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Arbeiterschutz in Spanien

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Wenn irgendwo bei uns diese Frage gestellt wird, dann zuckt man gewöhnlich die Achseln und antwortet: „Wer soll das wissen? Wahrscheinlich aber nicht.“ Man wird dann sehr erstaunt sein, zu hören, daß die schon in der spanischen Republik vorhandenen Ansätze zu einer Schutzgesetzgebung für die Arbeiterschaft unter der Regierung des Staatschefs (Caudillo) Francisco Franco konsequent weiter ausgebildet wurden, und daß Spanien heute das Land mit der höchsten Soziallast in der ganzen Welt ist. Ja, die spanischen Unternehmer behaupten sogar, daß neben dem drückenden Kapitalmangel, bzw. der ungenügenden Freizügigkeit und Garantie für ausländisches Kapital, neben der Lohn- und Preisspirale und einer um sich greifenden, noch unbestimmten sozialen Gärung, es vor allem die „Fuero de Trabajo“, die Arbeitsverfassung sei, die eine Modernisierung der spanischen Wirtschaft verhindere. Immerhin hat sich die Erzeugung in der Industrie gegenüber 1937 bereits mehr als verdoppelt, während die Erzeugungskraft der Landwirtschaft mit ihren vielfach noch rückständigen Bewirtschaftungsmethoden seither kaum gewachsen ist.

Aber zurück zum spanischen A r- beitsgesetz von 1938, dessen Grundprinzipien durch Anordnungen der Jahre 1945 und 1947 weiter ausgebildet wurden. Es gewährt das Recht und die Pflicht auf Arbeit, einen ge- rechten Lohn mit Familienzulagen (Subsidio ’ Familiäres)." Arbeiterkredite, soziale Versicherung, Gewinnbeteiligung der Arbeiter und Mitbestimmung in den Unternehmungen. Das Arbeis- gesetz legt überdies die Grundlage für die Organisation der Syndikate, worunter man in Spanien verbandsmäßige Zusammenschlüsse der Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Branchen versteht, und für die Gestaltung der Kollektivverträge. Sie enthält aber auch das Verbot von Streiks und Aussperrungen.

Der rasche Ausbau der Sozialversicherung ist von den älteren und verheirateten Arbeitern mit größerer Familie begrüßt worden, während sich die jüngeren Jahrgänge gegen die hohen Beiträge wenden, die 40 Prozent des Lohnes ausmachen. Es gibt in Spanien seit 1.932 eine pflichtmäßige Unfallversicherung, die 1947 auf alle Berufskrankheiten ausgedehnt wurde. Die Beiträge werden zur Gänze von den Arbeitgebern bezahlt. Die Krankenversicherung stammt aus 1942 und umfaßt alle Arbeitnehmer vom 14. Lebensjahr an bis zu einer Bestimmten Einkommensgrenze. Von den Beiträgen zahlen die Arbeitgeber zwei Drittel und die Arbeitnehmer ein Drittel. Das Krankengeld wird in der Höhe von 50 Prozent des Taglobnes gewährt. Es herrscht freie Ärztewahl. Beim Ableben des Versicherten wird ein Sterbegeld ausbezahlt. Seit 1938 gibt es auch eine zu drei Vierteln vom Arbeitgeber und zu einem Viertel vom Arbeitnehmer finanzierte Familienbeihilfe, die außer Heirats- und Geburtsprämien vom zweiten Kind an ein Kindergeld gewährt. Die Alters- und Invaliditätsversicherung schließlich bestand bereits seit 1908 auf freiwilliger Grundlage; sie wurde 1919 in eine Pflichtversicherung umgewandelt und 1947 völlig neu organisiert. Es gilt eine Einkommenshöchstgrenze. Die Finanzierung wird von Arbeitgebern und Arbeitnehmern im Verhältnis von drei Viertel zu einem Viertel besorgt. Eine dauernde Arbeitslosenversicherung gibt es nicht, hingegen amtliche Stel- ienvermittlungsbüros und eine produktive Arbeitslosenfürsorge. Allerdings werden gegenwärtig jene Fälle von Arbeitslosigkeit geschützt, die sich im Zusammenhang mit der 1959 begonnenen Stabilisierungspolitik ergeben haben.

In allen Unternehmungen, die mehr als 500 Arbeiter beschäftigen — es sind im ganzen Land nur 300 —, haben diese ein Mitbestimmungsrecht. Ob diese Bestimmungen über eine bloße Konsultation herausgehen, hängt davon ab, wie stark die Person-lichkeiten sind, die von der Arbeiterschaft in die „Jurado de Empresa“ delegiert wurden.

Die Gewinnbeteiligung erschöpft sich in der Praxis in einer Er höhung der Lohnquote nach bestimmten Prozentsätzen, die je nach der Branche verschieden sind.

Die spanische Arbeitsverfassung bemühte sich von Anbeginn an, dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz dauernd zu sichern. Eine entschädigungslose Entlassung ist überhaupt nur bei gewissen Delikten, wie Trunksucht, Diebstahl usw. möglich. Ansonsten ist für jede Entlassung die vorherige Genehmigung seitens des Arbeitsgerichtes notwendig, daß eine solche überhaupt nur bei entsprechender Entschädigung zuläßt (ein bis vier Jahresgehälter). Während die Arbeiter- und Angestelltenschaft diesen Zustand völliger Sicherheit begreiflicherweise durchaus schätzt, sehen die Arbeitgeber darin die Ursache für die vielfach mangelnde Arbeitsdisziplin und Arbeitsproduktivität. Sie versuchen daher ihre Belegschaften möglichst klein zu halten und Akkordarbeit und Überstunden einzuführen. Daß übrigens das spanische Lohn- und Gehaltsniveau an sich sehr niedrig ist, ist bekannt.

Gewiß, die Lage des spanischen Arbeiters läßt sich mit der des Arbeiters in den westlichen Demokratien nicht vergleichen — fehlt ihm doch vor allem das Recht der freien Meinungsäußerung und das Koalitionsrecht —, aber man muß zugeben, daß es das umfassende Industrialisierungsprogramm und die Förderung der Landwirtschaft, trotz Dürre und Mißernten in den letzten Jahren,.ermög-: lichten, die Wirtschaftskraft des Landes zu heben; soziale Fortschritte anzubahnen und den Lebensstandard des Arbeiters und Angestellten allmählich zu heben. Bis er den unserer Arbeitnehmer erreicht haben wird, ist allerdings noch ein sehr weiter Weg.

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