Gleiches Recht für alle?

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Die Debatte. Gleiche Rechte für alle Arbeitnehmer?

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Die Debatte. Gleiche Rechte für alle Arbeitnehmer?

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Zum Thema: Fairneß für Arbeiter. Einen "heißen Herbst" verspricht die Gewerkschaft der Wirtschaft, um die sozial- und arbeitsrechtliche Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten durchzusetzen. Von dieser Drohung wenig beeindruckt, verweigert die Wirtschaftskammer nach wie vor eine Angleichung der Rechte von 1,2 Millionen Arbeitern.

Gestritten wird um Kündigungsfristen, das Krankengeld und Urlaubsansprüche. Die Wirtschaftsseite fordert Gegenangebote zur Senkung der Lohnnebenkosten. Von den Gewerkschaften wird das abgelehnt und auf die gute Ertragslage der Unternehmen verwiesen.

Die anstehenden Wahlkämpfe (Nationalrat, Wirtschaftskammer, Arbeiterkammer) erschweren das gegenseitige Nachgeben noch mehr. Für Gewerkschaft und Wirtschaftsvertreter geht es letztlich auch ums Prestige und da heißt es: Flagge zeigen. WM FRITZ VERZETNITSCH Statt Arbeiter und Angestellte gleichzustellen, macht die Wirtschaft das Thema zur unendlich bitteren Geschichte.

Gleiches Recht für alle ist ein Gebot der Stunde, bleibt aber nach wie vor für 1,2 Millionen ArbeitnehmerInnen in Österreich ein Traum. In Österreich gibt es zwei Gruppen von ArbeitnehmerInnen: Angestellte und Arbeiter, wobei letztere nicht auf Grund ihrer Tätigkeit, sondern durch heute de facto völlig willkürliche Gesetze, die zum Teil noch aus dem vorigen Jahrhundert stammen, sozial und wirtschaftlich diskriminiert werden. Auf die Forderung des ÖGB nach Gleichstellung der Rechte beharrt die Wirtschaftskammer mit eindeutigem Nein.

Eine Organisation die so stur und unnachgibig gegen gleiche Rechte von Frauen und Männern wäre, würde mit Sicherheit im politischen Out landen. Was dem einen der politische Tod, ist dem anderen Munition für den Wahlkampf. Doch mit Diskriminierung kann man heute nicht mehr punkten. Im Gegenteil. Ein Engagement der Wirtschaftskammer, daß sich gegen 1,2 Millionen Menschen richtet, wird nur zum Eigentor. Die rote Karte kommt noch dazu, denn im Koalitionsabkommen zwischen SPÖ und ÖVP wurde die Gleichstellung zwischen Arbeitern und Angestellten vereinbart. Trotzdem soll die Gewerbeordnung des Jahres 1859, die Arbeiter wesentlich benachteiligt, bleiben. Es lebe der Fortschritt!

Konkret bedeutet das: Ein Arbeiter oder eine Arbeiterin hat eine Kündigungsfrist von normalerweise zwei Wochen, sehr oft aber noch viel weniger. Angestellte haben dagegen eine Kündigungsfrist von sechs Wochen bis zu fünf Monaten. Wird ein Arbeiter krank, dann bekommt er nur vier Wochen eine Entgeltfortzahlung. Ein Angestellter hat darauf sechs Wochen lang den vollen und vier weitere Wochen den halben Anspruch. So sieht die Gerechtigkeit der Wirtschaft aus: Wer Angestellter oder Arbeiter ist bestimmt nicht das Gesetz oder die Tätigkeit, sondern aus-schließlich der Arbeitgeber.

Gegen diesen Akt der Willkür setzen sich der ÖGB und seine Gewerkschaften vehement ein. Doch anstatt Fairneß für alle endlich zu verwirklichen, macht die Wirtschaft dieses Thema zur unendlichen Geschichte, mit bitterem Beigeschmack. Forderungen wie Abschaffung eines Feiertages, Verlegung eines Feiertages auf den Sonntag, Verschlechterung des Urlaubsrechtes oder Anrechnung einer ärztlich verordneten Kur auf den Urlaub für alle ArbeitnehmerInnen sollen im Gegenzug für die Gleichstellung vom ÖGB akzeptiert werden.

Fairneß läßt sich der ÖGB nicht abkaufen: Über 90 Prozent der Bevölkerung empfinden die Ungleichbehandlung von ArbeiterInnen und Angestellten laut einer market-Umfrage als ungerecht. Ungefähr gleich viele verlangen, daß diese Ungerechtigkeiten aufgehoben werden sogar wenn dadurch zusätzliche Kosten entstehen. Die Rechte der ArbeiterInnen sollen an jene der Angestellten angepasst werden und nicht umgekehrt, so wie es einige Unternehmer gerne hätten. Der Vorwand der Wirtschaft lautet immer wieder: Gleiche Rechte kosteten zu viel Geld. Die heimische Wirtschaft sei damit überfordert. Tatsache ist, daß Gerechtigkeit keine Frage des Preises sein darf. Die Vorschläge des ÖGB und der AK hätten eine Senkung der Lohnnebenkosten in der Höhe von rund 2,1 Milliarden Schilling pro Jahr vorgesehen. Das wäre mehr als die Kosten der Angleichung gewesen. Doch das war der Wirtschaftskammer nicht genug.

Trotz aller Beteuerungen für gleiche Rechte einzutreten, geht es der Wirtschaftskammer nur darum, die Rechte aller ArbeitnehmerInnen zu reduzieren, trotz guter Wirtschaftsdaten, trotz niedriger Lohnstückkosten, trotz sozialen Friedens im Land. Es ist nicht zu viel verlangt, daß die Rechte der Arbeiter - die auch wesentlich zum wirtschaftlichen Erfolg beigetragen haben - verbessert werden. Vor allem dann, wenn es dabei zu keiner Mehrbelastung kommt. Höchste Zeit, daß sowohl Wirtschaftskammer wie ÖVP darüber nachdenken und ihre unflexible Haltung endgültig aufgeben. Denn 1,2 Millionen ArbeitnehmerInnen kann man nicht einfach übergehen.

Der Autor ist Präsident des ÖGB.

BERNHARD GRUBER Trotz Ausbleibens des großen Wurfs auf Gesetzesebene gibt es maßgeschneiderte Angleichungen bei Kollektivverträgen.

In einem in der Neuen Kronen Zeitung veröffentlichten Leserbrief meint Herr Andreas Löffelmann: "Ich betrachte es als grobe Ungerechtigkeit, wenn am Ende des 20. Jahrhunderts eine unterschiedliche arbeits- und sozialrechtliche Behandlung von Arbeitern und Angestellten besteht." In derselben Ausgabe hält Frau Barbara Zitterbart fest: "Ich habe ein Entsorgungsunternehmen mit 70 Mitarbeitern. Wenn ich meine Arbeiter in den Angestelltenstatus heben würde, so wie das der ÖGB fordert, könnte ich wegen des enormen Kostendrucks nicht garantieren, alle Arbeitsplätze halten zu können."

Diese beiden Leserbriefe machen folgende Problematik rund um die "Aktion Fairness" deutlich: Auf der einen Seite stehen Arbeitnehmer, die jegliche rechtliche Differenzierung zwischen Arbeitern und Angestellten als ungerechtfertigt bezeichnen. Für sie kommt als Lösung allein die Erstreckung der Angestelltenrechte auf die Arbeiter in Frage, alles andere wäre verwerflicher Sozialabbau. Diese Haltung weckt die Ängste der Unternehmer, im internationalen Wettbewerb von einer Kostenlawine überrollt zu werden. Die Unternehmer lehnen deshalb jeglichen Änderungswunsch kategorisch ab. Extremhaltungen einer Seite ziehen Extremhaltungen der anderen Seite nach sich und erschweren einen konstruktiven Dialog. Ich habe daher meine Zweifel, ob der ÖGB mit der angekündigten "öffentlichen Kampagnisierung" den Anliegen der Arbeiter einen guten Dienst erweisen wird.

Was hat überhaupt zur Forderung nach Vereinheitlichung der Arbeiter- und Angestelltenrechte geführt? Die Ursache liegt in der fragwürdigen Gestalt des Angestelltenbegriffes im Angestelltengesetz. Rein logisch läßt sich nicht nachvollziehen, warum eine Kanzleikraft Angestelltenstatus und damit Angestelltenrechte genießt, ein hochqualifizierter Techniker aber unter Umständen Arbeiterstatus hat. Die Arbeiterrechte sind auf vorwiegend manuell tätige Arbeitnehmer zugeschnitten, die Angestelltenrechte hingegen eher auf geistig tätige Arbeitnehmer. Vom jeweiligen rechtlichen Regelungsumfeld her, wäre daher im obigen Beispiel die umgekehrte Statuszuweisung sachlich passender. Da eine Statusbereinigung seitens der Arbeitnehmervertreter nicht angestrebt wird, führte diese unbefriedigende Situation zur Forderung nach Vereinheitlichung der Arbeiter- und Angestelltenrechte.

Was geschah diesbezüglich in letzter Zeit? Seit Jahresbeginn gelangten Experten der Sozialpartner in mehreren Verhandlungsrunden von anfänglicher Schwarz-Weiß-Malerei zur ernsthaften Suche nach einer für beide Seiten tragbaren Lösung. Als die Arbeitnehmerseite den Ängsten der Arbeitgeberseite Rechnung tragend Bereitschaft signalisierte, Abstriche vom ursprünglichen Forderungspaket in Kauf zu nehmen, erklärte sich auch die Arbeitgeberseite bereit, den Arbeitnehmeranliegen entgegenzukommen. So gelang schließlich eine Annäherung in der Frage der Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Die Einigung scheiterte letztlich daran, daß die von der Arbeitgeberseite im Gegenzug für arbeitsrechtliche Änderungen bei der Entgeltfortzahlung geforderte Bereinigung von Unstimmigkeiten im Urlaubsrecht - ein Arbeitnehmer kann derzeit seinen Urlaubsanspruch verdoppeln, wenn er nach dem ersten Dienstjahr den Arbeitgeber wechselt - nicht akzeptiert wurde.

Wie wird es in Sachen "Aktion Fairness" weitergehen? Auf Kollektivvertragsebene ist eine schrittweise Angleichung der Arbeiter- und Angestelltenrechte unter Berücksichtigung der Verhältnisse in der jeweiligen Branche zu beobachten. Sollte in der kommenden Gesetzgebungsperiode der große Wurf auf Gesetzesebene ausbleiben, so sind jedenfalls weitere Angleichungsschritte in Kollektivverträgen zu erwarten. Dies hat den Vorzug, dass kollektivvertragliche Lösungen für die jeweiligen Branchengegebenheiten maßgeschneidert und daher für die meisten Unternehmen verkraftbar sind.

Der Autor ist Referent in der Abteilung für Sozialpolitik der Wirtschaftskammer.

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