seine einschneidensten Reformen noch in der Schublade behalten zu haben. Hans Gassrter, Vorsitzender der Fraktion christlicher Gewerkschafter, berichtete in der vergangenen Woche von einer Erweiterung der Informationspflicht bei Investitionen und einer Mitsprache des Betriebsrats, wenn neue Maschinen angeschafft werden, die Arbeitsplätze kosten: „Wir stehen voll hinter diesen Ideen” (Gassner).

Daliinger dazu: „Die Einbindung der Arbeitnehmer in Investitionsentscheidungen muß in dieser Novelle neu geregelt werden. Schließlich ist das eine der gravierenden Fragen bei der Einführung neuer Technologien.” Mayr: „Davon steht nichts in der Punktation.” Diese allerdings, so Daliinger, „legt auch nur die groben Richtlinien für die Novelle fest”.

Mit Posaunentönen dieser Art dürfte Daliinger die Unternehmervertreter allerdings eher erschrecken als Verhandlungsbereitschaft über jene Punkte, die ihm wichtig sind, zu erzielen.

Wird das Dallinger-Papier also sang- und klanglos in der Versenkung verschwinden?

Sicher ist, daß schon im „alten” Arbeitsverfassungsgesetz einige Paragraphen enthalten sind, die im praktischen Leben nicht ganz die Rolle spielen, die ihnen der Gesetzgeber zugedacht hat. Ein Beispiel: „Der Betriebsinhaber hat dem Betriebsrat Aufschluß zu geben über die wirtschaftliche Lage des Betriebes, über die Art und den Umfang der Erzeugung, den Auftragsstand, den mengen-und wertmäßigen Absatz, die Investitionsvorhaben sowie über sonstige geplante Maßnahmen zur Hebung der Wirtschaftlichkeit des Betriebes.”

In kleineren und mittleren Unternehmen führt dies in der Regel dazu, daß Unternehmer und Betriebsrat an einem Strang ziehen und auch Kündigungen gemeinsam beschließen.

In Großbetrieben führt es gemeinsam mit der auch jetzt wieder erhobenen Forderung, Belegschafts- und Kapitalvertreter müssen im Auf sichtsrat gleichgestellt sein, entweder zu Lustlosig-keit der Eigentümer oder zu subtiler Politik mit der Weitergabe von Informationen. „Der Aufsichtsrat”, findet Universitätsprofessor Peter Doralt in einer Analyse zum Gesellschaf tsänderungsgesetz 1982, „gleicht einem Auto, bei dem gleichzeitig Gas gegeben und gebremst wird; die mit Hilfe des Gesetzgebers, gestärkte Kompetenz des Aufsichtsrates bremst ihn gleichzeitig wegen der dadurch verstärkten Angst der Eigentümervertreter und des Managements vor der Mitbestimmung und ihrer zukünftigen Entwicklung.”

Im Ernstfall kann oft der Fortschritt des Unternehmens auf der Strecke bleiben. Schon jetzt spötteln Juristen, der einzige Vorteil des Rechtswirrwarrs (Arbeits-, Sozial-, Gesellschafts- und Steuerrecht) sei der, daß ein großer Teil der Vorschriften mangels Unvereinbarkeit mit anderen nicht mehr, eingehalten werden kann.

Der österreichische Arbeiterund Angestelltenbund (ÖAAB), der in den siebziger Jahren Mitbestimmungsmodelle ausgearbeitet hat, um die es merkwürdig still geworden ist, zieht sich nicht umsonst auf einfache Formeln zurück. VP-Sozialsprecher Walter Schwimmer: „Wir wünschen uns mehr Mitbestimmung für den einzelnen Arbeitnehmer, mehr Rechte, auch gegenüber dem Betriebsrat. Es geht uns nicht darum, die

Mitbestimmung für Betriebsräte und Gewerkschaften auszubauen.” Da hat die offenkundige Benachteiligung von Arbeitnehmern in der Verstaatlichten Industrie, die bei Kündigungen die „falsche” Farbe hatten, viel zum Mißtrauen beigetragen.

Interessanter ist es, in diesem Zusammenhang zu vernehmen, daß die „Möglichkeiten der Betriebsräte zu außerbetrieblicher Weiterbildung ausgebaut werden sollen” (Gassner). Hier könnte sich frischer Wind in der ÖGB-Schulung bemerkbar machen, der den Betrieben und ihrem „Klima” mehr nützt als jeder weitere rechtliche Formalismus. (Siehe auch Kommentar Seite 15.)

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